Kinder spielen zu wenig draußen – Experten fordern: Potenziale besser nutzen

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BERLIN. Schwer führbare Klassen mit immer mehr „Problemfällen“, schleichender Verlust des sozialen Zusammenhalts, desorientierte Jugendliche, die sich immer mehr unter Druck fühlen: Schule und Gesellschaft in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen, zu denen weitere Aufgaben wie die Inklusion oder die Flüchtlingsintegration hinzukommen. Sicher sind nicht alle dadurch zu lösen, das Kinder mehr Freiraum zu freiem „Draußenspielen“ bekommen, doch gerade die integrativen Potenziale des Spielens sind in Fachkreisen vielfach belegt. Dem stehen allerdings viele Hindernisse entgegen.

Früher war alles besser: Nach den Hausaufgaben gehen die Kinder raus und spielen mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft, mit Ball oder am Bach, auf der Straße, auf dem Spielplatz oder in Wald und Feld. Gemeinsam einigen sie sich auf ein Spiel und toben sich aus oder lassen ihrer Kreativität freien Lauf. Dabei haben die Großen nebenbei ein Auge auf die Kleinen. Am Abend geht es zum Abendessen wieder nach Hause. Am nächsten Tag treffen sich die Kinder wieder und das Spiel geht von vorne los.

Zwei Drittel der vom Deutschen Kinderhilfswerk befragten Kinder und Jugendlichen wollen mehr draußen spielen. Foto: guilherme jofili / flickr (CC BY 2.0)
Zwei Drittel der vom Deutschen Kinderhilfswerk befragten Kinder und Jugendlichen wollen mehr draußen spielen. Foto: guilherme jofili / flickr (CC BY 2.0)

In der Schule treffen die Lehrer auf gewachsene soziale Gemeinschaften mit Schülerinnen und Schülern, die ein angemessenes Sozialverhalten in der Gruppe in ihrer Freizeit täglich aufs Neue eingeübt haben. Gewissermaßen nebenbei wachsen Kinder und Jugendliche dabei spielerisch in die Erwachsenengesellschaft mit ihren sozialen und kulturellen Anforderungen hinein.

Der stark verklärte Blick auf die Vergangenheit klingt fast zu schön um wahr zu sein und ist es aus Sicht der Sozialforschung auch. Mit der kindlichen Wirklichkeit hat er allerdings heute noch weniger zu tun als früher. Die Vorstellung von den termingestressten, ab der ersten Klasse dem Abitur zustrebenden Einzelkindern, die von ihren Eltern mit dem Auto von einem Förderangebot zum nächsten chauffiert werden, gibt zwar ebenfalls nur ein verzerrtes Bild der Realität wieder: Dennoch verbringen Kinder heute weniger Zeit im freien Spiel als ihrer Altersgenossen früherer Generationen.

Die soziale Disparität stellt Lehrer bei der Bildung von „Klassengemeinschaften“ heute vor größere Herausforderungen als etwa die Kollegen in den fünfziger Jahren. Das Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt stellt sich für viel Jungendliche als unüberschaubarer Prozess dar.

Das Leben in der deutschen Gesellschaft ist komplexer geworden. Auch wenn es aufgrund des sozialen Wandels müßig erscheinen mag, das „Draußenspielen“ unter dem Aspekt des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu betrachten, weisen Experten immer wieder auf die integrativen Potenziale des Spielens hin. Anlässlich des gestrigen Weltspieltags mahnte etwa das Deutsche Kinderhilfswerk an, die Möglichkeiten des Spiels bei der Integration von Flüchtlingskindern mehr als bisher zu nutzen.

Gerade für Flüchtlingskinder gelte, so Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann: „Gemeinsames Spielen, Kommunizieren und Kooperieren braucht wenig Worte und hilft gleichzeitig, sich in eine andere Kultur einzuleben, Freunde zu finden und die neue Sprache „spielend“ zu lernen. Spielen verbindet alle Kulturen auf der Welt, denn draußen gespielt wird überall. Das gemeinsame Spiel braucht nicht viele Worte, es reichen Sand und Wasser, mit denen Kinder zusammen eine Miniaturburg bauen. Es reicht auch ein Ball, um Vorurteile zu überwinden und ein Bauspielplatz hat die gleiche Anziehungskraft für arme und reiche Kinder.“

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Zum Weltspieltag hat das Deutsche Kinderhilfswerk eine Umfrage unter Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) würden demnach gern häufiger draußen gemeinsam mit anderen Kindern spielen.

Generelle Hinderungsgründe für das Draußenspielen gibt es viele: Rund 28 Prozent der Kinder und Jugendlichen sehen den Straßenverkehr mit zu schnellen Autos, großen Kreuzungen und fehlenden Übergängen sowie parkende Autos als Hinderungsgrund. Knapp 27 Prozent spielen nicht häufiger draußen, da sie von Erwachsenen ständig angemeckert werden oder vor ihnen Angst haben, 11 Prozent sehen andere Kinder, die ärgern, als Hinderungsgrund. Rund 24 Prozent haben keine Spielmöglichkeiten in der Nähe oder auf Spielplätzen keine spannenden oder nur defekte Spielgeräte. Fast jedes fünfte Kind (18 Prozent) gibt an, dass es keine anderen Kinder zum Draußenspielen vorfindet und rund 13 Prozentdürfen nicht ohne Begleitung von Erwachsenen draußen spielen.

