Interview mit Autor: „Den guten Lehrer gibt es nicht“

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KÖLN. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer geraten zunehmend unter Druck, denn sie müssen zahlreiche Zusatzaufgaben meistern. Sie sind Ersatz für Sozialarbeiter, Psychologen, Berater für Eltern und Kontaktperson zu Jugendämtern, Ärzten oder der Polizei. Die Schulbürokratie erzeugt weiteren Zeitaufwand. Aktuelle Themen wie Integration oder Inklusion erfordern zusätzliche Qualifikationen. Trotzdem ist Buchautor Arne Ulbricht überzeugt: „Lehrer? Ein unverschämt attraktiver Beruf!“ – so der Titel seines aktuellen Buches.

Ein Interview mit Arne Ulbricht, erfolgreicher Autor und Französischlehrer.

N4T: Herr Ulbricht, was macht Sie am Lehrberuf so glücklich?

AU: Im Großen und Ganzen ist es tatsächlich das Verhältnis zu den Schülern, ganz konkret das Zusammenarbeiten mit jungen Menschen. Das finde ich sehr spannend. Natürlich ist es auch manchmal anstrengend, wenn ich mit den Lebenswelten der jungen Menschen nicht zurechtkomme oder auf Meinungen treffe, die mir nicht passen. Aber gerade damit konfrontiert zu werden, darüber zu reden und von den jungen Menschen manchmal sogar etwas zu lernen, das empfinde ich als unglaublich aufregend. Selbst an Tagen wie heute, an denen es wirklich mal kracht.

N4T: Warum hat es heute gekracht?

AU: Ich muss erst noch darüber nachdenken. Es war eine normale Französischstunde, 11. Jahrgang, 1. Stunde. Da sind Schüler eigentlich eher ruhig. Nach einer Stunde kippte die Stimmung plötzlich, weil Langeweile bei einigen aufkam, so mein Eindruck. Dann haben die Schüler alle durcheinandergeredet, sie hatten überhaupt keine Lust mehr. Es ist mir in dieser Situation nicht gelungen, sie wieder auf Kurs zu bringen. Die Unruhe wuchs und ich bin extrem gestresst aus dem Unterricht gekommen, ohne genau zu wissen, woran es lag. Auch das ist spannend. Man gerät immer wieder in Situationen, die einen dazu zwingen, darüber nachzudenken, was man im Unterricht in welcher Situation falsch gemacht hat und was man vielleicht selbst anders machen muss. Es ist zu einfach, den Schülern die Schuld zu geben.

N4T: Ist der Druck auf die Lehrkräfte in den letzten Jahren gewachsen?

AU: Ja und wir machen uns auch ein bisschen selbst den Druck. Das größte Problem ist, dass wir dazu verpflichtet sind, schon frühzeitig Noten zu geben und dass die Schüler diese Noten auch ganz massiv einfordern. Wir bewegen uns da in einem schlimmen Teufelskreis. Die Schüler kommen immer wieder und wollen wissen: Wie stehe ich? Im Umkehrschluss fangen die Lehrer dadurch an, alles, was irgendwie möglich ist, zu benoten. Jedes Referat und jede Hausaufgabe wird benotet. Es ist ganz selten, dass man sich einfach mal frei fühlt zu experimentieren. Wenn man im Unterricht mit den Schülern experimentiert, beispielsweise mit einem Rollenspiel, dann kann man das eigentlich gar nicht benoten. Ich will doch erst einmal nur die Fantasie der Schüler anregen. Ich will, dass sie auf freie Gedanken kommen. Das zu benoten, finde ich schwierig, aber die Schüler fordern es ein. Die Eltern fordern es ein. Hinzu kommt der Konkurrenzdruck innerhalb der Klasse.

Arne Ulbricht ist Französischlehrer und Autor. (Foto: Daniel Schmitt/Spitzlicht)

N4T: Je heterogener die Schülerschaft wird desto größer die Ansprüche an die Lehrkräfte. Sie sind Inklusionsexperte, Begabtenförderer, Kriminologe, Traumatherapeut. Wie ist das zu bewältigen?

AU: Ich habe keine inklusiv zu beschulenden Kinder bei mir in der Klasse. Vor Kollegen, die das meistern, habe ich größten Respekt. Was ich wiederum gut finde ist, wenn die Klassen bunt zusammengesetzt sind. Am liebsten sind mir Klassen, in denen einige Schüler einen Migrationshintergrund haben, am besten auch einige Kinder, von denen man weiß, dass die Eltern ziemlich wohlhabend sind und dazu andere mit Eltern, die nur ganz wenig Geld zur Verfügung haben. Wenn es in diesem Klassengefüge gelingt, dass die Schüler anfangen, sich zu akzeptieren, sich bestenfalls zu respektieren, sich in bestimmten Projekten zusammenzusetzen und zu versuchen, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, dann kann Schule nicht mehr erreichen. Schule ist eine tolle Möglichkeit, um zu zeigen, wie gewinnbringend eine „bunte Mischung“ sein kann.

N4T: Was macht für Sie eine gute Lehrkraft aus?

AU: Den guten Lehrer gibt es nicht. Natürlich sollte jeder Lehrer einigermaßen fachkompetent sein. Aber vor allem muss er von seinem Fach begeistert sein. Ein Französischlehrer muss begeistert sein von der französischen Sprache. Er muss sich für die französische Politik interessieren. Er muss gerne nach Frankreich reisen und ein Geschichts- und Gesellschaftskundelehrer muss sich für die Geschichte begeistern und versuchen, diese Begeisterung rüberzubringen. Zweitens sollte man Schüler als das sehen, was sie wirklich sind. Es sind junge Menschen und so muss man sie behandeln. Das führt dazu, dass man als Lehrer unbedingt fair sein muss. Jeder Schüler, egal wie blöd er sich manchmal verhalten hat, sollte immer wieder eine neue Chance erhalten. Ich selbst könnte zum Beispiel gewiss ein wenig fachkompetenter sein und außerdem fehlt mir oft die Konsequenz, um für Ruhe zu sorgen. red

Auf der didacta 2016 in Köln diskutiert Arne Ulbricht mit verschiedenen Experten zum Thema „Lehrkraft im Fokus: Einzelkämpfer und pädagogischer Packesel?

Lehrkraft im Fokus: Einzelkämpfer und pädagogischer Packesel?
Februar 2016, 14:00 Uhr – 14:45 Uhr, Halle 6, E 50/F 51
Veranstalter: Verband Bildungsmedien e. V.
Weitere Informationen unter www.bildungsmedien.de/didacta

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sofawolf
8 Jahre zuvor

Ich las mal von den Ergebnissen einer Umfrage, ich meine unter Schülern, was einen guten Lehrer ausmache. Zusammenfassend hieß es, Schüler mögen

– klare Ansagen

– Kompetenz

– Humor

Damit kann man doch was anfangen. 😉