Ein Kommentar von ANNA STORCH.
Hamburgs Bildungssenator Rabe ist ein mutiger Mann. Lehrern (und ihren Verbänden) ins Gesicht zu sagen, dass sie mit ihrer Kritik an den Rahmenbedingungen der Inklusion völlig auf dem falschen Dampfer unterwegs sind – das muss man sich als Schulpolitiker erst mal trauen.
In der Sache liegt er gleichwohl daneben. Wieso haben Lehrer ein „Missverständnis“ von Inklusion, wenn sie eine Doppelbesetzung im Regelunterricht fordern? Schließlich wurde die Schülerklientel, die nun einbezogen werden soll, bislang mit viel personellem Aufwand gesondert gefördert. Wurde das Geld dafür bislang verplempert? Warum sind es unglaubwürdige „Horrorgeschichten“, wenn Lehrer ehrlich bekennen: Ich schaffe es nicht allein, eine Klasse mit (sagen wir mal) 22 Regelschülern und drei Förderschülern so zu unterrichten, dass jeder einzelne von ihnen bedarfsgerecht und individuell gefördert wird? Und wieso ist Kritik an den real existierenden Bedingungen der Inklusion gleichbedeutend damit, die „große Idee schlechtzureden“?
Das Gegenteil ist richtig: Der VBE hat in seiner Umfrage unter den Lehrkräften in Deutschland zur Inklusion nicht nur festgestellt, dass sie fast einhellig die Ressourcenausstattung für unzureichend halten – sondern auch, dass stattliche 57 Prozent das Prinzip des gemeinsamen Unterrichts grundsätzlich begrüßen. Diese vielen willigen und wohlmeinenden Pädagogen abzuwatschen, ist nicht nur schlechter Stil. Sondern es schadet auch der Sache: Denjenigen, die Inklusion schon vom Ansatz her ablehnen, fällt es nach solchen Ausfällen leichter, Widerstand zu mobilisieren.
Unrecht hat Rabe auch mit seiner (auf Hamburg bezogenen) Einschätzung, auf dem Weg zu einer gelungenen Inklusion bereits mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt zu haben: Inklusion ist kein Schulgebäude, das einmal gebaut werden müsste und dann fertig wäre. Inklusion muss täglich neu praktiziert werden, auch in zehn Jahren noch, mit immer neuen Herausforderungen insbesondere für die Lehrerschaft. Die litt schon bisher nicht unter Unterbeschäftigung. Dass sie fürchtet, auf lange Sicht die Kraft für diese gewaltige zusätzliche Aufgabe nicht aufbringen zu können, dafür sollte die Politik schon Verständnis – besser: Geld – aufbringen.
„Das größte Defizit in der Inklusion ist, dass wir immer nur über die Defizite der Inklusion sprechen“, meint Rabe. Dies ist allenfalls ein Teil der Wahrheit: Ein mindestens genauso großes Manko ist es, wenn Inklusions-Idealisten bestehende Probleme einfach wegfabulieren wollen.
die politik fabuliert nicht nur die probleme weg. sie nutzt die inklusion als kostensparmodell.
frau storch, sind sie lehrerin? falls ja, teilen sie bitte hier im forum ihre strategien zur individuellen förderung von 25-30 mehr oder weniger motivierter Schülern mit. ich habe schon bei 5-10 Schülern meine probleme damit, weil rechnerisch maximal 5-10 minuten pro schüler pro unterrichtsstunde dafür nicht ausreichen. bei 25-30 Schülern habe ich lächerliche 2 minuten — maximal.
Lieber xxx,
Sie haben mich offenbar missverstanden: Ich stelle in dem Kommentar die Frage, warum Rabe die beschriebene Situation als „Horrorgeschichte“ in Zweifel zieht, obwohl sie doch leicht nachvollziehbar ist – individuelle Förderung ist in dem Setting m. E. tatsächlich kaum möglich.
