Eine Fernsehkritik: Plasbergs „hart aber fair“ bot eine spannende Bildungsdebatte – zunächst jedenfalls

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DÜSSELDORF. Am Ende war’s dann doch wieder nur eine von den üblichen Fernseh-Diskussionen zum Thema Schule – eine, bei der möglichst alle vermeintlich publikumsträchtigen Bildungsprobleme (schlechte Rechtschreibung, zu viel Druck auf Schüler, doofe Lehrer, doofer Förderalismus, doofe PISA-Studie etc.) zusammenhangslos durchgenudelt wurden, ohne dass zuvor die Eingangsfrage hinreichend beantwortet worden wäre. Die lautete diesmal: „Problemfall Schule – zu viel Goethe, zu wenig Google?“ Und – Überraschung! – Frank Plasbergs Runde „hart aber fair“ bot, im ersten Teil der Sendung jedenfalls, eine durchaus interessante Kontroverse, die leider viel zu früh abgebrochen wurde.

Moderierte eine Diskussionsrunde zum Thema Bildung: Frank Plasberg. Foto: Superbass / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Moderierte eine Diskussionsrunde zum Thema Bildung: Frank Plasberg. Foto: Superbass / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Höhepunkt dabei war ein flammendes Plädoyer von Hamburgs Bildungssentator Ties Rabe (SPD, ursprünglich Lehrer für Deutsch, Religion und Geschichte) für „Effie Briest“. Ein Zuschauer hatte in einer Mail an die Redaktion sich daran erinnert, dass Fontanes Roman ihn in seiner Schülerzeit „zum Würgen“ gebracht habe – und dass es doch besser für sein späteres Leben gewesen wäre, wenn er stattdessen mit dem Börsengeschehen vertraut gemacht worden wäre. Was Rabe dazu brachte, voller Leidenschaft daran zu erinnern, dass „Effie Briest“ eine Geschichte über Konventionen, missverstandene Ehre und Menschlichkeit sei, Themen also, die auch für junge Menschen heute wichtig seien. Hier hätte die Diskussion echten Tiefgang bekommen können – indem beispielsweise sich die Frage angeschlossen hätte, ob solche Aspekte nur in Klassikern zu finden sind (denn tatsächlich taucht zeitgenössische Literatur in der Schule kaum mehr auf), oder ob hier nicht eher die zentralen Abschlussprüfungen mit ihren Vorgaben den Fokus allzu sehr auf einen vermeintlich grundlegenden Bildungskanon einengen. Was sich durchaus auf andere Fächer wie Geschichte übertragen ließe: Ist es beispielsweise richtig, dass Schüler in Deutschland sich ausgiebig mit der Reichsgründung im 19. Jahrhundert beschäftigen, aber kaum vertiefend mit Nationalsozialismus und Kommunismus – oder gar den Parallelen zum Islamismus?

Um einen Bildungskanon geht es im Kern, wenn über schulische Inhalte diskutiert wird. Und das war der Ausgangspunkt der Sendung. „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“ Mit dieser beim Internetdienst Twitter abgesetzten Kurznachricht entfachte die Schülerin Naina eine bundesweite Bildungsdiskussion, die von der „Bild“-Zeitung bis zur FAZ viele Medien in Deutschland beschäftigte. Auch auf dem Deutschen Schulleiterkongress wurde das Thema diskutiert – wie nun bei Plasberg. Und schnell war sich die Runde jetzt einig, dass Versicherungsbedingungen kein schulisches Thema sein können.

Aber: Was für eine Bildung, welche Kenntnisse und Fähigkeiten benötigen denn junge Menschen, um die Herausforderung des 21. Jahrhunderts bestehen zu können? Hier gab der Verlagserbe und Unternehmer Florian Langenscheidt Nachdenkenswertes zu Protokoll: Dass es nämlich im Zeitalter frei verfügbarer Informationen immer weniger darauf ankomme, lexikalisches Wissen im Kopf zu horten – dafür immer mehr darum, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Dass Schule (eigentlich eine Binse!) mehr zu leisten habe, als Bildung zu vermitteln, sondern auch elementare Grundfertigkeiten wie Teamfähigkeit zu befördern habe. Und dass Lehrer sich das Geschäft leichter machen könnten, wenn Schule stärker auf digitale Medien setzen würde – was beispielsweise im Fremdsprachenunterricht eine rege Kommunikation zwischen Schülern aus verschiedenen Ländern bedeuten könne.

