Wenn der Amok-Notruf kommt – Fehlalarme sorgen zunehmend für Aufregung in Schulen

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KARLSRUHE. Vom Alarmsignal bis zu neuer Schließtechnik – nach dem Amoklauf in Winnenden haben Schulen in puncto Sicherheit aufgerüstet. Vieles ist tatsächlich besser geworden. Was aber zunehmend Ärger bereitet: Fehlalarme, die durch technische Fehler oder aus Versehen ausgelöst werden – und bei Schülern und Lehrkräften große Ängste auslöst.

Bei jedem Amok-Alarm rückt die Polizei mit großem Aufgebot an. (Symbolfoto). Foto: LIbertinus / flickr (CC BY-SA 2.0)
Bei jedem Amok-Alarm rückt die Polizei mit großem Aufgebot an. (Symbolfoto). Foto: LIbertinus / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Szenen sind unheimlich und gleichen sich: Blaulicht, schwer bewaffnete Polizisten und Schüler, die mit ihren Lehrern im Klassenzimmer bange Stunden erleben. Große Aufregung, am Ende Entwarnung. 28 Amokalarme hat das baden-württembergische Innenministerium allein im Jahr 2015 erfasst, eine wirkliche Gefahr bestand zum Glück in keinem Fall. Und es waren nur etwa halb so viele Alarme wie im Vorjahr (51). Doch jeder einzelne löste Ängste aus und war für betroffene Schüler, Lehrer, Eltern und Polizisten einer zu viel.

Seit dem Amoklauf in Winnenden im März 2009 haben Schulen in Baden-Württemberg aufgerüstet: Sie haben Alarmsysteme eingerichtet, die einen automatischen Notruf an die Polizei abgeben, Sicherheitspläne erstellt, ihr Personal geschult und die Gebäude mit neuer Schließtechnik versehen. Doch mehr Technik birgt auch Risiken: Die meisten Fehlalarme wurden laut Innenministerium durch technische Fehler oder aus Versehen ausgelöst.

Sorgt das Bedürfnis nach Sicherheit nur für mehr Unsicherheit? «Wir haben keine andere Wahl, als es so zu machen – wir müssen jeden Verdacht ernst nehmen», sagt Ministerialrat Michael C. Hermann vom Kultusministerium in Stuttgart; die Bombendrohung, die Anfang Dezember in einer Stuttgarter Grundschule einging, genauso wie den Mann im Drogenrausch, der im November in Heidenheim mit einer Spielzeugpistole einen Großeinsatz der Polizei auslöste.

Gefährdet war auch in diesen Fällen niemand. Doch das weiß man vorher nicht. «Der Schock von Winnenden sitzt tief», sagt Hermann. Nicht nur in Baden-Württemberg. «Alle Bundesländer haben sich damit beschäftigt.» In Winnenden (Rems-Murr-Kreis) und auf der Flucht in Wendlingen (Kreis Esslingen) hatte der 17-jährige Tim K. im Jahr 2009 an seiner ehemaligen Schule 15 Menschen und sich selbst erschossen.

Schulen und Polizei sind seitdem «in hohem Maße sensibilisiert», so Hermann. Vom Notruf-Piepser (Pager) für jeden Schulleiter über ein spezielles Amoksignal bis hin zum Klassenzimmer mit Türknauf – die Empfehlungen des nach Winnenden eingerichteten «Expertenkreises Amok» sind vielerorts umgesetzt.

Schulpsychologen achten seitdem verstärkt auf verhaltensauffällige Kinder, Schulen haben einen kurzen Draht zur Polizei, jede Streife hat schusssichere Westen und Helme im Kofferraum. «Schulen sind auf Krisenfälle besser vorbereitet», meint ein Sprecher des Polizeipräsidiums Karlsruhe. «Wir sind schon deutlich vorangekommen.»

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Das findet auch Uwe Müller, der geschäftsführende Schulleiter für die Karlsruher Gymnasien, der unter anderem mit der Stadt Sicherheitsfragen koordiniert. «Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist perfekt», sagt er.

Das Krisenmanagement seiner Schule schließt ein, dass die Polizisten die Räumlichkeiten kennen, es gibt genaue Absprachen, und unter Kollegen wurden Notfallnummern ausgetauscht. Im Einsatz war die schnelle Telefonkette erst kürzlich, als Lehrer am Wochenende über ein schreckliches Familiendrama informiert werden mussten.

Im Gegensatz zum unangekündigten Feueralarm darf ein Amok-Alarm nicht geübt werden. Um die 1000 Schüler müssen nicht unnötig in Panik versetzt werden. Wie das Signal klingt, wissen die Kinder gleichwohl.

Welche Vorsichtsmaßnahmen die Schulen konkret treffen, bleibt diesen überlassen. So verzichtet ein Karlsruher Gymnasium bewusst auf Türen, die sich nur von innen öffnen lassen. Was ist im Notfall mit dem Kind, das von der Toilette kommt und zurück ins Klassenzimmer will? Und: Soll man Klassenzimmer von innen verbarrikadieren oder gerade nicht?

Müller hat an seiner Schule längst Sicherheitstüren, weiß aber: «Es gibt keine absolute Sicherheit. Wir sind eine offene Schule. Und das wollen wir bleiben.» Was er sich wünschen würde, wäre allerdings ein Lautsprechersystem für Durchsagen. «Doch das kostet richtig viel.» Von Susanne Kupke, dpa

Zum Bericht: Riesen-Tohuwabohu nach falschem Amok-Alarm – schon wieder. Wie fehleranfällig sind die Notruf-Systeme?

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2 Kommentare
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Nele Abels
8 Jahre zuvor

„So verzichtet ein Karlsruher Gymnasium bewusst auf Türen, die sich nur von außen öffnen lassen.“

Ich glaube, dieser Satz ist so nicht gemeint.