«Man braucht nicht als Genie geboren zu werden» – Kopfrechen-WM in Dresden

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DRESDEN. 54.673.197 x 37.612.899 = 2.056.417.436.768.100. Wer solche Aufgaben in etwas weniger als 50 Sekunden ausrechnet, sollte sich überlegen, an der Kopfrechen-WM teilzunehmen. 40 Hochleistungsrechner aus 18 Ländern treten in diesem Jahr gegeneinander an. Der jüngste ist gerade einmal 10 Jahre alt. Manche pauken bis zu zwölf Stunden am Tag.

Während andere Schüler über knifflige Mathe-Aufgaben stöhnen, können Rhea Shah und Granth Thakkar nicht genug davon bekommen. Achtstellige Zahlen miteinander multiplizieren, Wochentage des vergangenen Jahrhunderts bestimmen oder Quadratwurzeln aus mehrstelligen Zahlen ziehen – alles kein Problem. «Zahlen sind unsere Leidenschaft. Wir lieben es, zu rechnen», sagen die beiden 14 und 13 Jahre alten Inder. Um schwierige Aufgaben zu lösen, brauchen sie weder Taschenrechner, noch Papier oder Stift. Gerechnet wird im Kopf.

Mathematik-Aufgaben an der Tafel
Vielen Schülern sträuben sich beim Wurzelziehen die Fußnägel. Doch auch beim Kopfrechnen gilt Übung macht den Meister. Foto: Jörg Willecke / pixelio.de

Die beiden jungen Rechenkünstler sind mit einer Gruppe von insgesamt 13 Indern nach Dresden gereist, um sich in der sächsischen Landeshauptstadt bei der 6. Weltmeisterschaft im Kopfrechnen mit den Besten zu messen. 40 Mathe-Asse aus 18 Ländern, von Bulgarien bis Malaysia, treten gegeneinander an. Der jüngste Teilnehmer ist ein zehn Jahre alter Inder, der älteste ein 80-jähriger Franzose. Partner der WM sind die Technische Universität (TU) Dresden und das Dresdner Erlebnisland Mathematik. Die Weltmeisterschaft im Kopfrechnen findet alle zwei Jahre statt.

Die Chancen für die Inder stehen nicht schlecht: Granth Thakkar hält mehrere Weltrekorde im Kopfrechnen, erst am vergangenen Wochenende holte er eine Goldmedaille bei der Junior-Kopfrechenweltmeisterschaft in Bielefeld. Mit elf Jahren nahm Granth zum ersten Mal an einer Olympiade teil, mittlerweile hat er sich an den Erfolg gewöhnt. «Ich bin natürlich stolz. Aber mit der Zeit wird das irgendwie normal.»

Dabei steckt nicht nur Talent, sondern vor allem jede Menge Übung hinter den Rechenkünsten, verrät die Trainerin des indischen Teams, Gwendolen Noronha. An normalen Tagen paukt sie mit ihren Schützlingen vier bis fünf Stunden. Vor Wettkämpfen wie diesen können es auch schon einmal zwölf Stunden sein. «Man braucht nicht als Genie geboren zu werden», ist die 26-Jährige überzeugt.

Wenn am Wochenende im Prüfungssaal der TU Dresden die Köpfe rauchen, sind Taschenrechner sowie Papier und Stift tabu – es darf nur das konkrete Endergebnis notiert werden. In der mehrstündigen Prüfung warten knifflige Aufgaben: Unter anderem müssen achtstellige Zahlen miteinander multipliziert, zehnstellige Zahlen addiert oder kalendarische Daten dem jeweiligen Wochentag zugeordnet werden.

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«Zudem warten Überraschungsaufgaben auf die Mathe-Asse», erklärt Organisator Ralf Laue, der auch in der Jury sitzt. Im Kopf sind die Rechenkünstler schneller als andere mit dem Taschenrechner: Um zehn jeweils achtstellige Zahlen zu multiplizieren, hat ein Kubaner bei der vergangenen WM gerade einmal 234 Sekunden gebraucht, erzählt Laue. Altersgruppen gibt es bei der WM im Kopfrechnen nicht. Zehnjährige Genies treten gegen 60-Jährige an. Wer sämtliche Aufgaben fehlerfrei und so schnell wie möglich löst, erhält den Titel Weltmeister-Kombination. Aber auch in den einzelnen Kategorien wie Addition oder Kalenderrechnen werden jeweils Weltmeister gekürt. Der aktuelle Kopfrechenweltmeister stammt aus Japan.

Jeder Kopfrechner habe seine eigene Methode, erklärt Laue. Viele würden zunächst mit einem Abakus trainieren – einer Rechenmaschine mit kleinen Kugeln. Nach einiger Zeit brauche man die Maschine nicht mehr, es reiche, sich die Aufgabe bildlich vorzustellen. «Wie ein Klavierspieler, der irgendwann nicht mehr auf die Noten gucken muss.» Eine anderer Trick sei es, sich für eine Kombination von zwei bis drei Zahlen ein Bild vorzustellen und daraus Geschichten zu entwickeln.

Bei öffentlichen Rechenshows geben die «Superhirne» Kostproben ihres Könnens und verraten ihre Methoden, sich lange Kolonnen von Zahlen und Begriffen einzuprägen. Ein achtjähriger Schüler aus Indien, der allerdings nicht zur offiziellen WM antritt, ordnet einen Rubik-Zauberwürfel mit verbundenen Augen. Mit dabei ist auch der Niederländer Willem Bouman. Der 75-Jährige ist in der Szene als «König der Primzahlen» bekannt. Seit 60 Jahren sei er fasziniert von Zahlenspielen, erzählt der Rentner. Wenn er eine Handynummer sieht, zerlegt er sie gern in ihre Primzahlen – in Sekundenschnelle.

Granth Thakkar dagegen mag am liebsten Quadratwurzeln. Wenn der 13-Jährige nicht gerade rechnet, bleibt manchmal auch Zeit für ganz normale Sachen – wie etwa Schachspielen. Sein Hobby will der Zahlenakrobat später nicht zum Beruf machen. Stattdessen träumt er davon, Astronaut zu werden. «Ich stelle es mir toll vor, in den Weltraum zu fliegen.» (Christiane Raatz, dpa)

zum Bericht: Studie bescheinigt vielen Erwachsenen Probleme mit dem Rechnen

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