Hoffnung fürs „Uni-Prekariat“: Politik krempelt die Ärmel hoch, um Nachwuchsforschern zu helfen

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BERLIN. Miserable Job-Verhältnisse an deutschen Hochschulen schrecken die Politik auf. Ministerin Wanka präsentiert nun eine Doppelstrategie für bessere Karrierewege in der Wissenschaft: Per Gesetzesreform und Bund-Länder-Pakt soll dem Uni-Nachwuchs geholfen werden.

Viel Ehr', wenig Salär: Wissenschaftliche Mitarbeiter leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen: Fassade der Berliner Humboldt-Universität. Foto: Rolf Handke / pixelio.de
Viel Ehr‘, wenig Salär: Wissenschaftliche Mitarbeiter leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen: Fassade der Berliner Humboldt-Universität. Foto: Rolf Handke / pixelio.de

Bundesforschungsministerin Johanna Wanka ist für ihre freundlich-konziliante Tonlage bekannt. Daher klang es schon fast wie ein Wutausbruch, als die CDU-Politikerin kürzlich die Misere des Uni-Nachwuchses beklagte: «Es ist indiskutabel, dass mehr als die Hälfte der Wissenschaftler bei ihrem ersten Vertrag kürzer als ein Jahr beschäftigt werden.» Dennoch überrascht nun manche, mit welcher Verve Wanka zu Werke geht. Zugleich liegt die Ministerin im Trend, wenn sie für das «Uni-Prekariat» die Ärmel aufkrempelt.

Denn auch in den Bundesländern passiert derzeit einiges. Erst vorige Woche überraschte das CSU-regierte Bayern mit neuen Grundsätzen für jüngere Wissenschaftler: Befristete Verträge sollen künftig mindestens ein Jahr Laufzeit haben und Doktoranden für zwei bis vier Jahre beschäftigt werden, angehende Professoren für vier bis sechs.

Nach Schätzungen sind in Deutschland zwischen 140.000 und 200.000 Nachwuchsforscher von prekären Beschäftigungsverhältnissen mit oft extrem kurzfristigen Verträgen betroffen. Wanka will dafür zusammen mit den Bundesländern eine finanziell unterfütterte Pakt-Lösung finden und zugleich «zügig» das Wissenschaftszeitvertragsgesetz von 2007 ändern, wie es der schwarz-rote Koalitionsvertrag vorsieht.

«Unser Entwurf ist fertig. Aber wir haben verabredet, dass die Koalitionsfraktionen, die unterschiedliche Vorstellungen haben, sich zunächst über die Eckpunkte verständigen», sagte Wanka. Ihr Gesetzentwurf werde «im Sommer» dem Kabinett vorliegen. «Dann hängt es von der Geschwindigkeit im Bundestag ab.»

Die Ministerin ärgert sich über die Anwendung des bisherigen, gut gemeinten Gesetzes in den Hochschulen, die auf kurzfristige Verfügbarkeit jüngerer Wissenschaftler Wert legen. «Wir wollen eine hohe Flexibilität», sagt sie. «Die Flexibilität, die jetzt zum Teil ausgenutzt wurde, mit Halbjahresverträgen – das wollen wir nicht. Umgekehrt die Flexibilität wegzunehmen, mit einer Mindestlaufzeit, das wäre töricht.» Jedoch solle die Erstbefristung «orientiert sein an der Promotionszeit oder der Dauer des Drittmittelprojekts». Wenn Uni-Daueraufgaben nicht mit Dauerstellen bewältigt würden, schade das der Attraktivität des Hochschulstandortes, so Wankas Credo.

Dem Nachwuchs helfen soll zudem ein neues Bund-Länder-Programm, das die Ministerin schon bald mit frischem Geld anschieben möchte. Um mehr jungen Dozenten und Forschern den Weg zur begehrten Professur zu ebnen, wolle sie die Länder mit ins Boot nehmen, sagte Wanka. Sie biete an, in einem Pakt «insbesondere Tenure-Track-Stellen in großem Umfang als sicheren Karriereweg» an den Unis auszubauen.

Tenure-Track – ein in Deutschland noch eher selten genutztes Verfahren für akademische Karrieren – soll jüngeren Wissenschaftlern die Chance bieten, nach sechsjähriger Bewährungszeit eine Lebenszeit-Professur zu bekommen. Für diesen System-Umbau will Wanka «die Länder nochmal finanziell unterstützen, über Jahre» – zusätzlich zur Ende 2014 beschlossenen Bafög-Entlastung in Höhe von jährlich 1,2 Milliarden Euro. Mitte April solle es dazu erste Bund-Länder-Gespräche geben.

Ihr Beratergremium, den Wissenschaftsrat, und den Deutschen Hochschulverband weiß die Ministerin hinter sich. Aus den Ländern äußerten sich Hessens Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) und seine rheinland-pfälzische Kollegin Vera Reiß (SPD) zustimmend. Erste Reaktionen des betroffenen Uni-Nachwuchses seien «sehr positiv». Die SPD-Fraktion im Bundestag signalisierte ebenso Beifall für Wankas Pläne wie die Bildungsgewerkschaft GEW, die seit Jahren faire Chancen für den Uni-Mittelbau fordert. Ein Pakt für Tenure-Track könne die Gesetzesnovelle aber nicht ersetzen», sagte GEW-Vize Andreas Keller.

Aus der Politik kommen auch Mahnungen gegen Reform-Übereifer. So machte CDU-Experte Michael Kretschmer für die Union klar, man werde im Bundestag keine Gesetzesnovelle mittragen, die «Überregulierung» zur Folge habe. «In der wissenschaftlichen Qualifikationsphase wird es keine Sicherheit geben, wie wir sie sonst bei Arbeitnehmern in Deutschland kennen. Das ist vielleicht mit Enttäuschungen im Einzelfall verbunden, aber eben immanent für dieses System.»

Immerhin: Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen – darunter Deutsche Forschungsgemeinschaft und Hochschulrektorenkonferenz – räumt «Fehlentwicklungen» ein. Von ihr vorgeschlagene Gegenmaßnahmen seien eine «Grundlage für den Dialog mit der Politik». So will die altehrwürdige Max-Planck-Gesellschaft «mehr Transparenz bei den Karrierewegen»: Man werde die Mittel zur Nachwuchsförderung um fast 40 Prozent anheben – am Ende auf knapp 50 Millionen Euro pro Jahr. dpa

Zum Bericht: SPD drängt auf bessere Arbeitsbedingungen für wissenschaftliche Mitarbeiter – schon ab 2016

 

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