«Herr Lehrer, sind Sie schwul?» – Das Leben als homosexueller Pädagoge ist ein Balanceakt

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VILLINGEN-SCHWENNINGEN. Der Zankapfel «Sexuelle Vielfalt» im Bildungsplan für baden-württembergische Schulen treibt noch immer Tausende auf die Straße. Wie lebt es sich in dieser Zeit eigentlich als schwuler Lehrer? Wir haben mit betroffenen Pädagogen gesprochen. Wie viel von sich geben sie Schülern gegenüber preis? Ein Balanceakt.

Die Regenbogenflagge ist Symbol des Kampfes für Gleichberechtigung Homosexueller. Foto. Benson Kua / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)
Die Regenbogenflagge ist Symbol des Kampfes für Gleichberechtigung Homosexueller. Foto. Benson Kua / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Im Referendariat hat Fabian Müller seinen Schülern lieber nicht erzählt, dass er schwul ist. «Man ist denen halt komplett ausgeliefert», sagt der 30-Jährige. «Das hätte in der Phase zum Problem werden können.» Für die Lehrproben, für seinen Abschluss brauchte er das Wohlwollen der Jugendlichen in Freiburg. Erst als ihn seine Klasse zum Abschiedsfest einlud, erzählte er ihnen von seinem Freund. Die Reaktion: Sie hätten es schon vermutet, sagt Müller in seiner Dachwohnung in Villingen-Schwenningen am Rande des Schwarzwalds und lacht. An seiner aktuellen Schule ist er offener.

Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg bemüht sich mit dem neuen Bildungsplan 2016 um mehr Akzeptanz von Homosexualität. Der Begriff «Sexuelle Vielfalt» sorgte allerdings für Kritik aus konservativen Kreisen, die eine «Sexualisierung» ihrer Kinder befürchten. Das Kultusministerium öffnete daraufhin den Begriff unter anderem für religiöse und kulturelle Vielfalt. Doch erst vor zwei Wochen gingen 5000 Menschen in Stuttgart bei der sogenannten Demo für alle gegen eine «Sexualisierung unserer Kinder» auf die Straße.

Auch Stefan Richter ist Lehrer und homosexuell. Doch er will sich vor seinen Schülern nicht outen – und versucht, das Thema zu umgehen. Wenn er im Unterricht über Toleranz und Akzeptanz von Homosexualität spricht, fragen ihn seine Schüler manchmal: «Sind Sie schwul, Herr Richter?» Dann antwortet der 40-Jährige: «Denk mal genau nach, dann hat sich die Frage schon erledigt.» Die Schüler denken dann noch mal nach – und die Frage hat sich für sie erledigt.
Vielleicht wissen sie, dass er einen Sohn hat. Vielleicht entspricht Stefan Richter, der in Wirklichkeit anders heißt, irgendwie nicht ihrer Vorstellung eines schwulen Mannes. Der Lehrer in einer mittelgroßen Stadt in Baden-Württemberg ist groß, kräftig und hat eine tiefe Stimme. «Wenn man mich kennenlernt, denkt man es erstmal nicht», sagt er selbst über seine Homosexualität.

Richter hat Angst, dass er Probleme mit konservativen Eltern bekommen könnte oder mit muslimischen Familien. «Dass Eltern sich über mich beschweren, Sturm laufen beim Schulamt und der Schule», sagt Richter, dass er sich plötzlich für etwas ganz Persönliches, seine sexuelle Identität, rechtfertigen müsse. Manche Schüler sagen beim Thema Homosexualität: «Das ist gegen die Natur», «Das ist gegen Gott».

Der Vorsitzende des Landeselternbeirates, Carsten Rees, sagt: «Das finde ich natürlich traurig, wenn man Angst vor der Reaktion der Eltern hat.» Die Schule müsse ganz klar Position beziehen. Der Fall zeige, wie wichtig das Thema Antidiskriminierung im Unterricht sei.

Jüngere Lehrer outeten sich mittlerweile eher, sagt Udo Fleige, Gründer des Arbeitskreises Schwulenpolitik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg. «Oft ist die Angst unbegründet.» Jeder wisse für sich, warum er sich zurückhalte. «Manche haben einen richtigen Grund, weil sie einen schwulenfeindlichen Chef haben.»
Fleige hat nie mitbekommen, dass Eltern Stimmung gegen einen homosexuellen Lehrer gemacht hätten. Auch auf bundesweiten Treffen höre er eher von Beschwerden von Pietisten, weil im Deutschunterricht das Jugendbuch «Krabat» von Otfried Preußler behandelt werde. In dem Buch geht es um Magie und einen Zauberlehrling.

Fabian Müller hatte keine Probleme an seiner Schule nach seinem Coming-out, sagt er. Der Schulleiter steht hinter ihm, sagt der Schulleiter – und so sagt es auch Müller. Müller weiß nicht mehr genau, wie er sich bei den Schülern in Villingen-Schwenningen geoutet hat. Vermutlich habe ihn einmal jemand gefragt, was er in den Ferien mache, und er habe auf die Pläne mit seinem Freund verwiesen. Die beiden sind seit sechs Jahren zusammen. «Ich würde mich nicht hinstellen: Ich bin Euer Klassenlehrer. Ich bin schwul», sagt Müller. Schülerinnen habe er später Bilder von seinem Freund gezeigt. «Oh, der ist aber süß», quietschten die Mädchen. «Finger weg, das ist meiner», sagte Müller. Er lacht. Von Stefanie Järkel, dpa

Zum Bericht: Demonstration gegen „Sexuelle Vielfalt“ im Unterricht: Linksradikale stören friedlichen Protest – Tumulte

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