Der gläserne Lehrer: Wie weit sollten Privates und Berufliches verschmelzen?

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Der moderne Lehrberuf wird immer mehr zu einer ganzheitlichen Aufgabe, die oft weder Feierabende noch eine scharfe Trennlinie zwischen dem Lehrer und dem Privatmensch kennt. Eine fatale Entwicklung, wie der folgende Kommentar zeigt. Zugleich aber auch eine, die im Griff behalten werden kann.

Die gläserne Marie

Noch nie hatten es Lehrer so schwer, Beruf und Privatleben zu trennen. Schülern und deren Eltern zu viele private Einblicke zu gewähren, ist jedoch ein Schritt in die ganz falsche Richtung.
Noch nie hatten es Lehrer so schwer, Beruf und Privatleben zu trennen. Schülern und deren Eltern zu viele private Einblicke zu gewähren, ist jedoch ein Schritt in die ganz falsche Richtung.

Marie Leiminger (Name fiktiv) ist eine Lehrerin, wie es sie zu tausenden gibt: Marie ist Ende 20 und unterrichtete die ersten beiden Berufsjahre Mathematik und Geschichte an einer rheinland-pfälzischen Gesamtschule. Allerdings lag diese eine halbe Stunde von ihrem Wohnort entfernt. Stressig zwar, aber der außerberufliche Kontakt zu Schülern beschränkte sich für Marie auf E-Mails und eine Facebook-Gruppe ihrer Schule – für die sie einen Extra-Account angelegt hatte, weil die „private Marie“ keine Urlaubsbilder und Kommentare mit ihren Schützlingen teilen wollte. Marie hatte also volle Kontrolle darüber, was, wann und wie viel sie von ihrem Privatleben an Schüler und deren Eltern preisgeben wollte. Dann aber wendete sich alles: Marie bekam eine Planstelle an der Gesamtschule in ihrem Wohnort angeboten, wo sie erst vor kurzem ein Haus gekauft hatte – freudig schlug sie zu. Und damit begann das, was Marie bislang vermeiden konnte: Die Lehrerin traf nun nach Unterrichtsschluss im Supermarkt auf Schüler, denen sie vor einigen Stunden noch eine Klassenarbeit zurückgegeben hatte. Wenn sie, immer auch auf äußere Seriosität bedacht, Samstags vormittags in ausgebleichten Jeans und Schlabber-T-Shirt in ihrem Vorgarten die Blumen bearbeitete, war es fast sicher, dass nach wenigen Minuten die ersten vorbeilaufenden Kids sie grinsend begrüßten. Und auf dem örtlichen Jahrmarkt mit den Freunden ein Bier trinken, ähnelte von nun an einem Spießrutenlauf zwischen kichernden Jugendlichen und deren oftmals angetrunkenen Eltern.

Ein Foto von der Gartenarbeit bei Facebook posten? Damit gab Marie Leimiger zu viel von sich für ihre Schüler preis – und machte sich angreifbar.
Ein Foto von der Gartenarbeit bei Facebook posten? Damit gab Marie Leimiger zu viel von sich für ihre Schüler preis – und machte sich angreifbar.

Anfangs war das für Marie störend, aber richtig unwohl fühlte sie sich, als sie zum ersten Mal von der Mutter eines ihrer Sorgenkinder mit schlechten Zensuren angesprochen wurde. Nicht etwa nach dem Unterricht, sondern auf dem Parkplatz des örtlichen Baumarkts, als Marie und ihr Ehemann Tapeten in den Kofferraum luden. Alle Versuche, der Dame zu erklären, dass es Samstagnachmittag war und auch Lehrer nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen, fruchteten nicht. Und das war erst der Anfang: Nachdem sich unter den Eltern herumgesprochen hatte, dass Marie im Ort lebte, wurden unangekündigte Besuche regelmäßiger Bestandteil ihrer freien Stunden. Und das nicht nur aus Noten-Empörung: Sie sah sich auf einmal zu Grillfeiern bei Eltern eingeladen, auf denen sie direkt gegenüber ihren Schülern saß. Und als sie dann auch noch den Fehler machte, die Freundschaftsanfrage einer Schülermutter auf ihrem privaten Facebook-Profil versehentlich zu bestätigen, war es auch an dieser Stelle getan: Teenagerfotos, die Maries beste Freundin auf ihrer Seite gepostet hatte, waren nun ebenso sichtbar wie ein Video ihres Hochzeitstanzes und nach einem halben Jahr in ihrer Planstelle war Marie das geworden, was sie immer vermeiden wollte: Eine gläserne Lehrerin.

Information vs. PrivatlebenStudents in digital design training course with instructor

Sicherlich findet sich der eine oder andere in diesem Beispiel wieder. Und ebenso viele werden ihre eigenen Patentrezepte und Ratschläge haben, wie mit solchen Situationen umzugehen sei. Wieder andere werden einwerfen, dass in früheren Zeiten „Der Lehrer“ zur Lebensgemeinschaft eines Dorfs genauso dazugehörte wie „Der Pfarrer“ und „Der Metzger“ und es für sie kein abgeschottetes Privatleben gab und geben sollte.

