Sieben Bundesländer betroffen: Kopftuch-Urteil sorgt bundesweit für Diskussionen

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DÜSSELDORF/MÜNCHEN/STUTTGART/LEIPZIG. Von der Aufhebung des generellen Kopftuchverbots sind neben Nordrhein-Westfalen sieben weitere Bundesländer direkt betroffen, die ein entsprechendes Verbot in ihren Schulgesetzen verankert haben. Darüber hinaus sorgt das Urteil landauf landab für Diskussionen und wirft Bedenken auf.

Beim Deutschen Schulleiterkongress in Düsseldorf war das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts schnell zu einem Top-Thema geworden. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann freute sich sehr über den Entscheid. Sie kündigte an, rasch die entsprechenden Änderungen am NRW-Schulgesetz einzuleiten.

Junge Frau mit Kopftuch - «Namentlich ein Kopftuch ist nicht aus sich heraus religiöses Symbol.», befanden die Karlsruher Richter. Anders als ein Kruzifix an Schulwänden, stelle es daher auch keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben dar. Foto: wahyucurug / pixabay (CC0)
«Namentlich ein Kopftuch ist nicht aus sich heraus religiöses Symbol.», befanden die Karlsruher Richter. Anders als ein Kruzifix an Schulwänden, stelle es daher auch keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben dar. Foto: wahyucurug / pixabay (CC0)

Der am Freitag bekanntgewordene Richterspruch bedeutet auch einen späten Sieg für die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin. 1998 hatte sich die damalige Kultusministerin Annette Schavan (CDU), geweigert, die junge Lehrerin Ludin mit Kopftuch nach dem Referendariat in den Schuldienst zu übernehmen.

Ludin, die 1972 in Afghanistan geboren wurde und einen deutschen Pass besitzt, war erfolglos durch alle Instanzen gezogen, bis das Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2003 ein Grundsatzurteil erlies: Demnach konnte muslimischen Lehrerinnen das Tragen der Kopfbedeckung im Unterricht untersagt werden, wenn dafür eine gesetzliche Grundlage bestehe. Neben Baden-Württemberg und NRW haben Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen und das Saarland entsprechende Verbote in ihren Schulgesetzen.

Ludin, die an eine muslimische Privatschule in Berlin gewechselt war, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil. «Es geht hier nicht um Siegen oder Triumphieren. Aber ich freue mich nach dieser langen Zeit, dass die Gerechtigkeit hergestellt ist.»

Eine Änderung des baden-württembergischen Schulgesetzes gilt nun als wahrscheinlich. «Das Kultusministerium wird zunächst die schriftliche Begründung des Beschlusses eingehend prüfen, um danach zu entscheiden, welche Konsequenzen sich daraus für die Praxis in Baden-Württemberg ergeben und welche Schritte eingeleitet werden müssen», kündigte Minister Andreas Stoch (SPD) an. Glaubens- und Bekenntnisfreiheit habe einen hohen Stellenwert.

Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) sieht die Debatte um das Kopftuch mit dem Urteil nicht abgeschlossen. «Je stärker ein Kopftuch nicht mehr als etwas Privates, sondern Öffentliches wahrgenommen wird, desto skeptischer sieht es die Bevölkerung», sagte Öney.

Das Klassenzimmer dürfe nach Meinung von CDU-Fraktionschef Guido Wolf nicht für religiöse Auseinandersetzungen instrumentalisiert werden. Als Folge des Karlsruher Urteils gegen ein pauschales Kopftuchverbot müsse die Politik Kriterien entwickeln, dies im Einzelfall zu verhindern, sagte Wolf.

Heftige Diskussionen hat die Kopftuch-Erlaubnis auch in Bayern ausgelöst: Enttäuscht zeigte sich der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer. Vielen Menschen werde es schwerfallen, die Argumentation der Karlsruher Richter nachzuvollziehen: «Hier wird ein Fass aufgemacht, an dem in den letzten Jahren aus guten Gründen nicht mehr gerührt worden war.» Das Kopftuch sei vielfach Ausdruck nicht nur einer religiösen Überzeugung, sondern auch eines politischen Weltbildes, in dem die Scharia über staatlichen Gesetzen stehe, sagte der CSU-Politiker.

