Der Fall Stoch zeigt (wieder einmal): Mit der Schulpolitik lassen sich keine Wahlen gewinnen

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STUTTGART. Mit Schulpolitik lassen sich Wahlen verlieren, aber nicht gewinnen. Der Merkspruch von Parteistrategen hat sich durch die Ergebnisse der Urnengänge vom Sonntag mal wieder bestätigt.  Vor allem die Beispiele Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt zeigen erneut: Bildung ist ein extrem undankbares Arbeitsgebiet. Politiker, die sich in der Bildung profilieren möchten, können schon mal einen (fast) sicheren Karriereknick einplanen.

Ist sein Amt wohl bald los: Baden-Württembergs Noch-Kultusminister Andreas Stoch. Foto: Ra Boe / Wikipedia / Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-3.0 de
Ist sein Amt wohl bald los: Baden-Württembergs Noch-Kultusminister Andreas Stoch. Foto: Ra Boe / Wikipedia / Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-3.0 de

Eigentlich hat Baden-Württembergs Noch-Kultusminister Andreas Stoch alles richtig gemacht. Eigentlich. Der Sozialdemokrat übernahm das Ministerium, nachdem es sich seine Vorgängerin und Parteifreundin Gabriele Warminski-Leitheußer mit allen Lehrerverbänden verscherzt und das Haus damit in extreme Turbulenzen gebracht hatte. Und er brachte Ruhe in den Karton.

Beim Thema Inklusion – als der Fall eines Jungen mit Down-Syndrom, den seine Eltern aufs Gymnasium bringen wollten, bundesweit Schlagzeilen machte – reagierte er besonnen. Und versagte die Erlaubnis mit dem nachvollziehbaren Argument, dass sich gegen den Willen der Schule beim aktuellen Stand der Reform hier nichts machen ließe, und dass das Kindeswohl unbedingt Vorrang haben müsse. Beim Vorhaben, „sexuelle Vielfalt“ in den  Bildungsplänen zu verankern – einem Kernthema der Grünen –, agierte Stoch loyal zum Koalitionspartner und ertrug geduldig immer wieder Demonstrationen aufgebrachter Bürger. Stochs Chef, Ministerpräsident  Wilfried Kretschmann (Grüne), hingegen nahm dann dem Protest die Spitze, als er offenbar für viele Bürger glaubhaft versicherte, es mit der Toleranzerziehung in den Schulen nicht übertreiben zu wollen. Punkt für Kretschmann.

Der Regierungschef war noch auf einem radikalen Sparkurs bei den Schulen, als ihm Stoch in die Parade fuhr. Fast 12.000 Lehrerstellen sollten trotz Inklusion abgebaut werden. Das sei nicht machbar, erklärte Stoch – und brachte Kretschmann unter Zugzwang. Der lenkte dann auch ein, und aus dem grün-roten Stellenstreich-Programm wurde eine Einstellungsoffensive, die größte seit den 70er Jahren. Gerade noch rechtzeitigt, um die Schulpolitik vor der Wahl als großen Störfaktoren abzuräumen. Für Kretschmann jedenfalls.

Stoch und seine SPD haben nichts davon: Der Jurist, der erklärt hatte, gerne Kultusminister bleiben zu wollen, wird das Amt kaum behalten können – die Sozialdemokraten sind nach ihren dramatischen Stimmenverlusten so gut wie aus dem Rennen, wenn es um die Bildung einer neuen Regierungskoalition geht. Die FDP hat bereits abgewunken, mit den Grünen und der SPD zusammenzuarbeiten, und die SPD will nicht mit CDU und FDP koalieren. Das wären die Konstellationen gewesen, bei der Stoch sein Amt womöglich hätte behalten können.

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Das gleiche Muster lässt sich in Sachsen-Anhalt erkennen. Auch dort hatte ein Sozialdemokrat, Stephan Dogerloh, bislang das Sagen im Kultusministerium – und machte seinen Job weitgehend souverän und unaufgeregt. Selbst eine Morddrohung im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik schüchterte den standfesten Theologen nicht ein. Dogerloh hatte den damaligen Philologen-Chef von Sachsen-Anhalt, Jürgen Mannke, der in einem Beitrag in der Verbandszeitschrift eine üble Tirade gegen junge Asylbewerber veröffentlicht hatte, kritisiert und ins Ministerium einbestellt. Trotz der aufgeheizten Stimmung wurde der Schulleiter dort aber nur milde gerügt, obwohl beispielsweise die GEW härtere Konsequenzen forderte. Dogerloh ließ die Kirche im Dorf, was deutlich machte: Er steht zu seinen Lehrkräften, auf wenn die mal versagen.

