Bundesregierung verteidigt Karikatur im Schulbuch – und rät Erdogan zur Gelassenheit

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BERLIN. Die Karikatur in einem baden-württembergischen Schulbuch, die der Regierung in Ankara zufolge den türkischen Präsidenten Erdogan verunglimpft, ist nach Ansicht der Bundesregierung von der Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt. Als Reaktion auf die scharfe Kritik sagte Regierungssprecher Steffen Seibert: „Für Politiker ist Gelassenheit im Umgang mit dem, was einem alles nicht gefällt, sicherlich die beste Herangehensweise.“

Gibt sich empört: der türkische Staatspräsident Erdogan. Foto:
Gibt sich empört: der türkische Staatspräsident Erdogan. Foto:
Αντώνης Σαμαράς / flickr (CC BY-SA 2.0)

Das türkische Außenministerium hatte die Karikatur als Beleg für eine Zunahme von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland bewertet – und den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt. Seibert betonte, die Bundesregierung werde nicht anfangen, einzelne Karikaturen als „gelungen oder nicht gelungen, freundlich oder hämisch, witzig oder unwitzig“ zu beurteilen. „Wir haben in diesem Land das volle Bekenntnis zur Pressefreiheit, zur Meinungsfreiheit, zur Kunstfreiheit – und darunter fällt auch die Karikatur.“ Außerdem gebe es im besagten baden-württembergischen Schulbuch auch Zeichnungen, die sich sehr kritisch mit dem Verhalten Deutscher gegenüber ausländischen Mitbürgern auseinandersetzten: „Lohnt sich also, das ganze Buch zu sehen“, sagte Seibert.

Die Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz zeigten zeigten sich verwundert über die Kritik aus der Türkei. Eigentlich zeige die Karikatur ein positives Beispiel für gelungene Integration, sagte Heribert Lenz. «Leute, die das fehlinterpretieren, haben den eigentlichen Witz nicht verstanden.» In einem Kommentar in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» erklärten sie: «Humor- und Ironiekompetenz sind leider im Niedergang begriffen.» In diesem Fall hätten sie aber eher Beschwerden vom Deutschen Alpenverein, von konservativen bayerischen Heimatvereinen oder von türkischen Nahrungsmittelproduzenten erwartet, nicht aber vom türkischen Präsidenten.

Die Zeitung "Miliyet" veröffentlichte in ihrem Online-Auftritt die Karikatur der Zeichner Greeser & Lenz. Rechts im Bild: der Hund des Anstoßes. Screenshot
Die Zeitung „Miliyet“ veröffentlichte in ihrem Online-Auftritt die Karikatur der Zeichner Greeser & Lenz. Rechts im Bild: der Hund des Anstoßes. Screenshot

Mit dem Buch, in dem die Karikatur abgedruckt ist, wird in Gymnasien in den Fächern Gemeinschaftskunde und Wirtschaft unterrichtet. Der Westermann Schulbuchverlag, in dem das Werk erschienen ist, teilte laut „Spiegel online“ in einer Erklärung mit: Schüler sollten lernen, sich ein eigenes Urteil zu bilden: „Wer den Vergleich von Politikern mit Wachhunden unpassend findet, kann und soll das äußern, wer es für vertretbar hält, ebenso.“ Zudem könne die Karikatur „viel eher als integrationsverstärkend interpretiert werden als umgekehrt“.

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Auch der Deutsche Lehrerverband (DL) wies die Kritik aus Ankara zurück. „Für die Kritik aus der Türkei habe ich null Verständnis“, sagte DL-Präsident Josef Kraus dem „Handelsblatt“. Schule in Deutschland sei Schule in einem freiheitlichen Rechtsstaat. „Dazu gehört, dass Schüler unter anderem im Geiste der Meinungsfreiheit erzogen werden“, sagte Kraus. Eine Zensur finde nicht statt. Auch das sollten Schüler in deutschen Schulen erfahren dürfen. „Erdogans Diktate haben in der deutschen Schulpolitik nichts zu suchen“, befand der DL-Chef. „Im Übrigen vertraue ich unseren Lehrern, die eine solche Karikatur zusammen mit ihren Klassen in der gebotenen Differenzierung zu analysieren wissen.“

