Fast drei Viertel der Deutschen gegen Regelschulbesuch geistig Behinderter

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BERLIN. Fünf Jahre ist die UN-Behindertenrechtskonvention nun schon in Kraft. Aber trotz intensiver Inklusionsdebatten haben mehr als drei Viertel der Bundesbürger noch nichts von dem internationalen Übereinkommen gehört. Die große Mehrheit lehnt außerdem die gemeinsame Schule mit geistig Behinderten ab.

Für Kinder mit geistiger Behinderung ist nach Ansicht der meisten Bundesbürger der Besuch einer speziellen Förderschule am besten. 71 Prozent meinten dies in einer Umfrage der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Zwei von drei Befragten haben große Zweifel, dass andere Schulen ausreichend auf die Integration dieser Kinder vorbereitet sind. Besonders Eltern schulpflichtiger Kinder (76 Prozent) sehen hier größere Probleme.

Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben scheint noch nicht allzu tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Foto: camil tulcan / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben scheint noch nicht allzu tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Foto: camil tulcan / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Auf die Frage, wer letztlich darüber entscheiden sollte, ob ein Kind mit einer geistigen Behinderung auf eine Regelschule oder eine Förderschule gehen sollte, plädiert eine relative Mehrheit der Bevölkerung (42 Prozent) für den Elternwillen. Nur eine Minderheit meint, die Schulbehörde oder die Schule (26 Prozent) solle diese Entscheidung treffen.

Das Interesse an der Diskussion um die schulische Inklusion ist indes erstaunlich gering. Weite Teile der Bevölkerung (77 Prozent) haben die Debatte nicht oder nur am Rande mitbekommen. Näher mit dem Thema beschäftigen sich laut der Umfrage nur rund 20 Prozent der Bürger. Selbst bei den Eltern schulpflichtiger Kinder war es nur etwas mehr als ein Viertel (27%). 10 Prozent der Eltern haben nach eigener Aussage Nichts von der Inklusionsdebatte mitbekommen

Weitgehend unbekannt bleibt auch UN-Behindertenrechtskonvention als Auslöser für die Inklusionsdebatte. Nur 22 Prozent der Befragten gaben an, von der Konvention gehört zu haben. Jeder Fünfte hat dabei Kontakt zu Menschen mit geistiger Behinderung, sei es in der eigenen Familie, dem Verwandten- oder Bekanntenkreis.

Die meisten Befragten sind der Meinung, dass geistig Behinderte am gesellschaftlichen Leben nur eingeschränkt teilhaben können. Bei selbstständigem Wohnen, eigenständigen Urlaubsreisen oder im regulären Arbeitsleben halten jeweils nur 4 bis 9 Prozent die uneingeschränkte Teilhabe für möglich – 61 bis 75 Prozent sehen dagegen eingeschränkte Möglichkeiten. Bei der Freizeitgestaltung meinen 19 Prozent der Befragten, dies sei uneingeschränkt möglich.

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Aus Sicht der Befragten sind Menschen mit geistiger Behinderung in erster Linie „hilfsbedürftig“ (88 Prozent). Nur wenige Befragte glauben, dass Menschen mit geistiger Behinderung „selbstständig“ oder „gut integriert“ sind. Jeweils 18 Prozent assoziieren diese Begriffe im Zusammenhang mit geistig behinderten Menschen.

Nach Meinung der Vorsitzenden der Lebenshilfe, Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt zeigten die Ergebnisse der Umfrage, «dass bei der umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe noch erheblicher Nachholbedarf besteht“.

Die Lebenshilfe will mittelfristig eine Schule für alle Kinder. So lange die Rahmenbedingungen wie zusätzliche Lehrer und eine Ausrichtung der Pädagogik auf heterogene Gruppen noch nicht stimmten, solle das Förderschulsystem aber erhalten bleiben, damit Eltern eine Wahlmöglichkeit hätten, befand Schmidt. (News4teachers)

Studienergebnisse zum Download

zum Bericht: Reaktion auf den Brandbrief: Bündnis für Inklusion macht Druck auf die Politik
zum Bericht: Behinderte Kinder im Bus mit Gepäckgurten festgebunden

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3 Kommentare
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xxx
9 Jahre zuvor

Die Inklusionsfanatiker müssten jetzt die Behindertenfeindlichkeit von fast drei Viertel der Deutschen kritisieren …

Immerhin plädiert auch die Lebenshilfe für den (vorläufigen) Beibehalt des Förderschulsystems. Der Politik bzw. den Kämmerern dürfte das aber reichlich egal sein.

Gerald
9 Jahre zuvor

Wenn diese selbsternannten Experten für Mitmenschlichkeit wie Ulla Schmidt doch endlich begreifen würden, dass es den Gegnern einer radikalen Inklusion gerade ums Ernstnehmen der Schwierigkeiten von Behinderten geht.
Die Realität schön zu malen und Hilfsbedürfigkeit auf den Ohrwurm „umfassende gesellschaftliche Teilhabe“ zu reduzieren, ist nicht nur uneinfühlsam, sondern auch eitel und selbstgefällig.
Ein Glück, dass sich in diesem Fall die Mehrheit der Bevölkerung ein gesunderes Empfinden bewahrt hat.

Reinhard
9 Jahre zuvor

Bedrückend ist, dass Frau Schmidt gar nicht den Gedanken denken kann, dass die 3/4 aller Deutschen die Sache realistisch sehen könnten.