Kinder lernen aus den Medien – Forscherin kritisiert zunehmende dramatisierendere Darstellungen

1

HILDESHEIM. Kinder und Jugendliche holen sich ihr Wissen über die Wirklichkeit in hohem Maße aus den Medien. Die alten Medien und das Fernsehen haben dabei noch längst nicht ausgedient. Seit einigen Jahren boomen Wissenssendungen. Welches Bild der Wirklichkeit Jugendliche durch die mediale Vermittlung von Sachthemen entwickeln, ist allerdings noch kaum untersucht. Die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin Anette Sabban sorgt sich indes um die Inhalte.

Beim Blick in die Medien kann schnell der Eindruck aufkommen, Kinder und Jugendliche bewegten sich heutzutage fast ausschließlich (mit ihren Smartphones) im Internet und das ehemalige Leitmedium Fernsehen sei nur noch das „Medium der Zurückgebliebenen“. Auch der Blick auf Erhebungen zum Mediennutzungsverhalten scheint dieses Bild zu bestätigen. So nutzen der ARD/ZDF-Onlinestudie 2014 zufolge die 14- bis 29-jährigen täglich 3 Stunde und 53 Minuten Internet- und Social-Media-Angebote, während das Fernsehen nur auf 2 Stunden und 8 Minuten kam. Insgesamt sind die rund 6 Stunden, die Jugendliche täglich mit Internet und Fernsehen verbringen fast genau umgekehrt verteilt wie die ebenfalls 6 Stunden, die Erwachsene im Alter zwischen 30 und 49 Jahren für beide Medien aufwenden.

Formen der Personalisierung, der Anschaulichkeit, das Anknüpfen an Alltagserfahrungen, das Erzeugen von Spannung bis hin zur Dramatisierung, prägen Wissensformate in den Medien. Welches Bild von Wirklichkeit Kinder und Jugendliche daraus entwickeln ist wissenschaftlich noch wenig untersucht. Foto: mojzagrebinfo /pixabay (CC0 Public Domain)
Formen der Personalisierung, der Anschaulichkeit, das Anknüpfen an Alltagserfahrungen, das Erzeugen von Spannung bis hin zur Dramatisierung, prägen Wissensformate in den Medien. Welches Bild von Wirklichkeit Kinder und Jugendliche daraus entwickeln ist wissenschaftlich noch wenig untersucht. Foto: mojzagrebinfo /pixabay (CC0 Public Domain)

Richtet man den Fokus allerdings von der werberelevanten Zielgruppe auf die Gruppe der Minderjährigen im Schulalter, zeigen sich deutliche Verschiebungen. Die Zeitverwendungserhebung des statistischen Bundesamts etwa beziffert die tägliche Nutzungsdauer von Computern und Samrtphones für die 10- bis 17-Jährigen auf rund eineinhalb Stunden. Auf Fernsehen, Video und DVD verwenden Schüler hingegen drchschnittlich rund zweieinviertel Stunden täglich.

Auch wenn die 10- bis 17-jährigen damit bei der Fernsehnutzung knapp unter und bei der Computernutzung knapp über dem Durchschnitt liegen, nimmt das Fernsehen offenbar immer noch eine bedeutende Rolle in der Freizeitgestaltung von Schülern ein. Der Umgang mit den „alten„ Medien hat als Bereich der schulischen Medienkompetenzförderung mithin noch längst nicht seine Relevanz verloren.

Kinder und Jugendliche nutzen die Medien keineswegs nur zur Unterhaltung. Schon im Kindesalter holen sie sich ihr Wissen über die Welt größtenteils aus den Medien. In der heutigen Medienlandschaft öffnet sich ihnen ein Erkenntnisraum, von dem ihre Altersgenossen vor 100 Jahren wohl nicht einmal zu träumen gewagt hätten. In den Medien bietet sich ihnen eine geradezu unüberschaubare Vielfalt von Wissensformaten. Im Radio, Fernsehen, Internet und in Zeitschriften können Kinder und Erwachsene unzählige Themen aus der Wissenschaft entdecken.

Über den „Wert“ der Wissensvermittlung in verschiedenen Medien wird quer durch die Gesellschaft teils heftig diskutiert. dennoch könne man bei der Aufbereitung von Wissen für Nicht-Experten, unabhängig von Zielgruppe und Medium, grundlegende Verfahren beobachten, sagt die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin Annette Sabban, die sich mit der Popularisierung von Wissen beschäftigt.

Sachwissen wird dramatisierend präsentiert

Anzeige

Auch wenn sich die konkrete Umsetzung nach den Möglichkeiten richte, die das jeweilige Medium bietet, werde Sachwissen vielfach emotionalisierend, dramatisierend und personalisierend aufbereitet, so Sabban. Das habe auch mit den Vorgaben der Rundfunksender zu tun: In den Programmperspektiven werde formuliert, Sendungen sollten zeitgemäß und unterhaltsam aufbereitet werden.

Dabei müsse man fragen, so Sabban, „welche Folgen bestimmte Gestaltungsweisen für die Vorstellungen haben, die wir uns von der ‚Welt‘ machen.“ Welches Bild von Wirklichkeit sich durch die Vermittlung von Wissenschaftsthemen in den Medien ergibt, sei bisher kaum untersucht.

Wenn Emotionen im Vordergrund stehen und – aus der Perspektive der Sache, etwa der Medizin, der Archäologie oder der Biologie – solche peripheren Momente in den Mittelpunkt rücken, wo bleibt dann die eigentliche Wissensvermittlung?, fragt Sabban. Untersuchungen und Rezeptionsanalysen zu diesen Fragen lägen bisher nur vereinzelt vor.

Die Hildesheimer Professorin nennt ein Beispiel aus dem deutschen Fernsehen: In einer 45minütigen Dokumentation wurde der Weg eines Archäologen ausführlich begleitet, über die Inhalte seiner Forschung erfuhr man kaum etwas. „Wie viel an Drumherum wird da gezeigt, zu der abenteuerlichen Landschaft und zu Gefahren, die der Forscher überwunden hat, damit er überhaupt etwas beobachten kann. Wenn man sich das 45 Minuten ansieht im Ergebnis zu dem, was wirklich inhaltlich gesagt wird, dann ist das Eigentliche ein verschwindend geringer Anteil.“

Wir könnten nun vermuten, dass solche Darstellungen beim Zuschauer Interesse wecken, mehr über die Sache zu erfahren. Annette Sabban hat da ihre Zweifel: „Aber macht das jemand – geht man nach dem Fernseherlebnis im Anschluss in die Bibliothek?“ Noch viel zu tun also für die Medienkompetenzförderung. Da ist es schon beruhigend, dass die 10- bis 17-jährigen täglich im Durchschnitt rund 4 Stunden und 47 Minuten im Schulunterricht verbringen. (zab)

Infoset Medienkompetenz (des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (mpfs))

• zum Bericht: Datenschutzbeauftragter bemängelt Medienkompetenz von Schülern
• zum Bericht: Bildschirm statt Bolzplatz: Viele Kinder bewegen sich zu wenig

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

1 Kommentar
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Pälzer
8 Jahre zuvor

Zwei Stunden täglich Fernsehen wurde bei uns in den 70er Jahren als grenzwertig viel angesehen. Und dann nochmal über 3 Std. Internet obendrauf? Weiter siehe -> Adipositas und -> Konzentration.