In Stuttgart versammelten sich einige Demonstranten vor dem Ministerium mit einem Plakat, auf dem neben der Karikatur der Spruch zu sehen war: «Jetzt reicht’s! Hetze und Rassismus unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit! Und jetzt auch in Lehrbüchern!». Die Protestaktion sei von den «Türkisch Europäischen Demokraten» angemeldet worden, sagte ein Sprecher der Stadt. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Kommentar: Erdogan in Rage – Warum Kretschmann sich entschuldigen sollte

Zum Bericht: Karikatur in deutschem Schulbuch bringt Erdogan in Rage – Streit um Entschuldigung

 

 

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sofawolf
9 Jahre zuvor

Trotzdem verstehe ich nicht, wieso in einem deutschen Lehrbuch eine Karikatur des türkischen Präsidenten erscheinen muss. Das ist keine Veröffentlichung für einen Tag und danach wieder vergessen, sondern mitunter für viele Jahre und Schülergenerationen. Das muss nicht sein !

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Aber hat sich denn die Einstellung des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten der Türkei zu den Deutsch-Türken geändert? Ist die Kernaussage dieser Karrikatur gegenstandslos geworden?

Ich verstehe die nämlich so, dass der kettenhund darüber wacht, dass sich die Türken nicht zu stark assimilieren und bitte schön ihr „Türkentum“ hochhalten und den Weisungen der türkischen regierung folgen, egl wo sie leben.

sofawolf
9 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Ich meine, dass Lehrbücher grundsätzlich unpolitisch sein sollten – im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Was DAGEGEN verstößt, darf auch in einem Lehrbuch benannt werden (wenn es inhaltlich passt, also z.B. in Ethik).

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Und wie kommt Schule dann ihrer Verpflichtung nach, SuS zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu befähigen? Beschränken wir uns jetzt nur noch auf die Befähigung zur Teihabe am Wirtschaftsleben, mit besonderem Schwerpunkt als Arbeitnehmer. Konsumentenrechte und Arbeitnehmerrechte klammern wir aus, da diese ja auf politischen Grundhaltungen beruhen während Lohnsklaventum in prekären Arbeitsverhältnissen gut für das Wirtschaftswachstum ist?

Das GG muss dann ebenso wenig im Unterricht behandelt werden wie die Erklärung der allgemeinen Menschenrechte, da diese ja Ausdruck politischer Überzeugungen sind. Also zurück zum Gottesgnadentum oder striktem Kadavergehorsam, garantiert unpolitisch – aber siehe 45 kann tötlich enden.

Wie behandelt man das Thema deutsche Wiedervereinigung – so ganz unpolitisch?

sofawolf
9 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Mir fällt gerade auf, -unpolitisch- war vielleicht das falsche Wort, -nicht parteillich- passt womöglich besser. Weiter unten habe ich erklärt, was ich meine.

Küstenfuchs
9 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Die Karikatur gehört unbedingt in ein deutsches Schulbuch. Der türkische Präsident betreibt eine Politik der Einschüchterung politisch unbequemer Personen, sein Land ist aber trotzdem NATO-Partner. Wie soll man Jugendliche zu eigenem kritischen Denken erziehen wenn nicht auf genau diese Weise?

Wer fordert, dass Schulbücher unpolitisch sein sollen, bereitet den Nährboden für eine spätere Diktatur.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