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Dem widersprach die religionspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Ulrike Gote. Nach ihren Worten ist «das Kopftuch nicht automatisch gleichzusetzen mit religiösem Fundamentalismus». Die Grünen-Politikerin begrüßte die Karlsruher Entscheidung als «ein positives Signal für die Religionsfreiheit in unserem Land».

Das bayerische Kultusministerium unter CSU-Minister Ludwig Spaenle will das Urteil genau prüfen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer betonte: «Bayern ist und bleibt ein christlich geprägtes Land, daran lassen wir nicht rütteln.» Man werde «alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit das Christentum bei uns in Bayern privilegiert bleibt».

Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger hält das Karlsruher Urteil für einen Fehler. «Der Trend „Kreuze raus aus den Schulen, Kopftücher rein“ setzt sich fort», sagte er. «Das ist bei aller gut gemeinter Toleranz ein Fehler.»

Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth derzeitige Präsidentin der Kultusminsterkonferenz sieht «Anpassungsbedarf» für einige Schulgesetze der Länder. Das Urteil lote das Verhältnis von öffentlichem Dienst und religiöser Betätigung neu aus, sagte die CDU-Politikerin. Die Entscheidung des Gerichts mache deutlich, dass vor Ort entschieden werden müsse, wie mit dem Tragen religiöser Symbole in Unterricht und Schule umgegangen werden solle.

Der juristische Erfolg zweier muslimischer Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen enthält denn auch eine Passage, die noch einiges Kopfzerbrechen bereiten könnte. Demnach ist ein differenziertes Verbot an bestimmten Schulen oder Schulbezirken denkbar, wenn «insbesondere von älteren Schülern oder Eltern über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten werden». Manche Kritiker könnten darin eine explizite Aufforderung sehen, sich möglichst heftig gegen eine kopftuchtragende Lehrerin an ihrer Schule zur Wehr zu setzen.

Der Vorstoß der Verfassungsrichter könnte daher letztendlich darauf hinauslaufen, dass sich nicht – wie erhofft – die Gesellschaft friedlich über Glaubensfragen auseinandersetzt – sondern dass Gerichte demnächst im Einzelfall Kopftuchverbote oder Schulverweise renitenter Schüler überprüfen müssen. (News4teachers mit Material der dpa)

zum Urteil

zum Bericht: Löhrmann begrüßt Aus von generellem Kopftuchverbot für Lehrerinnen
zum Bericht: Kopftuch-Urteil: Teilnehmer des Deutschen Schulleiterkongresses irritiert

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Reinhard Moysich
9 Jahre zuvor

Sämtliche Ungleichbehandlungen abschaffen!

Die vielen verfassungswidrigen Bevorzugungen von Christen stammen von 1948, als katholische Bischöfe (einschließlich Papst) mit massivem Druck – sogar verbunden mit einem Ultimatum! – eigentlich verbotene Bevorzugungen des Christentums im Grundgesetz und vielen anderen Verordnungen durchsetzten.
Es wird höchste Zeit, dass diese kriminellen Interventionen rückgängig gemacht werden und wirkliche Weltanschauungsneutralität in ganz Deutschland herbeigeführt wird, z.B. – paradoxerweise im Grundgesetz selbst –
statt Gottesbezug Bezug auf Menschenrechte,
statt Kirchensteuer Einzug der Mitgliedsbeiträge durch die Kirchen selbst,
statt Religionsunterricht an öffentlichen Schulen Ethik und Weltanschauungskunde und
statt der vielen staatlichen christlichen Feiertage weltanschauungsneutrale Feiertage z.B. des Friedens, der Liebe, Gerechtigkeit, Vielfalt.
Nur wenn alle religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen gemäß Grundgesetz-Art. 4 völlig gleich behandelt werden, kann Deutschland laut Bundesverfassungsgericht eine „Heimstatt“ für alle Menschen jeglicher Weltanschauung werden. Und außerdem würde wegen der dann vollständigen Gleichbehandlung mit dem Islam das Risiko islamistischer Terrorakte sinken.

