Hintergrund: Worum sich Kretschmann und Wolf in der Bildungspolitik streiten

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STUTTGART. Gemeinschaftsschule, Grundschulempfehlung, Realschule – in der Bildungspolitik gibt es viele Zankäpfel. Vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg debattieren die Parteien vehement über den richtigen Weg für die Schulen in die Zukunft. Die grün-rote Koalition unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wirft der CDU vor, zu ihren Regierungszeiten die wegen gesellschaftlicher Veränderungen notwendigen Reformen nicht angepackt zu haben. Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Guido Wolf und die FDP bekennen sich zum bisherigen mehrgliedrigen Schulsystem im Kontrast zu dem von Grün-Rot angestrebten Zwei-Säulen-Modell.

Die wichtigsten Unterschiede in der Bildungspolitik:

– GEMEINSCHAFTSSCHULEN: Die Opposition vermutet hinter der Einführung «einer Schule für alle» durch Grün-Rot ideologische Gründe und wehrt sich gegen «Gleichmacherei». CDU und FDP stören die vermeintlichen Privilegien für die neue Schulart. Sie streben einen «fairen Wettbewerb» der Schularten an. In der Gemeinschaftsschule werden Kinder mit Empfehlung für Werkreal-, Realschule und Gymnasium zusammen unterrichtet und können den Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife oder – bei erforderlicher Schülerzahl – das Abitur ablegen. Die CDU will keine neuen Gemeinschaftsschulen über die bestehenden und genehmigten 299 hinaus erlauben. Existierenden Schulen wird die Rückkehr zu Noten und Nicht-Versetzungen eröffnet. Die FDP hingegen will auch neue Anträge auf Gemeinschaftsschule genehmigen, sofern die Schulart mit den anderen finanziell gleichgestellt ist. Überdies sollen sie ein leistungsbezogenes Kurssystem einführen können.

– REALSCHULEN: Die CDU will ebenso wie die Koalition aus Grünen und SPD eine Orientierungsstufe in den Klassen 5 und 6. Danach sollen nach dem Willen der CDU in den Fächern Deutsch, Mathe, Fremdsprache und Naturwissenschaften unterschiedliche Kurse je nach angestrebtem Abschluss – Hauptschulabschluss oder Mittlere Reife – eingerichtet werden können. Die Koalition lehnt das ab und hat die Schulart mit 500 zusätzlichen Stellen und mehr Poolstunden zur individuellen Förderung gestärkt. Das Konzept des Kultusministeriums sieht vor, nach der sechsten Klasse festzulegen, ob der Schüler auf der mittleren oder grundlegenden Niveaustufe lernt. Die Realschulen können aber auch in den Klassenstufen 7 und 8 zeitweise eine äußere Differenzierung in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik vornehmen. Das geht CDU und FDP aber nicht weit genug. Die Liberalen wollen das Verbundschul-Modell ausweiten, also Real- und Werkrealschulen unter einem organisatorischen Dach.

– GANZTAGSSCHULEN: Die Opposition will den Eltern «echte Wahlfreiheit» ermöglichen, also auch die Option eröffnen, ihr Kind ein oder zweimal pro Woche zu einem Nachmittagsangebot schicken zu können. Aus Sicht von Grün-Rot ist die bisherige Regelung flexibel genug: Schulen können wählen zwischen der verbindlichen Form der Ganztagsschule an drei oder vier Wochentagen und der Variante, bei der die Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind für den Ganztag anmelden oder nicht. Gemeinschaftsschulen sind per definitionem Ganztagsschulen.

– NEUNJÄHRIGES GYMNASIUM (G9): Grün-Rot hat bislang neunjährige Züge nur als Modellversuch an 44 Gymnasien zugelassen. Die in Teilen der SPD favorisierte Rückkehr zum G9 ist nicht mehr im Gespräch, weil klar geworden ist, dass mehr neunjährige Züge die Zahl der Schüler mit Gymnasialempfehlung an Gemeinschaftsschulen deutlich reduzieren könnten. Nach dem Konzept der CDU sollen die Familien nach Klasse 6 entscheiden, ob sie den acht- oder neunjährigen Weg zum Abitur nehmen. Auch die FDP will diesen Spielraum gewähren, aber den Schulen die gleichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Die CDU sieht aber deutlichen Mehrbedarf für neunjährige Züge.

– VERBINDLICHE GRUNDSCHULEMPFEHLUNG: Für SPD und Grüne soll der Ratschlag des Grundschullehrers für die weiterführende Schule nur Richtschnur für die Elternentscheidung sein. Die CDU will die Grundschulempfehlung nicht wieder obligatorisch machen, doch durch ein verbindliches Elterngespräch ergänzen. Die FDP legt sich noch nicht fest, ob sie weiter auf eine verbindliche Grundschulempfehlung verzichten will. Wenn trotz aller Anstrengungen die Sitzenbleiberquote nicht sinkt, dürfe eine Wiedereinführung einer verbindlichen Grundschulempfehlung nicht tabu sein. Die Liberalen wollen die aufnehmenden Schulen unter anderem wissen lassen, welche Empfehlung die Grundschulen ihren neuen Schülern gegeben haben. dpa

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