Nach den „Helikopter-Eltern“ kommen die „Drohnen-Eltern“: Kinder immer unter Kontrolle – übers Handy

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BERLIN. Aus „Helikopter-Eltern“ werden „Drohnen-Eltern“, die mit Tracking-Apps ihren Nachwuchs jederzeit orten und überwachen können. Die Nachfrage nach solcher Technik boomt; entsprechend rasant entwickelt sich das Angebot. Doch Kindervertreter und Datenschützer schlagen Alarm.

Immer mehr Eltern haben ihre Kinder ständig im Blick. Foto: e_monk / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Immer mehr Eltern haben ihre Kinder ständig im Blick. Foto: e_monk / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Den Schulweg verfolgen, Facebook-Freundschaften und Instagram-Bilder durchstöbern oder das Handy aus der Ferne für andere Funktionen sperren, bis die Tochter zurückruft: Mit Hilfe diverser Apps können Eltern ihren Nachwuchs auf Schritt und Tritt überwachen. Der US-Anbieter «Qustodio» etwa wirbt unverblümt: «Der einfachste Weg Ihre Kinder online zu kontrollieren». Im Angebot: Ortung, Überwachung sozialer Netzwerke, Sperren unerwünschter Kontakte. Und der «Unsichtbar-Modus» sorge dafür, dass das Kind die Kontrolle gar nicht mitbekomme.

«Ich halte das für einen vollkommen falschen Weg», sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker. «Alle in Deutschland haben mit Betroffenheit erlebt, wie uns die NSA überwacht. Niemand will das. Ich kann nicht nachvollziehen, warum wir das bei unseren eigenen Kindern machen, nur weil sie Kinder sind.»

In einer Notlage oder bei demenzkranken Menschen mag so eine Funktion sinnvoll sein. Als Schutz vor einem Sexualtäter könne aber auch eine Tracking-App meist wenig ausrichten, meint der frühere Polizeidirektor. «Der weitaus größte Teil der sexuellen Übergriffe kommt aus dem unmittelbaren Nahbereich des Kindes, etwa vom Stiefvater oder Onkel.» Nach Ansicht von Becker gefährden die Apps den Persönlichkeitsschutz und die Entwicklung der Jungen und Mädchen, die ihren Freiraum brauchen. «Ein Kind, das ständig überwacht wird, muss denken, dass man ihm nicht vertraut und ihm nichts zutraut. Wie soll es so ein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen bilden?»

Anders sieht es Ralf Kiene. Kein Wunder, der zweifache Vater aus Saarbrücken hat 2010 die «iNanny» entwickelt, eine GPS-Funktion, mit der Menschen geortet und Bewegungsabläufe verfolgt werden können. «Eltern, die ihren Kindern hinterherschnüffeln – und die gibt es ja auch – finden immer Mittel und Wege.» 50 000 «Nannies» seien bereits in Deutschland im Einsatz, für Demenzkranke, Familienmitglieder und ja, auch für Kinder.

Aber wer benutzt überhaupt solche Angebote? «Ich finde das total fatal. Man muss doch ein Urvertrauen in sich selbst und in die Kinder haben», sagt eine dreifache Mutter aus Frankfurt. «Es gehört dazu, Grenzen zu überschreiten.» Nein, sie benutze nicht solche Apps, beteuert auch eine Berliner Mutter. Aber sie habe das Gefühl, dass das Interesse an solchen Produkten wachse. «Das ist so ähnlich wie mit Botox, keiner gibt es zu – aber dann machen es doch viele.»

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Und der Markt ist vielfältig. «Wo ist Lilly?» war ursprünglich auf GPS-Sender für Hunde und Katzen spezialisiert. Doch längst hat die Berliner Firma bunte GPS-Kinderuhren für 199 Euro im Angebot. Per dazugehöriger App können diese lokalisiert werden. Ein «Geo-Zaun» ermöglicht die Markierung eines Bewegungsfelds. «Wenn das Kind sich aus diesem Radius entfernt, erhalten Sie eine Meldung darüber. Zudem wird Ihnen signalisiert, sobald das Kind die Uhr ablegt, da auch hier ein Sensor verbaut ist», heißt es auf der Homepage. Die Nutzer sind begeistert: «Der Weg von der Schule nach Hause ist nun kein Problem mehr. Eine kurze Ortung und man weiß Bescheid», schreibt eine Mutter.

