Alles für die Bildung – an der Uni Gießen wird zum ersten Mal ein Wal präpariert

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GIEßEN. Schon seit drei Monaten verrottet der in der Nordsee gestrandete Jungbulle an der Uni Gießen. Die Präparatoren haben aber noch viel Arbeit vor sich, ehe das Walskelett ausgestellt werden kann.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate hängt der Pottwal in Gießen am Haken. Ein Kran hebt den riesigen Unterkiefer aus einem Container, dann Teile der Wirbelsäule. Das Skelett faulte darin seit Januar in einem Wasserbad vor sich hin. Tropfend und stinkend landen die Einzelteile nun am Donnerstag auf dem Hof der Veterinärmedizin der Uni Gießen. Präparatoren in Schutzanzügen greifen beherzt zu, um mit einem Messer letzte wabbelige Fleischreste von den Knochen zu entfernen.

Der etwa 15 Meter lange Meeressäuger gehört zu jenen Walen, die Anfang des Jahres in der südlichen Nordsee gestrandet sind. Insgesamt verendeten damals rund 30 Pottwale an der deutschen, niederländischen, französischen und ostenglischen Küste. Die Ursache für das Stranden ist noch nicht eindeutig geklärt.

Die mittelhessische Universität konnte sich die Überreste eines der glücklosen Jungbullen sichern. Die Knochen werden hier nun präpariert. Bereits die Ankunft des Skeletts vor drei Monaten in Gießen und das Verladen in den Container sorgte für ein ungewohntes – und geruchsintensives – Schauspiel.

Auch jetzt wabert wieder stechend-süßes Verwesungsaroma über den Hof. Unbeeindruckt davon sowie von der unansehnlichen rötlich-braunen Masse, die teilweise noch an den Knochen klebt, packt Tierpfleger-Auszubildende Jennifer Hennemann einen Walwirbel. «Das ist nichts, was eklig wäre», sagt die junge Frau, die erst vor kurzem das Skelett eines Bonobo-Affen präpariert hat. Daran sei sie gewöhnt, außerdem sei die Arbeit spannend.

Der grönländische Walfisch, Holzstich um 1840
Der grönländische Walfisch, Holzstich um 1840 (Wikimedia/Public Domain)

Ein Wal ist für die Gießener Neuland. Noch nie wurde hier ein so großes Tier präpariert. «Wir müssen dabei auch improvisieren», sagt Stefan Arnhold, Professor für Veterinär-Anatomie. Kollege Martin Bergmann fügt hinzu: «Es ist learning by doing. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir das hinkriegen.» Die besondere Schwierigkeit: Natürlich die Größe des Wals. «Ansonsten sind es Knochen wie jede anderen auch.» Tipps holten sich die Gießener von Kollegen der Uni Göttingen.

Die nächsten Schritte sind allerdings klar: Drei Monate lang rottete der Gießener Pottwal bereits in dem Wasserbad vor sich hin, damit sich Fleisch- und Gewebereste lösen. Nun kommen die Knochen in ein neues Bad, das mit Enzymen versetzt wird. Dadurch werde der Fäulnisprozess beschleunigt, erklärt Arnhold. Zum Schluss müssen die Teile entfettet werden – sonst müffelt das Skelett und die Knochen nehmen Schaden.

Derweil geht die Auszubildende Hennemann zu einem Stück der massigen Wirbelsäule. Mit einem Zollstock misst sie die Abstände zwischen den Wirbeln. Das sei wichtig, damit später die Maße des Meeressäugers stimmen. Denn die zwischen den Wirbeln liegenden Bandscheiben bleiben nicht erhalten.

Eine Flosse ist bereits vermessen. Auf einem Tisch liegen Schulterblatt sowie die Knochen von Ober- und Unterarm und Fingern in der richtigen Reihenfolge arrangiert. Dabei geholfen haben Röntgen- und CT-Aufnahmen, wie Bergmann erklärt.

Es wird aber noch Monate dauern, bis der Pottwal zusammengesetzt in einem Hörsaal besichtigt werden kann. Gedacht ist das Skelett für die Arbeit der Gießener Hermann-Hoffmann-Akademie für junge Forscher, die sich unter anderem an Schüler richtet. Caroline Eckenfels/dpa

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