Natürlich, letzteres ist eine historische Tatsache. Aber: Damals gab es auch keine sozialen Netzwerke, auf der jegliche Meinung, jedes Foto und jeder Kommentar noch jahrelang zu sehen war und vor allem hatten Lehrer-Urteile noch mehr Gewicht: Noten wurden von Eltern nicht als persönliche Beleidigung interpretiert, sondern als Leistungsnachweis ihrer Kinder – und nicht nach Feierabend ausdiskutiert. Und beim Thema Social Media hat es jeder Web-Shop einfacher: Sie erklären in ihren Datenschutzrichtlinien, dass Links zu anderen Seiten nicht unter ihrer Kontrolle stehen  – ein Lehrer hingegen, der auf Facebook eine Seite teilt oder markiert, hat diese Option nicht: Ein „Like“ kann den vollen Zorn von Schülern und Eltern bedeuten – ganz gleich wie es gemeint war. Man frage sich selbst: Wie würden Sie reagieren, wenn einer Ihrer privaten Freunde einen nicht zotigen Witz auf ihre Facebook-Pinnwand setzt und Sie – der Privatmensch – ihn mit dem neuen Lach-Emoji markieren, nur um am nächsten Tag von einem Schüler schnippisch unter die Nase gerieben zu bekommen, Sie hätten einen unanständigen Humor?

Grafik 1 - Universalregel für Lehrer

Das Heft in der Hand behalten

Es ist leider eine Tatsache, dass Lehrer heute im besonderen Maße ein Problem damit haben, eine Balance zwischen Privatmensch und Erzieher zu finden – nicht etwa, weil sie das nicht möchten, sondern viel mehr, weil es ihnen verunmöglicht wird. Kolumnist Leo Martin sieht gar schon Überschneidungen zwischen Schul- und Geheimdienst. Das bedeutet: So sehr sich viele Lehrer auch wünschen, ihr Privatleben vom Berufsleben abzukoppeln: Es wird nicht gänzlich gelingen. Selbst dann, wenn man meilenweit entfernt lebt und das Risiko, in der Freizeit auf Schüler zu treffen, gen Null tendiert. Der Trick, um trotzdem Balance zu finden, lautet: Nicht für eine Sekunde die Kontrolle aus der Hand zu geben. Das geht folgendermaßen:

Soziale Netzwerke: Die am Textanfang genannte Lehrerin machte den Kardinalsfehler und ließ zu, dass die Mutter eines ihrer Kinder Zugriff auf Maries privaten Facebook-Account bekam. Das ist unter wirklich allen Umständen zu vermeiden – auch bei Lehrern der älteren Generation, die weniger Online-affin sind und auf dem Privatprofil selten etwas teilen. Lehrer sollten von Anfang an ein zweites Profil erstellen, mit ihrer Schul-E-Mail-Adresse. Das auch, weil allein zu privater Kontakt gefährlich sein kann. Und so sehr Facebook vielleicht auch darauf drängt: In dieses Profil gehört weder die private Handynummer noch tiefergehenden Details zum eigenen Werdegang. In die Freundesliste kommen ausschließlich Schüler und deren Eltern (und diese auch nur nach Anfrage) – niemand, mit dem nur privater Kontakt gepflegt wird. Ein cleverer Umgang mit dem sozialen Netzwerk gebietet aber, dass den Schülern zumindest kleine „private Brocken“ vorgesetzt werden. Das lässt den Lehrer menschlicher wirken und kann den Drang, ihn anderweitig privat zu belästigen, entschärfen. Wer sich etwa in den Ferien in sonnige Gefilde aufmacht, kann auf diesem Profil durchaus ein Foto und Gruß vom Strand posten – aber bloß nicht sich selbst in Badehose und Bikini, das wäre schon wieder zu viel des Guten. Auch ein täglicher Witz, Motivationsspruch oder ein interessanter Link können hier unterstützen – mehr aber bitte nicht.

Telefon: Wenn die private Handynummer bekannt ist, wird Ihr Telefon nicht mehr still stehen. Allerdings ist auch hier wieder eine Gratwanderung vonnöten, denn ganz ohne Telefonkontakt nach der Schule geht es nicht. Im Sinne guten Datenschutzes kann jedoch nur empfohlen werden, ein Zweithandy für solche Zwecke anzuschaffen. Ein günstiges Smartphone sollte es allein deshalb schon sein, weil darauf Messenger-Dienste wie Whatsapp funktionieren – denn diese lassen sich auch bei leerem Prepaid-Guthaben noch über WLAN bedienen, sodass das Prinzip für den Lehrer nicht zur Kostenfalle wird.  Praktisch kann es sein, Gruppen für jede Klasse einzurichten. Auch, um beispielsweise Ausfälle oder Terminänderungen bekannt zu geben. Vor allem ermöglicht es ein solches Zweithandy aber, es in der Freizeit auch einfach mal auf „Stumm“ zu schalten.

