Heim ohne Aufsicht? Ex-«Friesenhof»-Mitarbeiter schildern üble Zustände in der Einrichtung

0

KIEL. Keine Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung, zu wenig qualifiziertes Personal, Ratten und Mäuse im Haus: Ehemalige Mitarbeiter des «Friesenhofes» erheben schwere Vorwürfe gegen die Einrichtung – und meldeten ihre Eindrücke auch an das Landesjugendamt.

Ehemalige Mitarbeiter der «Friesenhof»-Einrichtung «Campina» haben im Untersuchungsausschuss des Landtages (PUA) Missstände in dem Mädchenheim geschildert. Unter anderem habe es keine Möglichkeiten zur individuellen Freizeitgestaltung oder zu Ausflügen gegeben, sagte einer der früheren Angestellten am Montag in Kiel. Zudem habe er den Eindruck gehabt, dass auf pädagogische Qualifikation des Personals seitens der Leitung nicht viel Wert gelegt worden sei. Es habe dreieinhalb Stellen für Fachkräfte gegeben und vier bis fünf ungelernte Mitarbeiter. Nach kurzer Zeit als Nachtwächter sei er – als Handwerker – wegen Personalmangels in den Tagdienst versetzt worden, sagte der Zeuge. Dort habe er auch Mädchen betreut. Über den persönlichen Hintergrund der Heimbewohnerinnen sei ihm nichts gesagt worden.

Ein Betreuungskonzept habe er nicht erhalten, der Wunsch nach Fortbildung sei ihm von der Geschäftsleitung abgeschlagen worden, sagte der Mann weiter. «Ich musste mir alles selbst erarbeiten.» Die anderen Mitarbeiter hätten ihn – so gut es ging – über die Mädchen und die Einrichtung informiert. «Es machte einen recht kopflosen Eindruck», schilderte der Zeuge seine Eindrücke.

Seine Frau, eine staatlich geprüft Erzieherin, habe wenig später auch in dem «Friesenhof»-Heim angefangen. Dort habe sie gleich die Heimleitung übernehmen sollen, wie die ebenfalls als Zeugin geladene Frau im PUA sagte. Sie kritisierte ebenfalls, dass ihr selbst auf Nachfrage nie ein pädagogisches Konzept ausgehändigt worden sei. Auch sie habe nichts über die Kinder und deren Vorgeschichten erfahren.

Das Ehepaar schilderte in der mehrstündigen Befragung die Zustände im Heim «Campina». Demnach durften die Kinder beispielsweise tagsüber nie in ihre Zimmer. Diese seien abgeschlossen gewesen. Das umzäunte Gelände hätten die Mädchen nicht allein verlassen dürfen. Ausflüge mit den Kindern seien aus Kostengründen untersagt gewesen. Spielzeug und Bücher habe es nicht gegeben. Die Mitarbeiter hätten dann aussortiertes Spielzeug von ihren eigenen Kindern mitgebracht.

Beide Zeugen bemängelten, dass es keine Therapieangebote für die Kinder gab, obwohl es auch aggressive Mädchen und zum Teil heftige Konflikte untereinander und mit Betreuern gegeben habe. Anti-Aggressions-Training etwa habe es nicht gegeben. «Soweit ich weiß, war kein Betreuer für so etwas ausgebildet», sagte der Zeuge. Als Erziehungsmaßnahmen seien etwa Gruppengelder einbehalten oder Telefonate mit den Eltern für eine bestimmte Zeit verboten worden.

«Wir haben natürlich darüber nachgedacht, dass das Missstände sind, die an die Öffentlichkeit müssen», sagte die ehemalige Hausleiterin. Auf die Frage, warum sich kein Mitarbeiter früher über die Zustände beschwerte, sagte die Zeugin, diese seien zum Teil finanziell abhängig vom «Friesenhof» gewesen.

Der Mann hatte sich nach eigenen Angaben ab Oktober 2013 mit Beschwerden an das Landesjugendamt gewandt, obwohl solche Kontakte von der Geschäftsführung untersagt gewesen seien. Zwölf Mal habe er die Heimaufsicht kontaktiert – telefonisch oder per Mail. Auch aufgrund dieser Beschwerden hatte es am 2. Dezember 2013 nach Aktenlage einen unangemeldeten Besuch des Landesjugendamtes im Haus «Campina» gegeben. Zu dieser Zeit hatte der Zeuge bereits gekündigt und die Einrichtung verlassen. Seine Frau verließ das Heim offiziell zum Januar 2014.

Die Friesenhof-Einrichtung war im Juni 2015 nach massiven Vorwürfen wegen unzureichend ausgebildetem pädagogischen Personal und entwürdigender Methoden im Umgang mit den untergebrachten Mädchen geschlossen worden. Gegen einige ehemalige Mitarbeiter laufen noch Ermittlungsverfahren. Die Opposition hält der Heimaufsicht des Landes und Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) als zuständiger Ministerin vor, zu spät und unzureichend reagiert zu haben. Alheit hatte den Vorwurf von Missmanagement entschieden zurückgewiesen. Als Konsequenz aus den Vorgängen will Alheit aber durch eine Reform des Kinder- und Jugendhilferechts die Heimaufsicht stärken. Von Birgitta von Gyldenfeldt, dpa

Zum Bericht: „Schwarze Pädagogik“: Heime in Brandenburg werden geschlossen

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments