An Heimkindern bereichert? Jugendamtsleiter unter Verdacht

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KÖLN/GELSENKIRCHEN. Der Gelsenkirchener Jugendamtsleiter und sein Stellvertreter sollen mit Heimkindern in Ungarn viel Geld verdient haben. Darüber hatte am 30. April das ARD-Magazin „Monitor“ berichtet. Fieberhaft arbeitet die Stadt seitdem an der Aufklärung.

Nach Recherchen von „Monitor“ hatte es jahrelang einen Deal zwischen dem Leiter des Gelsenkirchener Jugendamtes, seinem Stellvertreter und dem Gelsenkirchener St. Josef Heim gegeben haben soll. Nach Angaben von Informanten habe der Amtsleiter zielgerichtet immer mehr Jugendliche in das St. Josef Heim geschickt. Damit konnte das Heim seine Einnahmen erhöhen. Im Gegenzug habe dieses Heim Jugendliche von anderen Jugendämtern nach Ungarn geschickt, an eine Einrichtung, die die beiden Amtsleiter gegründet hatten.

Seit dem Maifeiertag sind die beiden Beschuldigten jetzt vom Dienst freigestellt. Sie streiten alle Vorwürfe ab. Nach Angaben von wdr.de heißt es in einer schriftlichen Erklärung, die der Jugendamtsleiter veröffentlicht hat, er habe nie Einfluss auf Entscheidungen genommen, welches Kind wohin komme. Für die Unterbringung im ungarischen Heim habe man pro Kind und Monat 5.500 Euro bekommen. Persönlich bereichert habe man sich aber nicht.

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Schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen des Jugendamtes: An der Not von Heimkindern bereichert? Foto: Alex Proimos / flickr (CC BY-NC 2.0)

Von der Nebentätigkeit in Ungarn hat die Stadt Gelsenkirchen offenbar gewusst. In einer Vereinbarung seien maximal 200 Euro als eine Art Aufwandsentschädigung genehmigt worden. Als der größere Umfang bekannt wurde, habe man um Unterlassung gebeten. Wie die Stadt mitteilte, habe man hingegen nicht gewusst, dass die Geschäfte auf Angehörige, im Falle des Jugendamtsleiters auf dessen Frau, übertragen wurden.

Der Skandal um die beiden Gelsenkirchener Jugendamtsleiter weitet sich jetzt noch aus. Nach Recherchen der WDR-Redaktion „die story“ ist auch der Kinderschutzbund Gelsenkirchen in die Affäre verwickelt. Danach wurden die Zahlungen für die Unterbringung in dem umstrittenen Kinderheim in Ungarn über den Kinderschutzbund Gelsenkirchen abgewickelt, in dessen Vorstand auch der stellvertretende Leiter des Gelsenkirchener Jugendamts sitzt.

Laut Jugendamt Gladbeck, aus dessen Verantwortungsbereich fünf Jugendliche in dem fraglichen Heim in Ungarn betreut worden waren, wurden Zahlungen in Höhe von durchschnittlich 175 Euro Tagessatz vom Kinderschutzbund Gelsenkirchen abgerechnet. Dies dürfte insbesondere den stellvertretenden Leiter des Gelsenkirchener Jugendamts, Thomas Frings, in Erklärungsnöte bringen, der gemeinsam mit dem Amtsleiter das ungarische Heim gegründet hatte. Frings ist gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Kinderschutzbundes Gelsenkirchen. Dem wdr liegt außerdem eine „Leistungs- und Entgeltvereinbarung“ des Kinderschutzbundes Gelsenkirchen für die individualpädagogische Jugendhilfemaßnahme in dem ungarischen Heim vor. Laut der vorliegenden Vereinbarung übernahm der Kinderschutzbund Gelsenkirchen die Durchführung der Maßnahme „in Zusammenarbeit mit seinen Kooperationspartnern in Deutschland und Ungarn“. In der Vereinbarung heißt es weiter, der Tagessatz von 175 Euro pro Kalendertag zuzüglich Taschengeld und Betreuungsgeld sei bis zum 15. des laufenden Monats auf das Konto des Kinderschutzbundes zu überweisen.