Die Erdogan-Karikatur finde ich in Ordnung. Kopfzerbrechen bereitet mir allerdings die grundsätzliche Frage nach der Berechtigung politischer Schulbuchinhalte.
Politik und Geschichte sind nicht verlässliche Disziplinen wie Mathematik oder Physik. Je nach Ideologie, Lagerdenken und Überzeugungsabsicht können hier Fakten eingefärbt, zweckdienlich interpretiert und zur psychologischen Beeinflussung genutzt werden.
Demokratien schützen Schulbücher nicht zwangsläufig vor Missbrauch – vor allem dann nicht, wenn sich ideologische Meinungshoheit breit macht, die das aushöhlt, was unser Grundgesetz aus guten Gründen schützt: die Meinungsfreiheit. Ohne sie wird die demokratische Grundordnung zur Farce und es herrschen Gesinnungsvorschriften, die zwar nicht mit physischer, dafür aber mit psychischer Gewalt durchgesetzt werden.
Welcher Politiker, welcher Journalist oder sonst wie namhafte Bürger kann es sich noch leisten, ehrlich und unverblümt eine Meinung kundzutun, die nicht dem sog. politisch korrekten Mainstream entspricht? Eine der üblichen Empörungswellen mit ihren existenzbedrohlichen Zutaten würde ihn treffen – sei es die Nazi-Keule, die Rassismus-Keule, oder auch die Phobien-Keule. Mainstream und Mainstreamung erfüllen vieles von dem, was Diktaturen ausmacht.
Ich teile momentan „sofawolfs“ Unbehagen gegenüber politischen Inhalten in Schulbüchern, obwohl ich sie im Prinzip richtig finde. Die Gefahr von indoktrinierendem Missbrauch ist m. E. in den letzten Jahren enorm gestiegen und ich sehe keine Instanz, die dem Treiben Einhalt gebietet.

xxx
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Als ernsthafter Lehrer für Politik / Geschichte / Ethik usw. würde ich mich nicht auf das Buch verlassen. Die besten Materialien findet man irgendwo im Netz. Wenn man halbwegs tagesaktuell sein möchte, sowieso.

(Ich bin Naturwissenschaftler. Ich habe bisher noch kein wirklich gutes Buch für meine Fächer gefunden.)

sofawolf
9 Jahre zuvor

Ich bin Geisteswissenschaftler und ich habe auch noch kein wirklich gutes Lehrbuch für meine Fächer gefunden. Wahrscheinlich, lieber Kollege, liegt das daran, dass jeder Lehrer da doch auch andere Vorstellungen hat, was gut wäre. Zum Thema wiederum möchte ich sagen, dass die Schule ja zu „parteipolitischer“ Neutralität verpflichtet ist. Das lässt immer noch viel Spielraum für ethische Erziehung und politische Wissensvermittlung. Es äußert sich z.B. darin, dass ich mit den Kindern über den Konflikt in der Ukraine spreche und dabei nicht nur die Argumente der einen, sondern beider Seiten nenne und es äußert sich darin, dass ich meine (partei-)politische Präferenz nicht zu erkennen gebe. Das wiederum beinhaltet nicht, dass ich Völkermord nicht Völkermord usw. nennen und als solchen geißeln darf. Ich sprach ja bereits von „Neutralität“ im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das ist zwar viel Platz, aber auch nicht endlos.

Zitate
9 Jahre zuvor

Trotzdem verstehe ich nicht, wieso in einem deutschen Lehrbuch eine Karikatur des türkischen Präsidenten erscheinen muss.

xxx
9 Jahre zuvor
Antwortet  Zitate

Würden Sie bei einer Karikatur, die George W. Bush als geistig retardierten Roboter diverser Lobbyorganisationen entlarvt, auch so kommentieren? Ich habe da ehrlich geschrieben so meine Zweifel.

ketzer
9 Jahre zuvor
Antwortet  Zitate

Und ich verstehe nicht, warum es nicht nur bei uns, sondern in allen westlichen Staaten immer Probleme mit Karikaturen von Personen aus dem islamischen Bereich gibt. Karikaturen gehören bei uns zur Kultur. Sie sind ohne Worte, aber mit Humor aussagekräftig. Erdogan hat ja immerhin eine Menge mit Deutschland zu tun.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass überhaupt ein Hahn danach kräht, wenn über einen westlichen Politiker eine Karikatur in einem deutschen Schulbuch erscheint. Der Politiker selbst würde sich mit Wehleidigkeit auch nur lächerlich machen.
Diese Rücksichtnahme und der vorauseilende Gehorsam gegenüber der seelischen Befindlichkeit von Personen aus dem islamischen Kulturbereich sind traurige Zeichen für beide Seiten.
Umso wohltuender, dass diesmal kein kollektiver Kniefall der Entschuldigung erfolgt ist. Wer wie Erdogan den starken Mann markiert, wird ja wohl noch eine so relativ harmlose Zeichnung ertragen können.