Eine digitale Schutzzone gibt es auch bei der «iNanny». Den Vorwurf der Überwachung will Macher Kiene nicht gelten lassen. «Das Gros der Eltern nutzt das Angebot, um den Nachwuchs zu beschützen, ihm mehr Freiheiten zu überlassen – und nicht um zu spionieren.» Auch er habe die «iNanny» verwendet, als seine Kinder noch kleiner waren. Heutzutage sei sie noch manchmal im Einsatz, etwa im Skiurlaub.

Datenschützer sehen die Entwicklung dennoch kritisch: Schleichend werde eine Überwachungsstruktur geschaffen, «an die sich alle Beteiligten gewöhnen», sagt Klaus Globig, der stellvertretende Landesdatenschutzbeauftragte aus Rheinland-Pfalz. Er warnt vor Missbrauchsmöglichkeiten. «Die Frage ist, wer kann auf solche Standortinformationen zugreifen? Im technischen Bereich ist ja nie etwas absolut sicher und unknackbar.»

«Auf die Helikopter-Eltern folgen offenbar die Drohnen-Eltern», schrieb bereits der «Spiegel» vor einigen Wochen. Und das Angebot ist erstaunlich: Der US-Anbieter «Ignore No More» etwa hat sich auf das Wegdrücken und Ignorieren elterlicher Anrufe spezialisiert. Gehen die Kinder nicht ans Handy, können Papa und Mama es solange sperren, bis der Nachwuchs sich zurückgemeldet hat. Mit «MamaBear» können Eltern Aktivitäten auf sozialen Netzwerken verfolgen oder Textnachrichten mitlesen. Und wenn das Kind etwa bei WhatsApp Wörter benutzt, die auf selbstgesetzten Index-Liste stehen, wird Alarm per App geschlagen.

«Auch Kinder haben das Recht auf das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis», sagt Becker von der Kinderhilfe. Die gesamte Entwicklung sei kritisch. «Das ist ein Geschäft mit dem schlechten Gewissen der Eltern. Eltern, die ihre Kinder begleiten – und ich meine nicht kontrollieren – die bekommen in der Regel mit, wenn sich etwas verändert oder nicht in Ordnung ist.» Es bringe nichts, ein Versagen in der Erziehung mit einer Technik kompensieren zu wollen. Von Jenny Tobien, dpa

Zum Bericht: Eltern müssen draußen bleiben: Immer mehr Schulen wehren sich gegen klammernde Väter und Mütter

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7 Kommentare
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xxx
8 Jahre zuvor

Man könnte glatt meinen, dass die Eltern ihren eigenen Kindern nicht mehr vertrauen …

Für Verbrecher gibt es elektronische Fußfesseln. Diese Ortungsuhren inkl. App gehen für mich in dieselbe Richtung.

Dina
8 Jahre zuvor

Ich musste auch an die Fußfesseln denken. Andererseits sehe ich durchaus praktische Anwendungsmöglichkeiten bei der Betreuung von behinderten Kindern, deren Erkrankungen ggf. zum Tod führen, wenn nicht rechtzeitig reagiert wird. Wenn diese Kinder ihre ersten Ausflüge in Stadt und Dorf allein machen, kann man die Verantwortung für die erste Hilfe im Notfall nicht an Gleichaltrige abgeben.
Andererseits glaube ich fast, dass gerade diese Eltern die Bewachung ihrer Kinder minimal halten würden, weil sie ohnehin gestresst sind von den ständigen Hilfeleistungen. Die sind eher froh, wenn ihre Kinder selbstständiger werden. Ich frage mich daher schon, wie der Markt zustande kommt. Ich denke, Eltern sind heutzutage viel zu sehr daran gewöhnt, ständig erreichbar zu sein, nun müssen auch Kinder ständig erreichbar sein bzw. die Kinder müssen dafür herhalten, wenn niemand die Eltern erreichen will, die doch erreichbar sind.

Tobias Claren
5 Jahre zuvor

Schon komisch, „sozialer Druck“ (Prominente die für solche Apps werben, Maffey etc.).
Den möchte Ich mal (ohne Witz) beim Thema Kinder zeugen sehen.
Wenn nur ein paar Prominente öffentlich sagen würden dass sie zwar Zeugungsfähig sind, aber darauf verzichten ihre eigenen Gene weiterzugeben, sondern sich Spermium und Eizelle von höchstintelligenten Spendern beschaffen, das könnte schon einen gewissen „sozialen Druck“ (im positiven Sinne) auslösen.
Denn die Kinder werden hochintelligent.