Privatleben: Sich physisch nach Feierabend vor Schülern und ihren Eltern abzuschotten, ist die mit Abstand schwierigste Aufgabe, denn Handys und Computer können ausgeschaltet werden, einkaufen muss jedoch jeder Lehrer irgendwann. Die Lösung ist jedoch auch hier zweigeteilt: Zunächst einmal gehört es dazu, sich selbst klar zu machen, dass es schlicht unmöglich ist, den Lehrberuf völlig aus dem Privatleben herauszuhalten. Wer nachmittags im Laden grußlos an seinen Schülern vorbeigeht, verdirbt sich schnell die Stellung bei seinen Schützlingen. Was jedoch deshalb umso wichtiger ist: Schülern und Eltern müssen Grenzen dargelegt und auf deren Einhaltung gepocht werden:

  1. Jeder Lehrer hat auch ein Privatleben, so wie Polizisten, Soldaten und die Schüler selbst.
  2. Zu gutem Umgang gehört es, dieses Privatleben zu respektieren, selbst wenn der Lehrer in der gleichen Straße wohnt.
  3. Kein Lehrer muss 24/7 erreichbar sein, gibt es Fragen, werden diese auf dem sozialen Netzwerk, per E-Mail oder innerhalb der Whatsapp-Gruppe gestellt.
  4. Selbst wenn darauf keine Antwort kommt, wird der Lehrer nicht zuhause belästigt.
  5. Ein Gruß ist freundlich, mitten in der Freizeit jedoch eine Person zu beruflichen Fragen anzusprechen, ist Belästigung.

Den Schülern können solche Regeln am Anfang eines Schuljahres bekanntgegeben werden, den Eltern hingegen in Form eines Rundbriefs oder im Rahmen eines Elternabends. Und dann ist Konsequenz vonnöten: Kann ein Vater sich beispielsweise mit einer Note nicht abfinden und sucht Sie zuhause auf, muss ihm notfalls auch die Tür verweigert werden. Auch Diskussionen im öffentlichen Umfeld, wie im Beispiel von Marie Leiminger, müssen mit letzter Konsequenz einfach mit dem Hinweis auf die vereinbarten Kommunikationswege beendet werden – das ist gerade für junge und/oder extrovertierte Lehrer schwer, aber im Sinne einer stabilen Trennung von Lehrberuf und Freizeit unabdingbar.

Fazit

Lehrer müssen damit leben, dass ihr Privatleben für ihre „beruflichen Kontakte“ in Form von Eltern und Schülern sehr viel interessanter ist, als in den meisten anderen Berufszweigen. Womit sie jedoch nicht leben müssen, ist, dass diese Personen ihnen das Recht auf ein ungestörtes Privatleben schlichtweg versagen. Regeln müssen von jedem Lehrer aufgestellt und auch mit totaler Konsequenz eingehalten werden – besonders in den neuen Medien, die kein Ablaufdatum und kein Vergessen kennen. Wer das nicht tut, sorgt selbst dafür, dass eine Trennlinie zwischen Lehrberuf und Freizeit bis zur Unkenntlichkeit erodiert.

Bildquellen:
1) drubig-photo
2) Anatoly Tiplyashin
3) Rawpixel.com
Alle © fotolia.com

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Küstenfuchs
7 Jahre zuvor

Zwei Dinge dazu von mir: Man muss bewusst wählen, ob man (wie ich) am Schulort wohnt mit all den oben beschriebenen Nebenwirkungen oder ob man dort eben nicht wohnt und Fahrwege in Kauf nimmt. Ich wunder mich aber wirklich, dass solche Konsequenzen offenbar einigen Kollegen nicht bewusst sind.

Und dann Gratistipps für Mathelehrer:
Sie stehen im Supermarkt an der Kasse und drei Schüler möchten etwas zur Mathearbeit morgen wissen.
Dann bitte keine so verklemmte Antwort wie die oben!

Variante 1: „Ich sag jetzt nichts mehr. Ist auch egal. Die Arbeit wird höllisch schwer und bei mir hat noch nie irgendein Schüler besser als 4 geschrieben. Keiner! Niemals!“
Variante 2(für ältere und ausgewählte Schüler in Gruppen ab 8. Klasse): „Wieso, hast du vor der Arbeit Angst?“ Schüler zögerlich: „Ja“. Mit einem lockeren Grinsen: „Völlig zu Recht!“ Ein sicher sofort kommendes „Hast du gehört, was er eben gesagt hat“ zu den Freunden lenkt dann völlig vom Thema ab.
Variante 3(für spezielle Fußball-Fans): „Komm, Kopf hoch, so schlimm wie die letzten HSV-Ergebnisse wird das morgen nicht werden“. (auch vom Thema abgelenkt)

Solche Sprüche müssen nur authentisch sein und die Schüler müssen wissen, dass es nicht so gemeint ist.