Seit 7 Jahren in jedem Wintersemester aufs Neue: Studienplatz-Vergabe driftet ins Chaos

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BERLIN. Einen Flughafen zu bauen, ist in Deutschland schwierig – siehe Berlin. Eine Philharmonie ebenfalls – siehe Hamburg. Nicht die einzigen Chaos-Baustellen hierzulande. Eine weitere: hochschulstart.de. Damit sollte schon vor sieben Jahren die Vergabe von Studienplätzen bundesweit besser geregelt werden. Doch es läuft immer noch nicht rund – auch weil nur 50 Prozent der Hochschulen teilnehmen. Neuer Studentenfrust ist programmiert.

Wohin denn nun? hochschulstart.de macht es Studierwilligen nicht leichter. Foto: mkorsakov / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Wohin denn nun? hochschulstart.de macht es Studierwilligen nicht leichter. Foto: mkorsakov / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Wer in diesem Wintersemester einen der heiß begehrten Studienplätze mit Zulassungsbeschränkung durch Numerus clausus (NC) ergattert hat, darf sich glücklich schätzen. Doch in Tausenden Fällen knirscht es auch jetzt wieder bei der Vergabe über das Bewerbungsportal «hochschulstart.de» – zur Enttäuschung vieler Studenten und zum Ärger von Bildungsexperten. Sie fragen sich, ob Politik und Hochschulen einfach so weiterwursteln wollen.

Im Wintersemester 2014/15 konnten mehrere tausend Studienplätze nicht über das Dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV) der Stiftung für Hochschulzulassung vergeben werden, insgesamt blieben bundesweit nach Recherchen des ZDF-Magazins «Frontal 21» wohl gut 21.000 unbesetzt. Der Anteil unbesetzter NC-Plätze stieg damit von 4,8 auf 6,3 Prozent. Dabei hatte das computergestützte DoSV-System 2008 mit hochfliegenden Erwartungen die stets umstrittene Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) abgelöst, die aber immerhin «halbwegs funktioniert» habe, wie das Deutsche Studentenwerk konstatiert.

Doch zwei Konstruktionsfehler machen «hochschulstart.de» seit Jahren zu schaffen. Zum einen die mangelhafte Teilnahme der staatlichen Hochschulen an dieser Online-Datenbank: Nur die Hälfte (89 von 180) machte vor dem Wintersemester 2015/16 beim Vergabeverfahren mit – immerhin mit steigender Tendenz seit 2012/13 (damals waren es gerade mal 17 Unis). Zum anderen bereiten Mehrfach-Bewerbungen der Studenten Probleme, die auf Nummer sicher gehen wollen und so letztlich Studienplätze blockieren.

Dieses Dauer-Dilemma brachte die Linksfraktion im Bundestag derart in Rage, dass sie Ende September eine Anfrage an die Regierung richtete. «Seit dem Jahr 2006 hat der Bund ausdrücklich die Kompetenz, die Hochschulzulassung bundeseinheitlich zu regeln», sagte Linke-Hochschulexpertin Nicole Gohlke auf Anfrage. «Dass auch die jetzige große Koalition davon keinen Gebrauch macht, spricht Bände. Es besteht offensichtlich weder das Interesse, die Teilnahme der Hochschulen am Verfahren (…) verbindlich zu regeln, noch (…) die Jahr für Jahr hohe Zahl an unbesetzten Plätzen aufgrund von Mehrfachbewerbungen endlich auszuschließen.»

Die Forderung der Linken nach einem Bundeshochschulzulassungsgesetz stößt bei der Regierung jedoch auf taube Ohren. «Dies ist keine Frage der rechtlichen Regelung von Zulassungsmodalitäten, sondern des praktischen Verfahrens, das allein in der Verantwortung der Länder und ihrer Hochschulen liegt», heißt es aus dem Bildungsministerium.

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Auch sonst hält sich das Ressort von Johanna Wanka (CDU) mit einem Anschub für das kränkelnde Vergabesystem zurück und verweist auf die Zuständigkeit der Stiftung. Und: «Nach Auffassung der Bundesregierung kann aus der Zahl der unbesetzt gebliebenen Studienplätze kein Rückschluss auf die Zahl möglicherweise unversorgt gebliebener Bewerber gezogen werden.» Eigentlich alles halb so schlimm?

Der Bund habe sich «seit 2012 komplett aus der Finanzierung des Dialogorientierten Serviceverfahrens zurückgezogen», kritisiert Gohlke. Die Kosten würden «entgegen aller vorherigen Absprachen peu à peu den Hochschulen aufgedrückt», was deren Bereitschaft zur Teilnahme bei «hochschulstart.de» gewiss nicht steigere.

Immerhin: Mit einer flächendeckenden Einführung des Dialog-Verfahrens sei «bis zum Jahr 2018 zu rechnen», heißt es vom Ministerium. Für die Bildungsgewerkschaft GEW geht damit allerdings das schon seit Jahren beklagte «Chaos bei der Studienplatzvergabe» erst einmal weiter. «Wenn nur die Hälfte der Hochschulen teilnimmt, dann fehlt den Studienplatzbewerbern die Hälfte der notwendigen Daten», ärgert sich der stellvertretende GEW-Chef Andreas Keller.

Wie das Studentenwerk verlangt die Gewerkschaft, der Gesetzgeber müsse die Hochschulen «zur Teilnahme am gemeinsamen Vergabeverfahren verpflichten». Im Gespräch sagte Keller: «Es war ein Fehler, in Fächern, wo es einen Studienplatzmangel gibt, das zentrale Verfahren abzuschaffen und gleichzeitig keinen Ersatz zu haben.» Derzeit könne sich ein Abiturient «bei sieben Hochschulen bewerben. Und im Falle eines positiven Bescheids haben junge Leute dann was anderes im Sinn als sich dort abzumelden, wo sie den Zuschlag nicht bekommen haben.» Von Werner Herpell, dpa

Zum Bericht: Studium 2012: Einschreibungs-Chaos wie vor 40 Jahren

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