Nein, das ist kein Zufall wie gerne vermittelt wird.
Die statistische Formel für den Durchschnitts-IQ der Kinder: Schnitt der Eltern plus 100 geteilt durch Zwei. Also 180 plus 170 = 137,5.
Das ist nicht wenig. 130 und mehr haben nur 2% der Menschen. Man sieht, man hat es in der Hand.
Und wenn Prominente das „raushängen“ lassen würden, die Erfolge des Kindes twittern, über Facebook teilen etc., dann wird es evtl. zur Mode.
Das Kind liest mit 2-3, es hat das Grunbdschulwissen schon bei Einschulung etc..
Ich glaube es war ein Zeit-Artikel über Intelligenz worin die Formel erwähnt wurde.

Wie dumm „intelligente“ Eltern sein können sieht man wenn z.B. eine Mutter mit IQ130 meint ihr Kind MUSS „hochbegabt“ sein (Terror bei den Lehrern…)… Weil sie es ja ist/war…
Ihr Mann hat evtl. 105, und das ergibt zusammen 108,75. Durchschnitt…
Deshalb bringt es auch nicht viel auf eine fremde Eizelle zu verzichten.
Sucht sich die Frau mit IQ 130 einen Spender mit IQ180 dann sind es zumindest 127,5 (Spitze der Gaußschen Verteilung).

„Wer diese Möglichkeiten nicht nutzt, macht sich schuldig, wenn doch etwas passiert.““

Tja, und so sehe Ich es auch mit der IQ-Eugenik…
Ja, Ich habe es selbst so genannt.
Das Wort ist neutral, hier geht es um etwas freiwilliges, keinen Zwang.
Im Gegensatz zu den vagen Gefahren die die Drohneneltern für ihre Kinder sehen, ist es Fakt dass Menschen glücklicher sind, wenn sie intelligenter sind. Außerdem sind sie weniger oft Rechts (dieser Typ mit IQ 200 und seine Affen/Schwarzen-Vergleiche sind eine Ausnahme, er wuch bei asozialen und scheinbar rassistischen Eltern auf, „White Trash“), eher Atheist, sind weniger bis nicht unglücklich wenn sie keine Partnerschaft führen, brauchen keine Freunde um glücklich zu sein.
Sind glücklicher weil sie jede Arbeit bekommen die sie wollen.
Sie studieren was sie wirklich interessiert.
Ganz besonders aktuell, denn die Vollautomatisierung steht kurz bevor.
2030 sollen es laut Ing-Diba 59% weniger Arbeitsplätze (in Deutschland) sein.
Kinder von heute werden entweder Arbeitslos, oder sie studieren. Ihr solltet also PRO BGE sein.
Denn gerade EURE Kinder werden davon leben müssen.
Sonst werden sie Hartz4 beziehen…
Berufskraftfahrer sind bald von jetzt auf gleich Arbeitslos (Stufe 5 Roboterautos und LKW/Busse), wenn endlich RFID auf die Lebensmittel kommt sind auch Kassierer überflüssig (an automatisch gefüllten Regalen wird aktiv in Laborsupermärkten geforscht). Und bis 2050 wohl jeder Handwerker.
31 Jahre sind eine relativ lange Zeit, wenn man bedenkt welche Fortschritte es seit 1970, 1980, 1990, 2000… gab.

Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor
Antwortet  Tobias Claren

? 🙂 ?

Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor

Da ich eine Tochter im jugendlichen Alter habe, kann ich es durchaus verstehen, wenn Eltern sich Sorgen machen und ihre Kinder gerne jederzeit „im Auge haben“ möchten. Als Hubschrauber- oder Drohneneltern sehe ich uns deshalb nicht. Es ist schwierig, sich zurückzuhalten, man macht sich halt Sorgen bei alledem, was passiert. Wenn etwas passiert, macht man sich Vorwürfe. Man muss „die Mitte finden“, aber wo ist sie?

Dabei meine ich weiterhin, dass nicht mehr passiert als früher (Kriminialität), sondern dass wir es nur mehr wahrnehmen, weil es mehr thematisiert und hochgespielt wird und manche Formen sind halt neu und leichter zugänglich (Internet).

Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Ups, der Artikel ist ja auch von 2015. 🙂 🙂 🙂

Wilhelm Rinschen
2 Jahre zuvor

„Helikopter-Eltern“, „Drohnen-Eltern“…. warum müssen so aufreißerische Begriffe verwandt werden?
Folgendes Szenario: Eine alleinerziehende und berufstätige Mutter zweier sieben- und neunjähriger Kinder ist auf eine Ganztagsbeschulung (aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit) angewiesen. Natürlich und gottseidank besteht ein Interesse daran, wie es ihren heranwachsenden Kindern geht!
Wo ist die Grenze zwischen schulischer und elterlicher „Fürsorge“?