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Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, trat hingegen als überzeugender Mahner auf, die Realitäten nicht zu verdrängen. Und zu denen gehörten zum einen, dass für jeden neuen Inhalt in der Schule ein anderer gestrichen werden müsse; Schüler seien ja nicht beliebig belastbar. Zum anderen müsse festgehalten werden, dass Lernen eben nicht nur Spaß bereite, sondern auch harte Arbeit sei, was sich auch mit dem Einsatz digitaler Medien nicht ändern lasse. Interessant, aber leider inhaltlich kaum eingebunden, die Perspektive des jungen Journalisten Mirko Drotschmann, der als „MrWissen2go“ auf Youtube mit kurzen Erklärfilmen ob zur Griechenland-Krise oder zur Entstehung des Ersten Weltkriegs Hunderttausende von Schülern anzieht. So treffend wie überraschend Plasbergs Bemerkung, dass Drotschmann damit ja nichts anderes biete, als klassischen, aber pädagogisch mittlerweile fast verpönten Frontalunterricht (und damit bei Kindern und Jugendlichen gut ankommt). Nicht so recht klar wurde allerdings, warum es dem Journalisten offenbar gelingt, Schülern Zusammenhänge nahezubringen, die sie in der Schule nicht verstehen. Könnte es daran liegen, dass sich der Unterricht in der Schule noch allzu häufig in Details verliert? Dass es wichtiger wäre, noch stärker die Entwicklungslinien herauszustellen? Vergessen wir über vermeintlich unverzichtbaren Inhalten wichtige Elemente einer modernen Grundbildung, die etwa auch einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien umfasst?

Fragen, die offen blieben. Denn leider halten heutige Fernseh-Macher ihr Publikum offenbar für aufmerksamkeitsdefizitär, sodass es mindestens alle 20 Minuten von einer neuen Empörungswelle erfasst werden muss, um nicht fortzulaufen oder einzuschlafen. Und die nächste hieß dann Rechtschreibung. En passent wurde dabei eine Grundschul-Lehrerin übelst vorgeführt, die in einem Statement vor der Kamera voller Empathie von den ersten Schreiberfolgen ihrer Schüler mit der Anlauttabelle sprach. Und die dann – stellvertretend für die Methode „Schreiben nach Gehör“ – von der Runde niedergemacht wurde, ohne sich wehren zu können. Was das und das folgende beliebige inhaltliche Bildungsallerlei mit der Eingangsfrage der Sendung zu tun hatte, blieb das Geheimnis von Plasberg und seiner Redaktion. Schade – Chance vertan.

Zum Kommentar: Nainas Tweet löst eine breite Debatte um Bildung aus – leider eine zu flache

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4 Kommentare
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mehrnachdenken
8 Jahre zuvor

Im Zusammenhang mit „Schreiben nach Gehör“ wurde der Aufsatz eines Zweitklässler gezeigt.
Wer nicht mit dieser Methode“ vetraut ist, hat zunächst einmal großre Schwierigkeiten, den Text zu lesen. Erschwert wird das Ganze noch durch die unglaublich hohe Fehlerzahl. Schließlich scheint die Lehrkraft dieses Kindes auch keinen Wert auf ein Mindestmaß an Form zu legen. Linien habe ich nicht gesehen. Sollten sie vorhanden sein, hat der Junge sie nicht beachtet.
Ich bin regelrecht geschockt, was alles als „Bildung“ verkauft wird.

alexander
8 Jahre zuvor

Fast-Food-Wissen a la Mirko Drotschmann hat mit Bildung soviel gemeinsam wie McDonalds mit einem Gourmet-Restaurant. Aber es spricht ja nichts dagegen, hin und wieder mal einen Burger zu essen, wenn man sich ansonsten vernünftig ernährt… 😉

Reinhard
8 Jahre zuvor
Antwortet  alexander

Vermittelt H. Motschmann sein Wissen wirklich denen, die es in der Schule nicht verstanden? Schauen die sich Mathe auf Youtube an?

Peter Bloecker
8 Jahre zuvor

Eine sehr schwache Sendung, die Experten im Schulbereich (Rabe und Kraus) durften nichts sagen und wurden staendig und immer wieder unterbrochen. Stattdessen Vorurteile / Bekanntes / unreflektierte Vorwuerfe von Teilnehmern der Runde, die nicht wissen, worueber sie reden. „Als ich neulich…“ / „…und meine Tochter…“ / usw. und so fort….“ Einfach vertan, die Chance! Sehr schade, weil ein wichtiges Thema.