Dogerloh kämpfte sich wacker durch die Mühen der Ebene der Bildungspolitik, einschließlich des ewigen Ringens um Lehrerstellen. Der Dank dafür: Seine SPD brach massiv bei der Landtagswahl ein.  Immerhin, Dogerloh kann noch auf einen Verbleib im Amt hoffen – wenn die Grünen mit der CDU und der SPD ins Boot gehen, können die Sozialdemokraten das Kultusministerium womöglich halten. Wenn Sie’s denn überhaupt wollen.

Die größten Chancen, Kultusministerin bleiben zu können, hat ausgerechnet die Unbekannteste der drei bildungspolitischen Spitzenkräfte aus den Bundesländern, in denen jetzt gewählt wurde: Vera Reiß, Kultusministerin von Rheinland-Pfalz. Sie übernahm das Amt vor anderthalb Jahren von Doris Ahnen, der bis dato dienstältesten Bildungsministerin in Deutschland, die an die Spitze des Landesfinanzministeriums wechselte – und wer bei Google nach dem Namen der Kultusministerin von Rheinland-Pfalz sucht, bekommt noch immer auf den ersten Rängen den Namen Ahnen geliefert.

Die Sozialdemokratin Reiß hat offenbar von ihrer Parteifreundin und Amtsvorgängerin gelernt, dass sich Bildungspolitik am besten im Stillen abspielt. Ohne forsches Auftreten. Ohne lautstark ausgetragene Konflikte. Die Folge: Im Wahlkampf von Rheinland-Pfalz spielte die Schulpolitik kaum eine Rolle. Die konstruiert wirkende Fundamentalkritik der CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner an der Bildung („Wir sind gegen Einheitsschulen“) verfing nicht. Was für Ministerpräsidentin Malu Dreyer überaus vorteilhaft war. Denn, wie gesagt: Mit Schulpolitik lassen sich Wahlen verlieren, aber nicht gewinnen.  News4teachers

 

Baden-Württemberg vor Grün-Schwarz?
STUTTGART. Im Landtagswahlkampf haben sie kräftig aufeinander eingedroschen. Aber nun könnte es in Baden-Württemberg auf das bundesweit erste grün-schwarze Regierungsbündnis hinauslaufen. Ministerpräsident Winfried Ketschmann (Grüne) will am heutigen Mittwoch in Stuttgart erste Sondierungsgespräche mit möglichen Partnern führen.

Kann es mit Grünen und CDU zusammen funktionieren? Gedankenspiele mit Schwarz und Grün sind im Südwesten gar nicht so neu: Bereits als Oppositionspolitiker lotete Kretschmann die Chancen eines solchen Bündnisses 2006 aus. «Wir wollten damals den Gedanken der Ökologie und der Nachhaltigkeit mit Hilfe einer wirtschaftsnahen Partei ins Zentrum der Wirtschaft bringen», erklärte Kretschmann später in einem Interview.

Doch im Jahr 2011 erledigte sich das Thema erst einmal. Die Grünen übernahmen dann zusammen mit der SPD die Landesregierung und suchten selber die Nähe zur Wirtschaft. Die baden-württembergischen Grünen sind seit jeher konservativer und pragmatischer ausgerichtet als die Grünen im Bund. Dies gilt insbesondere für Kretschmann. «Der könnte vom Habitus her genauso gut in der CDU sein», meint der Konstanzer Politologe Wolfgang Seibel. Katholik, Kirchgänger, Naturliebhaber und ein Mensch mit Bodenhaftung: «Es gibt etliche in der CDU, die aus demselben Holz geschnitzt sind.»

In der Bildungspolitik ist zwar die unter Grün-Rot eingeführte Gemeinschaftsschule ein Zankapfel zwischen Grünen und CDU. Allerdings scheinen die Gräben hier ebenfalls überwindbar. Die CDU hatte den bestehenden Gemeinschaftsschulen zumindest eine Bestandsgarantie zugesichert. dpa

 

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Pälzer
8 Jahre zuvor

Stoch hat den unsäglichen Bildungsplan auf den Weg gebracht, der fast alle Vorgaben der Landesverfassung zur Familien- und Sexualpolitik in ihr Gegenteil verkehren will. Er hat die darauf reagierende Protestbewegung sehr geringschätzig abgewiesen, sich der fundierten inhaltlichen Diskussion nicht gestellt, sondern die erfolgreiche Petition zum Bildungsplan auf rein formale Weise im Parlament zurückweisen lassen. Mit einigen Korrekturen sollte der Bildungsplan ohne weitere Diskussion beschlossen werden. Und jetzt wundert sich der Autor dieses Texts, dass Stoch keinen Erfolg hat?? Im Titel fehlt das zentrale Wort: Mit _schlechter_ Schulpolitik lassen sich keine Wahlen gewinnen.
Aber Sie sind nicht allein, anonymer Autor. Auch in den Diskussionsrunden nach der Wahl wurde sorgsam vermieden, nach der Schulpolitik zu fragen, wenn man über das schlechte Abschneiden der SPD nachdachte.

wetterfrosch
8 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

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