Auf die Frage, warum der Kinderschutzbund sein Konto zur Verfügung gestellt hat, sagt Silke Kozicki, die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Gelsenkirchen, gegenüber dem wdr: „Aufgrund der Vereinshierarchie wurde der Beschluss von Thomas Frings, stellv. Vorstandsvorsitzender (stellv. Abteilungsleiter Jugendamt als Hauptauftraggeber) herbeigeführt.“ Gleichzeit erklärt Kozicki, der Leistungsvertrag läge dem Kinderschutzbund „nicht vor“. Sie teilte zudem mit, dass der Kinderschutzbund 5 Euro pro Tag und Jugendlicher für das Weiterleiten der Gelder nach Ungarn bekommen habe.

Auch das Gelsenkirchener Kinderheim St. Josef gerät zunehmend in Erklärungsnot. Die jüngsten wdr-Recherchen dürften auch das Gelsenkirchener St. Josef-Heim weiter in den Fokus rücken. Nahezu alle Jugendliche, die in Ungarn untergebracht waren, kamen aus diesem Heim. Das St. Josef-Heim hatte nach dem „Monitor“-Bericht schriftlich erklärt: „Absprachen oder gar Verträge mit Firmen, die solche Maßnahmen durchführten, gibt es nicht und hat es nicht gegeben.“ Aussagen des Jugendamts Gladbeck erhärten jetzt den Verdacht, dass es sehr wohl eine Absprache von St. Josef mit der Firma Neustart gegeben haben könnte, die das Heim in Ungarn betrieb und die vom Leiter des Gelsenkirchener Jugendamtes Wissmann und seinem Stellvertreter Frings gegründet wurde. Gegenüber dem wdr erklärte das Jugendamt Gladbeck: „Unser Ansprechpartner“ bei der Unterbringung von Jugendlichen in dem ungarischen Heim „war St. Josef“. Das Projekt in Ungarn sei dem Jugendamt „ausdrücklich als eine Projektstelle von St. Josef nähergebracht“ worden. Weiter heißt es vom Jugendamt Gladbeck: „Unter dem Namen Neustart als externer Träger war uns das Ganze nicht bekannt.“ nin

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Niel Püsch
8 Jahre zuvor

In- oder Ausland, was soll’s? D a s (unfreiwillige) Verdienst der Insider-Brüderie ist zumindest,
daß diese Art Amt und seine Usancen wieder einmal von öffentlichem Licht angeleuchtet wurden.

Die eigentliche Jugendamtskriminalität findet hauptsächlich bei der Requirierung von neuen Verwertungsobjekten für die Heimindustrie (Umsatz nicht unter 25 Milliarden Euro jährlich) statt +). Dabei werden von vielen Jugendämtern in Zusammenwirkung mit Gerichten häufig die
-eigentlich- selbstverständlichsten Grundrechtsnormen plump ignoriert und eine oft bizarr anmutende Liederlichkeit in der Verfahrensführung an den Tag gelegt – oder gar vorgetäuscht.
Auch die verzweifelten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes der letzten drei Jahre hierzu scheinen nicht allen Exekutoren bekannt.
Man denke z.B. an die bundesweit bekannten Falle Kutzner, Haase, oder Heller in der nordbayerischen Ostzone. Über diese Einzelfälle wurde jeweils auch -z.T. ausführlich und journalistisch korrekt- berichtet.
Jedoch ist mir keine vertiefende Darstellung seitens der „Vierten Gewalt“ im letzten halben Jahrhundert bekannt geworden, in der die S y s t e m a t i k der vorgenannten Praktiken behandelt worden wäre. Es scheint sich um eines der besonders liebevoll geachteten Tabus zu
handeln. Anwendung in vielen Fällen außerordentlich praktisch. So können -z.B.- „auffällige“
Kinder mit einem Minimum an Aufwand gleichzeitig gebrandmarkt als auch entsorgt werden.

Rechtliche Grundlagen der o.a. Verfahrensweise: a) Jugendämter haben keine
Fachaufsicht. b) Rechtsbeugung ist in der Praxis i.d.R. strafrechtlich folgenlos.

+)Damit sei dies nicht als einzige Möglichkeit der Motivation zu „Inobhutnahmen“ unterstellt.
Ferner sind auch Fälle keineswegs ausschließbar die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten
betrachtet formal korrekt ablaufen. Und sei es mitunter zufällig
Thematisch Unbeflissene können googlen, z.B. unter „.Kinderklau/Jugendamt“ oder etwa bei“Jugendamtswatch“.