Diagnose «Risikogesellschaft»: Soziologe Ulrich Beck tot

0

MÜNCHEN. Sein Befund zur «Risikogesellschaft» bahnte ihm eine Karriere, wie sie nur wenigen Soziologen vergönnt ist. Auch viele Politiker holten sich bei ihm Denkanstöße. Trotz düsterer Prognosen ist Ulrich Beck Optimist geblieben – bis zuletzt.

Einer der einflussreichsten deutschen Sozialwissenschaftler der vergangenen Jahrzehnte: Ulrich Beck (Foto von 2007). Foto: BeckGroeberKleine / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Einer der einflussreichsten deutschen Sozialwissenschaftler der vergangenen Jahrzehnte: Ulrich Beck (Foto von 2007). Foto: BeckGroeberKleine / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Der Soziologe Ulrich Beck ist im Alter von 70 Jahren gestorben. Dies bestätigte die Sprecherin des Suhrkamp-Verlags in Berlin, Tanja Postpischil, am Samstag. Nach einem Bericht von Süddeutsche.de starb Beck bereits am 1. Januar an den Folgen eines Herzinfarkts.

Beck war einer der einflussreichsten und bekanntesten Sozialwissenschaftler der vergangenen Jahrzehnte. Viele Politiker holten sich bei ihm Denkanstöße. Berühmt wurde er mit dem Bestseller «Risikogesellschaft» (1986), der in mehr als 35 Sprachen übersetzt und 2007 mit dem Buch «Weltrisikogesellschaft» aktualisiert wurde.

Demnach krankt die moderne Gesellschaft nicht an ihren Niederlagen, sondern an ihren Siegen: Der weltweite Terrorismus ist Konsequenz eines Sieges der Moderne. Die Klimakatastrophe droht, weil die Industrialisierung so erfolgreich war. Die Massenarbeitslosigkeit folgt aus den Produktivitätsgewinnen. Die Alterspyramide sprengt die Sozialsysteme, weil die Medizin die Menschen länger leben lässt.

Becks Ausführungen zur sozialen Konstruktion globaler Risiken in der «zweiten Moderne» fanden viel Zustimmung: Weil das Risiko – als Vorwegnahme einer möglichen Katastrophe – nicht messbar ist, hängt sein gefühltes Ausmaß von der Definition ab. Es kann dramatisiert oder minimiert, verwandelt oder geleugnet werden. Und es muss sichtbar werden ­ etwa als Wirbelsturm, der zum Vorboten der Erderwärmung erklärt wird.

Anzeige

Die globalen Weltrisiken, so argumentierte Beck, entziehen sich der Kontrollierbarkeit. Er kritisierte, dass die Politik mitunter den Schrecken inszeniere und die Terrorangst nutze, um ungehemmt Sicherheitsgesetze und Überwachungsinstrumente auf den Weg zu bringen.

Mit Humor, griffigen Bildern und Bodenhaftung publizierte Beck – gelegentlich gemeinsam mit seiner Frau und Kollegin Elisabeth Beck-Gernsheim – einen Bestseller nach dem anderen. In «Das ganz normale Chaos der Liebe» (1990) und «Fernliebe: Lebensformen im globalen Zeitalter» (2011) beschrieb das Paar das Zerbrechen traditioneller Werte und Bindungen sowie die Folgen der Individualisierung.

Beck wurde am 15. Mai 1944 in Stolp/Pommern (heute Słupsk/Polen) geboren. Nach der Übersiedlung der Familie in den Westen wuchs er mit seinen vier Schwestern in Hannover auf. Von 1973 bis 1979 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität München, anschließend als Professor für Soziologie an den Universitäten Münster und Bamberg. 1992 kehrte er nach München zurück. Als Direktor des Soziologischen Instituts blieb er dort bis zu seiner Emeritierung (2009).

Als Gastprofessor lehrte er 1995 bis 1998 in Cardiff (Wales) und ab 1997 an der London School of Economics and Political Science (LSE). 2011 wurde er Professor der Pariser Wissenschaftsstiftung Fondation Maison des Sciences de l’Homme (FMSH). dpa

Hier geht es zu einem Interview des Fernsehsenders Phoenix mit Ulrich Beck von 2013.

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments