Nach Lüneburger Arbeitszeiturteil bundesweite Klagewelle möglich

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LÜNEBURG. Per Fax übermittelte heute das Lüneburger Oberverwaltungsgericht den Beteiligten die schriftliche Begründung zum überraschenden Arbeitszeit-Urteil vom 9. Juni. Bundesweit wurde die Begründung mit Spannung erwartet, denn das Urteil könnte eine Steilvorlage für Lehrer bilden, ihre Arbeitsbelastung gerichtlich überprüfen zu lassen. Kultusministerin Heiligenstadt hat allerdings bereits angekündigt nicht gegen das Urteil vorgehen zu wollen.

Knapp vier Wochen nach dem überraschenden Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg zur verfassungswidrigen Arbeitszeit von Gymnasiallehrern liegen jetzt die schriftlichen Begründungen vor. Per Fax habe das Gericht am Freitag die Urteile zu den Einzelentscheidungen an die Verfahrensbeteiligten übermittelt, sagte eine Gerichtssprecherin. Die Sendung per Fax sei dem Poststreik geschuldet. Jedes Urteil habe in etwa einen Umfang von rund 40 Seiten.

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ebnete mit dem Urteil zur Arbeitszeit der niedersächsischen Gymnasiallehrer möglicherweise auch den Weg für Klagen anderer Lehrer. Foto: Balthasar Schmitt / Wikimedia Commons(CC-BY-SA-3.0)
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ebnete mit dem Urteil zur Arbeitszeit der niedersächsischen Gymnasiallehrer möglicherweise auch den Weg für Klagenin anderen Bundesländern. Foto: Balthasar Schmitt / Wikimedia Commons(CC-BY-SA-3.0)

Am 9. Juni hatte das Oberverwaltungsgericht entschieden, dass die von Rot-Grün beschlossene Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer von 23,5 auf 24,5 Wochenstunden verfassungswidrig sei. Das Urteil hat massive Folgen für die Landespolitik. Rund 740 Lehrerstellen sind zur Kompensierung erforderlich, aber wenn überhaupt nur perspektivisch in Sicht.

Auch außerhalb Niedersachsens blicken Bildungspolitiker gespannt auf die Urteilsbegründung. «Dieses Urteil hat eine grundsätzliche Bedeutung auch für andere Länder», sagt Anke Pörksen, Sprecherin der vor Gericht unterlegenen niedersächsischen Landesregierung. Sie spricht damit das an, was andere Landesregierungen bislang nicht aussprechen wollen: Der Richterspruch könnte zu einer Steilvorlage für Lehrer aller Länder sowie Schulformen werden und eine bundesweite Klagewelle nach sich ziehen.

«Es ist durchaus möglich, dass jetzt auch Lehrer anderer Schulformen oder in anderen Bundesländern das Verhältnis zwischen Regelstundenzahl und außerunterrichtlicher Verpflichtung in ihrem konkreten Fall gerichtlich überprüfen lassen werden», sagte der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (dbb), Klaus Dauderstädt.

Auf den ersten Blick ist die überregionale Bedeutung des Urteils nicht unbedingt ersichtlich, immerhin bezieht es sich nur auf die Unterrichtsverpflichtung von rund 17 000 Lehrern in Niedersachsen. Doch obwohl der Richterspruch andere Bundesländer nicht direkt bindet, könnten sich dennoch auch Lehrer außerhalb Niedersachsens darauf berufen und ihre Arbeitszeit infrage stellen.

Denn der Senat rügte die Landesregierung unter anderem dafür, dass es bislang keinerlei belastbare und nachvollziehbare Erfassung der Arbeitsbelastung der Lehrer gibt. Diese Kritik wäre – so die Befürchtung einiger Juristen – bundesweit übertragbar auf Lehrer anderer Schulformen, die ihre Unterrichtsverpflichtung infrage stellen.

Nach dem Eingang der Urteilsbegründung hat die Landesregierung nun bis zum Ablauf des 3. August Zeit, Beschwerde gegen die vom Gericht ausdrücklich nicht zugelassene Revision einzulegen. Dies gilt aber als wenig wahrscheinlich. Sowohl Ministerpräsident Stephan Weil als auch Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (beide SPD) hatten wiederholt betont, die Entscheidungen aus politischen Gründen akzeptieren zu wollen. Kritiker vermuten dahinter einzig die Sorge vor einer weiteren Niederlage und zusätzlichem Ärger mit den Lehrern.

Juristen – auch aus der niedersächsischen Landesregierung – sehen es dagegen durchaus kritisch, dass das Land nicht wenigstens den Versuch unternimmt, gegen das Urteil vorzugehen. Immerhin verhindert die Regierung in Hannover damit eine Grundsatzentscheidung, die bundesweit für mehr Klarheit und letztlich auch Rechtssicherheit sorgen könnte. Auf die Frage ob sie nun auch Klagen befürchten, wiegeln Verantwortlich anderer Länder ab. «Es sei ein Urteil aus und für Niedersachsen», heißt es etwa vom Bildungsministerium in Schleswig-Holstein.

Dass dies die Betroffenen, die Lehrer, anders sehen, zeigt sich aber am Beispiel Baden-Württemberg: Sollte die Unterrichtsverpflichtung dort wie in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen wieder erhöht werden, hätten klagende Lehrer gute Chancen, sagt der Chef des dortigen Beamtenbundes, Volker Stich. Genauso fing es vor Monaten in Niedersachsen auch an. (Marco Hadem, dpa)

zum Bericht: Nach dem Urteil von Lüneburg: Müssen Gymnasiallehrer bald bundesweit weniger arbeiten?
zum Bericht: Niedersachsens Ministerin Heiligenstadt will Urteil zur Lehrerarbeitszeit akzeptieren

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1 Kommentar
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dickebank
8 Jahre zuvor

Die Verhinderung einer Grundsatzentscheidung ist doch länderübergreifend die von MinPrä Weil eingeräumte politische Entscheidung. Due Bundesländer können kein Interesse an einer Grundsatzentscheidung haben. Die Wochenstundendeputate in Abhängigkeit von der Schulform, an der unterrichtet wird, und dem jeweiligen Dienstherren ist so maximal unterschiedlich, wie sie nur sein könnte. Die Vergütungen beruhen aber auf dem BBesG, auch wenn die Einstufungen länderspezifisch vorgenommen werden. Hinzu kommen dann noch die Vergütungsunterschiede und Eingruppierungsmerkmale zwischen beamten und tarifbeschäftigten.

Dabeneb steht die Problematik der Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Bereichen der Landesverwaltungen, sind Einstellungsvoraussetzungen, Eingruooerungsmerkmale, Vergütung und Arbeitszeiten von Lehrern, Hauptkommissaren, Steueramtsräten sowie Regierungsamtsräten etc. mit einander vergleichbar.