Stoch will Ganztag an weiterführenden Schulen zur Regel machen

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STUTTGART. An den Grundschulen in Baden-Württemberg ist der Ganztagsbetrieb bereits gesetzlich verankert. Das Interesse von Schulen und Kommunen an den möglichen Modellen entwickelt sich jedoch nur schleppend. Kultusminister Stoch will den Ganztagsausbau nun an Haupt, Werkreal- Realschulen und Gymnasien voranbringen.

Noch mehr Schüler als bisher sollen künftig Ganztagsschulen in Baden-Württemberg besuchen. Nach den Grundschulen nimmt Kultusminister Andreas Stoch (SPD) nun im Schuljahr 2016/17 verstärkt Haupt-, Werkreal-, Realschulen und Gymnasien in den Blick. Dort solle der Ganztagsbetrieb künftig auch zur Regel werden und nicht mehr als Schulversuch laufen, kündigte Stoch am Freitag in Stuttgart an.

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Ganztagsschulen seien ein pädagogisches Konzept und kein Bällebad, wo Eltern ihre Kinder abholen können, wenn sie wollen, betont Kultusminister Andreas Stoch. Foto: ChristosV / Wikimedia Commons

An den Grundschulen ist der Ganztagsbetrieb bereits seit knapp einem Jahr gesetzlich verankert – ein im Detail in der Landespolitik nicht unumstrittener Schritt.

Derzeit gibt es 172 Ganztagsgrundschulen, in denen 11 400 Schüler oder 40 Prozent der Gesamtschülerzahl am Ganztag teilnehmen; für 2015/2016 liegen 118 Anträge vor, darunter 32 «Umsteller» von der Ganztagsschule alter auf neue Art. «Ich hätte mir 30, 40 Anträge mehr vorstellen können», sagte Stoch. Die FDP im Landtag sprach von einer «mickrigen Bilanz». Es dürfe schwer werden, das grün-rote Ziel zu verwirklichen, einen Großteil der insgesamt rund 2500 Grundschulen auf Ganztagsbetrieb umzustellen.

Der Städtetag macht für die Zurückhaltung bei der Einrichtung und Umwandlung in Ganztagsgrundschulen mangelnde Flexibilität des Konzepts verantwortlich. Eltern schätzten die verlässliche Grundschule und die Nachmittagsbetreuung, die bei einer Umstellung auf das neue Konzept wegfallen. «Der Konflikt zwischen den differierenden Elternwünschen auf Schulbetreuung beziehungsweise Ganztagsschule kann nicht immer gelöst werden. Folglich wird der Status quo belassen», heißt es in einem Papier des Verbands.

Auch die CDU-Fraktion mahnte mehr Rücksicht auf die Elternwünsche an. «Eine starre Trennung – entweder gebundene Form oder kein Ganztag – ist kein attraktives Angebot für viele Familien im Land», sagte Schulexperte Georg Wacker. Die Grünen-Fraktion hingegen sagte Stoch Unterstützung beim Ausbau der Ganztagsschulen zu.

Bei einer Schulleiter-Tagung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach sich deren Landeschefin Doro Moritz gegen Ganztagsschulen in Wahlform aus, bei denen es den Familien frei steht, ob sie sich für den Halbtags- oder den Ganztagsbetrieb entscheiden. Im Gegensatz zur Wahlform wird bei der verbindlichen Form die ganze Schule auf Ganztagsbetrieb umgestellt. «Man muss die Schule zum Lebensraum machen», betonte Moritz. Schulleiter kritisierten, dass mit der Wahlform der Wechsel zwischen Unterricht und Bewegung und Spiel nicht praktikabel sei. Allerdings bezieht sich die große Mehrheit der neuen Anträge auf die Wahlform.

Stoch schilderte, dass sich viele Eltern vor einer Mehrbelastung der Kinder durch den Ganztag fürchteten. Dabei handele es sich aber nicht um eine «Verdoppelung der Halbtagsschule», sondern um ein anderes pädagogisches Konzept. «Ganztagsschulen sind kein Bällebad, wo Eltern ihre Kinder abholen können, wenn sie wollen.» Ein Vorteil sei auch, dass die Kinder getreu dem Motto «Schule bleibt in der Schule» in den eigenen vier Wänden keine Hausaufgaben mehr erledigen müssen, erläuterte Schulleiterin Mechthild Wittmer aus Höpfigheim (Kreis Ludwigsburg). Für die Lehrer gebe es jetzt Arbeitsplätze an der Schule, berichtete die Rektorin einer Grundschule weiter.

Stoch wertete vor allem die Kooperation der Ganztagsschulen mit außerschulischen Partnern sehr positiv. Dafür können die Schulen bis zu 50 Prozent der Mittel für zusätzliche Lehrerstunden in diese Zusammenarbeit stecken. Von der sogenannten Monetarisierung hatten 104 Ganztagsschulen Gebrauch gemacht. Sie arbeiten mit 376 Partnern aus Verbänden zusammen, etwa aus den Bereichen Sport, Kultur, Musik oder Jugendarbeit. Schwerpunkt der Kooperation sind 140 Sportvereine, die so auch Mitglieder werben können. Stoch: «Der Sport hat das Thema sehr früh als Chance erkannt.»

Grün-Rot will die Ganztagsschulen nicht nur wegen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf solidere Beine stellen. Die Landesregierung erwartet davon mehr Qualität und Bildungsgerechtigkeit, weil es zusätzliche Zeit für individuelle Förderung sowie musische und sportliche Angebote gibt. (Julia Giertz, Natalie Diedrichs, dpa)

zum Bericht: Ganztagsschulen sollen sich der “realen Welt” öffnen

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1 Kommentar
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Reinhard
9 Jahre zuvor

Bei uns sind die Grundschulen am zufriedensten, wo es Halbtagsunterricht und ein flexibles Betreuungsangebot am Nachmittag gibt, also die „Wahlform“. Warum findet die GEW diese flexible Form schlecht ?