Beate S.
9 Jahre zuvor
Antwortet  Reinhard Moysich

Bitte belegen Sie „die vielen verfassungswidrigen Bevorzugungen von Christen“ im Grundgesetz „und vielen anderen Verordnungen“, anstatt sie nur mit dem Anschein großer Kenntnis zu behaupten.
Was Sie ansprechen sind bestenfalls Überbleibsel unserer christlich geprägten Kultur, die Ihnen offenbar noch zu viel sind. Mit grundgesetzlicher oder behördlicher Bevorzugung haben diese Reste nichts zu tun.
Außerdem schreiben Sie:“ Und außerdem würde wegen der dann vollständigen Gleichbehandlung mit dem Islam das Risiko islamistischer Terrorakte sinken.“ Was für einen weiteren vorauseilenden Gehorsam und was für eine weitere Duckmäuserhaltung gegenüber den gewaltbereiten Islamisten wollen Sie uns denn da empfehlen?
Wenn Sie auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Religionen Wert legen und damit Ihre ausgewogene und humane Gesinnung demonstrieren, dann tun sie das in den islamischen Ländern, wo dies wirklich angebracht ist. Setzen sie sich bei unserem Nato-Partner Türkei mal dafür ein, dasschristliche Kirchen im Land erbaut werden dürfen. Und setzen sie sich in anderen Ländern mal dafür ein, dass Christen nicht täglich verfolgt und abgeschlachtet werden.
Genauso wie bei Ihnen herrscht darüber seit Jahrzehnten eine eigentümliche Zurückhaltung in der Kritik des Westens. Sie toppen dieses falsche Verständnis und diese feige Haltung mit ihrem Kommentar.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

@Beate S.
Mit Ihren Worten sprechen Sie mir aus dem Herzen. Wozu vorauseilender Gehorsam und Duckmäuserei gegenüber Einwanderern – nicht zuletzt denen aus islamischen Ländern – führt, zeigen jahrelange Verbrechen in England an einheimischen Kindern. Angehörige der Polizei und Behörden ließen sie tatenlos geschehen, um ja nicht durch Gegenmaßnahmen als islam- oder fremdenfeindlich dazustehen.

http://www.zeit.de/2014/37/ideologie-multikulturalismus-rotherham

Diese „Politische Korrektheit“ hat sich in fast allen Ländern der sog. westlichen Welt zu einer rigiden Ersatzreligion entwickelt, die eine Vernachlässigung – um nicht zu sagen „Austreibung“ – eigener Traditionen und Werte verlangt.
Das entscheidende Dogma für diese Pflicht zur Selbstverleugnung ist eine linksextreme Auslegung des Begriffs „Toleranz“. Wer sie missbilligt und die Hofierung von Minderheiten bis hin zur Trennung von eigenen Interessen und Wurzeln ablehnt, gilt als intolerant, phobiekrank oder gar hasskriminell. Er ist „rechts“ und somit freigegeben für einen Beschuss, der die soziale und berufliche Existenz vernichten kann.
Rotherham hat viel gelehrt, u. a. welch inhumane und perverse Früchte eine „Toleranz“ bringen kann, deren Deutungshoheit in den Händen fragwürdiger Weltverbesserer liegt.

Heike
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Richtig! Diejenigen, die von anderen ständig Toleranz einfordern, erweisen sich in der Regel selbst als höchst intolerant, wenn ihre Meinung nicht geteilt wird. Meinungsfreiheit hat für diese Leute nur Gültigkeit, wenn die eigenen Ansichten bestätigt werden.
Meine Erfahrung lehrt, dass wirklich tolerante Menschen das Wort Toleranz so gut wie gar nicht in den Mund nehmen, sondern es einfach in die Tat umsetzen, falls dies sinnvoll erscheint. Im Gegensatz zu den Marktschreiern der Toleranz haben sie den Begriff verinnerlicht und nicht nötig, daraus eine intolerante Kampfparole gegen Andersdenkende zu machen.