Pampers statt Parlament – erster Abgeordneter nimmt Elternurlaub

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STUTTGART. Arbeitszeiten über die vieler Arbeitnehmer hinaus, Terminhetze und weite Anfahrtswege – als Abgeordneter ein Baby in den Alltagsstress einzubauen, ist schwer. Mit einer einmaligen Regelung erleichtert der baden-württembergische Landtag dies jetzt frischgebackenen Eltern.

Kein deutscher Abgeordnteter hat bislang Eltern-Urlaub genommen - bis jetzt. Foto: paparutzi / Flickr (CC BY 2.0)
Kein deutscher Abgeordnteter hat bislang Eltern-Urlaub genommen – bis jetzt. Foto: paparutzi / Flickr (CC BY 2.0)

Eine weiche Decke auf dem Boden, Stofftiere allerorten – im Haushalt von Kai Schmidt-Eisenlohr ist alles auf den kleinen Joa ausgerichtet. Sein Vater hockt entspannt auf dem Boden und zeigt dem Wonneproppen ein Stoffbuch. Das Lieblingsbuch des Sohnemanns hatte der Grünen-Parlamentarier auch eineinhalb Wochen zuvor mit im Landtag, als er vom Rednerpult unter dem Motto «Pampers statt Parlament» seinen Elternurlaub ankündigte.

Der 36-Jährige aus Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis) ist der erste Abgeordnete in Deutschland, der sich eine genehmigte Auszeit nimmt, um sich eine Weile seinem Nachwuchs zu widmen. Was für andere Arbeitnehmer gang und gäbe ist, war für Parlamentarier bislang unmöglich. Baden-Württemberg betritt bundesweites Neuland.

Joa ist vier Monate alt. Der hochschulpolitische Sprecher seiner Fraktion hat also noch zwei Monate, in denen er guten Gewissens Ausschuss-, Arbeitskreis- oder Plenumsitzungen fernbleiben darf. Denn nach der von allen Fraktionen befürworteten Änderung der Landtags-Geschäftsordnung können sich in Baden-Württemberg frischgebackene Eltern bis zu sechs Monate nach der Geburt ihres Kindes beurlauben lassen, ohne ihr Mandat zu verlieren. Für die Frauen kommt der Mutterschutz als Beurlaubungsgrund hinzu.

Statt von einem Termin zum anderen im Wahlkreis und in der Landeshauptstadt zu hetzen, schaltet der Abgeordnete einen Gang runter. «In der Zeit mit Joa ist man ganz stark entschleunigt.» Der stolze Vater lässt auch mal das Telefon klingeln, um dem plappernden Sohn zu lauschen. «Dreh- und Angelpunkt ist jetzt mein Sohn.» Mutter Nadja Böhler findet es toll, dass ihr Mann sich dem Nachwuchs widmet. «Ich freue mich, dass er das auch erleben darf», sagt die Flugbegleiterin, die ein Jahr Elternzeit genommen hat.

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Warum zieht der Grüne nicht einfach ohne Elternurlaub die Bremse an? «Der Symbolwert des Elternurlaubs ist enorm», antwortet Schmidt-Eisenlohr. «Mir fällt es leichter, mich etwas aus dem Alltagsgeschäft rauszuziehen, und die Leute haben auch mehr Verständnis.» Die neue Möglichkeit sei ein Signal für politisch interessierte junge Menschen. «Der Altersdurchschnitt im Landtag ist mit 54 Jahren relativ hoch.» Dagegen sei der Frauenanteil mit gut 20 Prozent gering. Wegen des Stillens sei es für Frauen besonders wichtig, die ersten sechs Lebensmonate ihres Babys Zuhause bleiben zu können. Die neue Regelung stärke nicht nur die Rolle der Väter in der Kinderbetreuung, sondern mache das Abgeordnetenmandat attraktiver.

Für ein Hauptproblem haben die Fraktionen gemeinsam eine Lösung gefunden. Denn fehlt Schmidt-Eisenlohr betreuungsbedingt bei Abstimmungen, könnte seine Fraktion Nachteile davontragen. Damit das Kräfteverhältnis zwischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen nicht verzerrt wird, hat man sich auf das sogenannte Pairing verständigt, das schon bei Erkrankungen gilt. So wird bei den Abstimmungen im Plenum, bei denen der Grüne fehlt, ein Christdemokrat auf sein Stimmrecht verzichten. Die Bewährungsprobe steht noch aus, aber der Wirtschaftsingenieur ist überzeugt, dass die Opposition mitzieht, zumal sich die CDU Frauenförderung auf die Fahnen geschrieben habe.

Kritik aus der FDP, die Parlamentarier verdienten doch mit 7000 Euro genug, bei Terminen eine Betreuung zu engagieren, ficht den Grünen nicht an: «Gerade das will ich ja nicht, ich will ja für meinen Sohn dasein.» Auch werde er seine Wahlkreisarbeit nicht vernachlässigen. «Ich kümmere mich schon darum, dass nichts liegen bleibt.» Die Diäten erhält Schmidt-Eisenlohr weiterhin. Er muss lediglich auf die Vergütung verpasster Sitzungen verzichten – jeweils 40 Euro.

Rückenwind erhält er vom Landtagspräsidenten Guido Wolf (CDU), der den Antrag des Kollegen genehmigt und ihm eine «erfüllte Elternzeit» gewünscht hat. Bedenken weist Wolf zurück: «Es geht es ja nicht darum, andere mit der Kinderbetreuung zu beauftragen, sondern darum, diese selbst zu übernehmen.» Er könne sich vorstellen, dass das Modell Schule macht: «Denn es erleichtert jungen Müttern und Vätern, Familie und Mandat unter einen Hut zu bringen.» Der von der SPD initiierte Vorstoß ist auch schon im Bundestag und in anderen Landesparlamenten auf Interesse gestoßen.

Klein-Joa auf der Kuscheldecke ahnt nicht, dass er das erste Kind bundesweit ist, das von der Neuerung profitiert. Mit seiner winzigen Hand umfasst er den Zeigefinger des Vaters und strampelt mit den Beinchen. Schmidt-Eisenlohr will jeden Entwicklungsschritt seines Sohnes in den nächsten Wochen erleben: «Das nimmt einem keiner mehr.» Von Julia Giertz, dpa

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