Allerdings: Ihre Milchmädchenrechnung möchte ich auch nicht so stehen lassen. Ich kenne – als Journalistin – zahlreiche Schulen, die durchaus Konzepte zur individuellen Förderung praktizieren – und zwar als System, im Team. Wenn eine Schule mit pädagogischen Maßnahmen wie Tutoren-Angeboten, wie Förderstunden, wie Gruppen- und Projektarbeiten vorgeht, ist mehr möglich, als 45 Minuten durch 30 Schüler zu teilen.
Hier können Sie sich mal dazu anregen lassen: http://schulpreis.bosch-stiftung.de/content/language1/html/53141.asp
Herzliche Grüße
Anna Storch
Danke für die Antwort. Ich habe in der Tat sehr milchmädchenhaft und sehr stark vereinfachend gerechnet. In diversen Schulprogramme und Hochglanzprospekten der Bildungspolitik lesen Sie aber gerade die _durchgehende_ individuelle Förderung _aller_ Schüler während des Unterrichts. Darüber hinaus verstehe ich unter Förderung _auch_ die der guten und sehr guten, während sie in der Politik meist ein positiver klingendes Synonym für Nachhilfe ist.
Geld kann bei der Inklusion ein besseres Verständnis nicht ersetzen. Es kann höchstens dafür sorgen, dass mit einem schier unbezahlbaren Personalaufwand etwas zu erreichen versucht wird, was kaum zu erreichen ist.
Das scheint mir auch der Bildungssenator so zu sehen. Es hat schon seinen Grund, dass er keine Notwendigkeit für mehr Personal sieht. Die von ihm genannten Gründe sind dermaßen aberwitzig und an den Haaren herbeigezogen, dass ich geradezu gezwungen bin, auf das Naheliegende zu schließen: Auch die Bildungspolitiker glauben nicht an das, was sie über die Inklusion erzählen.
Sie ist allerdings ein gutes Feigenblatt für radikales Sparen durch weitgehende Schließung der teuren Förderschulen.
Ergänzend möchte ich bemerken, dass Geld ebenso nicht die kognitiv-intellektuellen Defizite jener Schüler auszugleichen vermag, die durch radikale Bildungspolitiker wie aber Eltern zwangsinkludiert werden (sollen).
N.B.: Sozialkompetenz zu vermitteln ist die vornehme Aufgabe der Familie, nicht der Schule, welcher Couleur denn immer.
Das ignorieren zunehmend viele Eltern, besonders die wirtschaftlich schwach aufgestellten. Verstärkt wird das durch den Zwang, arbeiten zu müssen und dem verpflichteten Ganztag.
Welcher Zwang arbeiten zu müssen? Es gibt keine Arbeitspflicht. Jeder, deer mag, hat das recht Arbeit zu verweigern. Da es aber eine Steuerpflicht gibt, muss der Steuerpflichtige den Arbeitsverweigerer alimentieren. Und da StR selbst nicht schlecht alimentiert werden, müssen sie eben mehr abgeben als z.B. die Sekretärinnen der Schule.
Menschenskind, dickebank, warum bloß sind Sie nicht Studienrat geworden? Dann brauchten Sie sich nicht dermaßen mit Neidgedanken rumzuplagen. So oft, wie Sie die Bezahlung der StR bemängeln, muss Ihnen diese sogar Qualen bereiten.
Im Übrigen gibt es natürlich eine Arbeitspflicht, wenn für manche Familien der Arbeitslohn nur eines Ernährers nicht mehr ausreicht wie in früheren Zeiten. Seien Sie doch dankbar, dass Sie diese pflichtbewussten Menschen nicht auch noch mit Ihrem Steuergeld alimentieren müssen, zumal dieses vom Lohn für Ihren überaus anstrengenden „Dienst nach Vorschrift“ abgezogen wird.
Weil ich mein Dplom (Uni) für Lehramt SekI habe anerkennen lassen.
Es geht auch nicht um das Entgelt sondern um den punkt, dass Masterabschlüsse + 2.StEx Voraussetzung für die Einstufung in den höheren Dienst sind. Die typisch deutsche Trennung zwischen gehobenem und höherem Dienst ist der Anachronismus. Dieser passt im europäischen Rahmen nicht in das System der Berufs-/Studienabschlüsse.
Dann sind es 5 Min pro Schüler.