Angesichts der Ergebnisse fordert das Kinderhilfswerk mehr Akzeptanz und bessere Rahmenbedingungen für spielende Kinder im Wohnumfeld. Hier wünschen sich Kinder laut einer Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes vor allem sicherere Wege durch ihr Wohngebiet, eine Reduzierung der Gefahren durch den Autoverkehr und mehr Einfluss auf die Gestaltung der Spielflächen.

„Beim Spielen sind Kinder mit Eigenmotivation bei der Sache und brauchen keine Anleitung oder Regeln, um miteinander und voneinander zu lernen. Der öffentliche Raum, ob nun die Straße oder der Spielplatz, sollte daher für alle gleichermaßen nutzbar sein, unbeachtet des sozialen Hintergrunds, der Kultur, der Religion oder des Alters.“, sagt Holger Hofmann. Aber auch räumliche Grenzen stellten Hindernisse für das unbeschwerte Spielen draußen dar. „Kinder müssen oft stark befahrene Straßen überwinden, um einen qualitativen Spielort aufzusuchen oder haben kaum die Möglichkeit auf der Straße zu spielen, da diese von parkenden Autos blockiert ist. Das muss sich ändern“ (zab, pm)

zur Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks

• zum Bericht: Eine Stunde und 20 Minuten widmen Eltern im Schnitt ihren Kindern täglich – Mütter mehr, Väter weniger
• zum Bericht: Umfrage: Kinder kennen ihre Rechte kaum – Bildungsoffensive gefordert

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4 Kommentare
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xxx
7 Jahre zuvor

Wenn die Gemeinden die Bolzplätze, Spielplätze, Wald, Schwimmbäder, Bibliotheken, Jugendeinrichtungen usw. nicht geschlossen hätten, insbesondere in den sozialen Brennpunkten, also die einzigen Stadtteile, in denen es noch nennenswert Kinder gibt, hätten sie auch Gelegenheit dazu. Vergessen darf man aber auch nicht das ach so kinderfreundliche Deutschland. Gewisse Bevölkerungsschichten haben ihre Probleme mit dem Lärm, den draußen spielende Kinder nun mal erzeugen, anstatt froh zu sein, dass es noch jemand gibt, auf dessen Kosten sie sich den Lebensabend finanzieren lassen. Weitere Punkte sind Bequemlichkeit der Kinder, Internet, Ganztagsschulen.

Palim
7 Jahre zuvor

… und Bildschirm-Geräte, die die Kinder in ihren Bann ziehen.
Verbindliche Bildschirmzeiten in den Familien, die durchgesetzt und eingehalten werden, würden sicher auch helfen, dass Kinder häufiger draußen (oder drinnen) spielen, kreativ und phantasievoll etc.

Lasst doch bitte mal bei euren Kindern Langeweile aufkommen, damit sie selbst Ideen entwickeln.

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor

„Der stark verklärte Blick auf die Vergangenheit klingt fast zu schön um wahr zu sein und ist es aus Sicht der Sozialforschung auch.“

Ich bin ein Kind dieser Zeit und kann es genauso bestätigen. Zumindest trifft diese Beschreibung auf damalige dörfliche und kleinstädtische Strukturen zu.

Tina
7 Jahre zuvor

Der trifft auch noch immer auf dörfliche Strukturen zu. Wir leben in der Kleinstadt und die Kinder treffen sich nachmittags zum Spielen. Allerdings wird das Spiel deutlich eingeschränkt, weil es 1. keine Flächen gibt, auf denen sie spielen dürfen: der Bach ist zu gefährlich, der Schulhof nachmittags gesperrt, das Freibad geschlossen, einen Spielplatz gibt es nicht (nicht mal auf dem Schulhof), im Wald finden regelmäßig Treibjagden statt, auf dem Sportplatz sind sie nciht gern gesehen – sie machen ja alles kaputt, auf der Spielstraße fahren die Autos mit Tempo 50-60 um die Kurven, auf den Feldern fahren die Bauern mit den Traktoren und auf den wenigen Wiesen gehen die Hundebesitzer mit ihren Tieren Gassi – was kein Hinderungsgrund für die Kinder ist, dort zu spielen, aber besonders toll finden wir Eltern das nicht.
Letztlich begleiten wir die Kinder in den nahen Wald, wenn wir mal Zeit haben aber in Doppelverdienerhaushalten ist das nur am Wochenende der Fall. Wir haben das Glück einen Garten zu haben. Unsere Kinder sind viel dort unterwegs oder in den Gärten der anderen Familien. Wer im Hochhaus wohnt, hat da größere Probleme.