Lehrerin für junge Diebe, Schwarzfahrer und Schulschwänzer – eine Lehramtsstudentin arbeitet im Jugendarrest

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HALLE. Eine Studentin aus Halle hat sich einen ungewöhnlichen Nebenjob ausgesucht. Die 30-Jährige unterrichtet junge Straftäter.

Der Jugendarrest (hier die Anstalt in Rastatt) gilt als Warnschuss für jugendliche Straftäter. Foto: Duke / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)
Der Jugendarrest (hier die Anstalt in Rastatt) gilt als Warnschuss für jugendliche Straftäter. Foto: Duke / Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Jeden Mittwoch sitzt die Studentin Julia Rüprich hinter Gittern. Zusammen mit einer Handvoll Jugendlicher, meistens Jungs. Es ist Unterrichtszeit. Rüprich lehrt Sozialkunde. Die Gitter gehören zur Jugendarrestanstalt in Halle, der einzigen in Sachsen-Anhalt. Der Unterricht ist fester Bestandteil des Jugendarrests, Rüprich eine von 15 Lehrkräften. Die Lehramtsstudentin macht den ungewöhnlichen Nebenjob seit eineinhalb Jahren. «Ich bin die Mittwochs-Lehrerin», sagt die 30-Jährige.

Die junge, schwarzhaarige Frau mit mehreren Tattoos ist offen und ausgelassen. Sie redet gerade heraus, auch mit ihren Schülern. Die wechseln von Woche zu Woche – und bleiben nur kurz. Maximal vier Wochen Arrest können verhängt werden. 2014 kamen nach Angaben des Justizministerium knapp 450 Jugendliche für diese Erziehungsmaßnahme nach Halle, etwa 100 weniger als im Vorjahr. Richter verhängen den Arrest für junge Straftäter, wie Vollzugsleiterin Martina Leske sagt. Oder für Dauerschulschwänzer, die ihr Bußgeld nicht bezahlen.

In dieser Unterrichtsstunde kennt Rüprich keinen der vier Jungen und zwei Mädchen. Warum sie hier sind? Schwarzfahren, Diebstahl, Schulschwänzen, Sachbeschädigung und Drogen zählen die Jugendlichen auf. Immer wieder nennen sie Körperverletzung. Das Unterrichtsthema passt dazu: Jugendkriminalität.

Sie zeigt ein Video über den jungen Jonny K., der im Oktober 2012 von mehreren Angreifern am Berliner Alexanderplatz totgeprügelt wurde. Sie fragt die Jugendlichen nach ihren Erfahrungen. Ein Messer, das habe heute jeder, sagt einer.

Rüprich findet deutliche Worte: «Jetzt ist es Spaß für euch, ihr seid mit euren Freunden zusammen und macht Party. Aber wenn ihr so weiter macht, dann seid ihr in zwei Jahren die Loser – und im Knast.» Etwa die Hälfte ihrer Kurzzeitschüler tue diese Ermahnung einfach ab, schätzt Rüprich. Aber einige nähmen sie ernst und änderten sich. Souverän versucht die 30-Jährige ihre Schützlinge zum Reden und Schreiben zu bewegen. Jeder Satz auf Papier ist für sie ein Erfolg.

Fünf Stunden Unterricht bietet die Anstalt täglich, wie Leiterin Leske berichtet. «Die meisten sind ohne Schulabschluss und lange Zeit nicht in der Schule gewesen.» Viele konsumierten regelmäßig Drogen. «Mit etwas Glück gelingt es, die Scheu oder Angst vor der Schule zurückzudrängen und Freude am gemeinsamen Lernen zu erzeugen.» Dieses Ziel hat auch Julia Rüprich.

«Das macht mir Spaß, weil ich merke, dass es was bringt», sagt sie. «Und ich bin froh, dass ich nicht im Supermarkt an der Kasse sitzen muss, um Geld für mich und meine Kinder dazu zu verdienen.» Zunächst machte sie den Job ehrenamtlich, inzwischen hat sie einen Honorarvertrag.

Julia Rüprich ist selbst auch nicht den schnurgeraden Weg gegangen. «Party war in meiner Pubertät eine Zeit lang auch sehr wichtig», sagt sie. Die Schule war nicht mehr so sehr – sie wechselte vom Gymnasium auf die Realschule. «Nach der Lehre zur Verwaltungsfachangestellten dachte ich: 50 Jahre am gleichen Schreibtisch? Nee.» Stattdessen holte Rüprich ihr Abitur nach, bekam den ersten Sohn, begann das Lehramtsstudium für Haupt- und Realschule und brachte dann ihren zweiten Sohn zur Welt. Die Alleinerziehende managt im Moment alles gleichzeitig: Kinder, Studium, Arbeit hinter Gittern.

Ob sie je in einer öffentlichen Schule arbeiten wird, weiß sie nicht, sagt sie. Stattdessen kann sie sich eine dauerhafte Zukunft hinter Gittern vorstellen – als Lehrerin im Jugendgefängnis in Raßnitz. Von Franziska Höhnl, dpa

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