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  Zitate

Es ist doch gar keine Karrikatur des (damaligen) türkischen MinPrä. Hier wird der assimilierte türkische Hüttenwirt karrikiert. Der die assimilation verhindern wollende Kettenhund ist doch gar nicht dargestellt. Es gibt allenfalls eine indirekte Andeutung. Die Hundehütte, an der die Kette fest gemacht ist, trägt die Inschrift Erdogan, nicht mehr und nicht weniger. Aber wie immer, getroffene Hunde bellen besonders laut.

Bernd
9 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Es geht doch gar nicht darum, ob die Karikatur inhaltlich treffend ist oder nicht. Satire darf alles, aber nicht jeder darf Satire. Staatliche Instanzen, die Menschen verulken? Hatten wir schon – möchte ich in unserer Demokratie nicht haben. Und ein Schulbuch ist nun mal aufgrund der notwendigen Genehmigung durch ein Kultusministerium ein staatlich anerkanntes Werk. Man erinnere sich nur an die Herausgabe des ersten deutsch/französischen und des ersten deutsch/polnischen Schulbuches – das waren mittlere Staatsakte, gefeiert von jeweils beiden Seiten. Da können sich die verantwortlichen Politiker jetzt nicht hinstellen und auf Meinungsfreiheit pochen. Wenn die in Schulbüchern gilt, dann dürfen Regierungen dort auch Oppositionelle vergackeiern lassen – oder wie wär’s mal mit dem US-Präsidenten, dem israelischen Präsidenten oder dem Papst? Oder ein paar Witzen über Sinti und Roma? Am besten mal bei der „Titanic“-Redaktion nachfragen – die haben bestimmt sehr komische auf Lager. Ob die Amerikaner, die Israelis oder die Katholiken das dann aber lustig finden, darf getrost bezweifelt werden.

ketzer
9 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Was sind Sie doch immer wieder für ein politisch korrekter Gutmensch, Bernd.
Sie entnehmen der Satire also nur den Aspekt „verulken“. Ich entnehme der Satire vor allem: „Kritischer Humor mit nachdenklich machender Aussage“.
Karikaturen im Untericht zeigen höchst anschaulich die Meinung des Zeichers und beleben die Gedanken und das Gespräch darüber. Vielleicht sollte dieses Medium in der Schule viel öfter eingesetzt werden.
Möge der Himmel verhüten, dass der neuzeitliche Edelmensch es nicht auch noch fertig bringt, diese Schiene der Kritik (auch in Schulen!) unter Moralverbot zu stellen.
Herrn Kretschmann sei Dank, dass er da noch ein gesundes Verständnis für Satire hat.

sofawolf
9 Jahre zuvor

@ Bernd, ich stimme Ihnen zu. Lassen Sie sich Ihren „Gerechtigkeitssinn“ nicht schlechtreden mit dem Todschlagargument, ein Gutmensch zu sein. Sie wissen ja, es gibt für alles einen Spruch dafür und auch wieder einen dagegen. Ich meine auch und bekräftige, es gibt „Grenzen des guten Geschmacks“. Satire darf eben nicht ALLES und sich dann dahinter verstecken, dass es ja nur Satire sei. So, wie jemand fragt, ob ich eine Karikatur des amerikanischen Präsidenten in einem deutschen Schulbuch auch gegeißelt hätte, so frage ich (es tat eigentlich schon jemand), ob Karikaturen des Papstes, Hitlers oder welche, die die Sinti und Roma „verulken“, denn auch mit „Satire darf alles“ gerechtfertigt werden würden. Nein, Schulbücher sollen „politisch neutral“ sein – weder für noch gegen Erdogan; weder für noch gegen Obama. Und trotzdem können sachliche Argumente für und gegen Erdogan, Obama u.a. in einem passenden Lehrbuch (Ethik, Geschichte etc.) dargestellt werden. Sachliche Gegenüberstellung unterschiedlicher Sichtweisen ist eben doch etwas anderes als öffentlicher Hohn und Spott. Es möge sich jeder, der hier dafür plädiert, fragen, ob er selbst gerne öffentlich verhöhnt und verspottet werden würde – mit dem Argument „Satire darf alles“.