Niedersächsische Lehrerverbände: Schulgesetz ist Absage an Schulfrieden

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HANNOVER. Scharfe Kritik an der Verabschiedung des Schulgesetzes durch die rot-grüne Einstimmenmehrheit im Landtag üben sowohl der Philologenverband Niedersachsen als auch der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte in ihren Pressemitteilungen.

Das verabschiedete Schulgesetz demontiere ein vielfältiges Schulangebot, senke die notwendigen
Leistungsanforderungen und beseitige schrittweise das Elternrecht auf freie Wahl der Schulform für ihr Kind, erklärt der Vorsitzende des Philologenverbands Niedersachsen, Horst Audritz. Die Art und Weise, wie SPD und Grüne ihr hauchdünnes Abstimmungsergebnis mit roten Luftballons zelebrierten, sei Ausdruck einer provozierenden Politik und demonstriere eine bisher nicht gekannte Arroganz der Macht und eine Verhöhnung von weit über einhunderttausend Bürgern, die in Petitionen ihre Bedenken gegen den Gesetzentwurf vorgetragen hätten. Wer so auftrete, wolle keinen Schulfrieden, sondern die kompromisslose Durchsetzung seiner ideologisch geprägten Vorstellungen um jeden Preis.

Schulpolitikerinnen haben es auch nicht leicht: die niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Foto: Foto AG Gymnasium Melle / Wikimedia Commons CC-BY-SA 3.0
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) verabschiedete mit ihrer Partei und der Unterstützung der Grünen das neue Schulgesetz in Niedersachsen. Foto: Foto AG Gymnasium Melle / Wikimedia Commons CC-BY-SA 3.0

Das Gesetz enthalte alle Instrumente zur Demontage eines vielfältigen Schulangebots und insbesondere des Gymnasiums, so Audritz. Die Privilegierung der integrierten Gesamtschule als eine alle anderen Schulformen ersetzende Schule, die Anbindung von Grundschulen an Gesamtschulen zwecks Verhinderung des Übergangs von Schülern an Gymnasien, die Abschaffung der Schullaufbahnempfehlung und die Abschaffung der Förderschule Lernen trotz massiver Elternproteste, all dies solle der Einheitsschule den Weg bereiten.

Ähnlich scharf kritisiert der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL/VDR) das neue Schulgesetz: Es trage in keiner Weise zur Gleichberechtigung aller Schulformen bei, im Gegenteil, die Gesamtschule werde weiterhin gegenüber den anderen Schulformen bevorzugt. So könnten sich Gesamtschulen auch weiterhin ihre Schülerinnen und Schüler aussuchen, alle anderen Schulen müssten jede Schülerin und jeden Schüler aufnehmen. „Als ersetzende Schulform wird die Gesamtschule langfristig sowohl die noch existierenden Real- und Hauptschulen als auch viele Oberschulen in ihrer Existenz bedrohen.“

Aus Sicht des Philologenverbands sei auch die vermeintliche Garantie für den Besuch eines Gymnasiums in „zumutbarer“ Entfernung bei festgesetzten Wegstrecken von bis zu zweieinhalb Stunden täglich faktisch ein Täuschungsmanöver und Merkmal einer unseriösen Politik, wie sie Rot-Grün mehr und mehr charakterisiere. Lediglich die Wiedereinführung des 13. Schuljahrs an Gymnasien, die auf massiven Druck zustande gekommen sei, betrachte der Philologenverband als positiv.

Völlig verfehlt sei auch die rot-grüne Vorstellung, mehr „Bildungsgerechtigkeit“ durch eine Absenkung von Leistungsanforderungen schaffen zu wollen, so der Chef des Philologenverbands. Die Abschaffung der Schullaufbahnempfehlung am Ende der Grundschule sei nur als Signal zu verstehen, dass man für den Besuch des Gymnasiums keine den Zielen dieser Schulform angemessenen Leistungen mehr erbringen müsse. In die gleiche Richtung gingen die Abschaffung von Zensuren in der Grundschule, die Reduzierung schriftlicher Leistungskontrollen und die Absenkung von Anforderungen bei Versetzungen und Abschlüssen. „Mit solchen Maßnahmen schafft man nicht mehr Bildungschancen, sondern man vernichtet sie.“ Diese Ansicht vertritt auch der VNL/VDR: Die Abschaffung der Schullaufbahnempfehlung sei nur vordergründig kindgerecht, das Leiden der Schülerinnen und Schüler auf einer sie überfordernden Schulform führe zu dem, was Rot-Grün gerne verhindert wissen möchte: Stress, Stigmatisierung und ähnlichem. Die Behauptung der Kultusministerin Frauke Heiligenstadt, dass das Schulgesetz Entlastungen für die Lehrkräfte bringe, zeuge zudem von Realitätsferne, so der Verband. Das Gegenteil werde der Fall sein.

„Es ist bedauerlich und bedenklich, dass Rot-Grün die begründeten Bedenken von mehr als 100.000 Menschen so einfach ignoriert hat. Ideologie vor Vernunft, das ist kein guter Weg für Niedersachsens Schulen. Von einem echten Schulfrieden sind wir weit entfernt. Was wir wirklich brauchen, ist eine produktive Ruhe zum Arbeiten zum Wohle unserer Schülerinnen und Schüler ohne ideologische Scheuklappen“, sagt Thorsten Neumann, stellvertretender VNL/VDR-Vorsitzender.

Zu einem ähnlichen Fazit kommt auch Horst Audritz: „Den Versicherungen rot-grüner Politiker, sie wollten mit ihrem Schulgesetz nicht die Axt an ein plurales Schulangebot legen, können wir keinen Glauben schenken.“ Ein Blick in die Programme von SPD und Grünen verdeutliche vielmehr klar, dass es letztlich um die Durchsetzung der IGS als alleinige Schulform gehe. Mit der Verabschiedung des Schulgesetzes habe Rot-Grün sich auch von der Chance auf einen Schulfrieden verabschiedet.

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