„Pippi war unser Schicksal“ – Oetinger-Verlag wird 70

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HAMBURG. Es ist ein Hort literarischer Helden: Seit 70 Jahren begeistert der Oetinger Verlag Kinder mit Geschichten wie der vom «Sams» oder von «Pippi Langstrumpf». Im digitalen Zeitalter muss auch ein Traditionshaus neue Wege gehen – es wird dreidimensional.

Um ein Haar hätten Millionen von Kindern ohne eine ihrer beliebtesten Romanfiguren auskommen müssen: Wäre Astrid Lindgren im Frühjahr des Jahres 1949 etwas erfahrener gewesen, Pippi Langstrumpf hätte vielleicht nie ihren Weg in deutsche Kinderzimmer gefunden. Doch die damals noch recht unbekannte Autorin wusste es nicht besser. «Von mir aus gern», antwortete sie, als Friedrich Oetinger, ein deutscher Buchverleger mit «gütigem Lächeln», sie in ihrem kleinen Büro in Stockholm um die Verbreitungsrechte für die Abenteuer des Mädchens mit den roten Zöpfen bat.

Pippi Langstrumpf hat einen schlechten Einfluss auf Kinder findet die Theologin Wollrad (Bild: Oetinger-Verlag)
Dass sich die Pippi-Autorin und der Neu-Verlag trafen, war reiner Zufall. (Bild: Oetinger-Verlag)

Ein erst drei Jahre alter, kleiner Verlag, ohne Erfahrung mit Kinderbüchern? Es sollte für beide eine schicksalhafte Begegnung werden. Mit Affe und Pferd im Gepäck erobert das Mädchen mit den Sommersprossen, den langen Strümpfen und zu großen Schuhen den deutschen Buchmarkt. Später schrieb Lindgren in einem Grußwort zu einem Jubiläum des Verlages: «Für die freche Pippi war es ein glückliches Schicksal, ausgerechnet in diesem kleinen Hamburger Verlag gelandet zu sein».

Das Schlafzimmer war anfangs das Büro

Und auch für die Oetingers verblasste nach Pippis Siegeszug schnell die Erinnerung an jene Zeit, als das hauseigene Schlafzimmer noch als Büro herhalten musste und sich in der Küche Bücher bis hoch zur Decke stapelten. «Ohne Astrid Lindgren hätte der Weg unseres Verlags sicherlich einen anderen Verlauf genommen», bekräftigt dies Silke Weitendorf, Gesellschafterin und Stieftochter des Gründers.

Dabei war es vermutlich eben jenes Gespür für das Besondere, das schon die freche Pippi damals nach Deutschland führte, was langfristig den Erfolg des Betriebes sicherte. Digitalisierungstrends und augenscheinlicher Papierverdrossenheit zum Trotz: In diesem Jahr feiert der Oetinger Verlag als einer der führenden deutschen Kinder- und Jugendbuchverlage sein 70-jähriges Bestehen, die ihm überstellte Oetinger-Gruppe verbuchte 2015 einen Gesamtumsatz von mehr als 40 Millionen Euro.

Das scheint auch dem Umstand geschuldet zu sein, dass es den Oetingers schon früh gelang, neben Lindgren weitere bedeutende Autoren für sich zu gewinnen und halten zu können. Dazu gehören Namen wie James Krüss (Timm Thaler) oder Sven Nordqvist, dem Erfinder von Pettersson und Findus, der seine Bilderbuch-Bestseller ausschließlich vom Traditionsverlag veröffentlichen lässt. Mit Paul Maar, Christine Nöstlinger und Kirsten Boie hat der Verlag zudem die Karrieren von dreien der einflussreichsten deutschsprachigen Kinder-und Jugendbuchautoren der Gegenwart von Anfang an begleitet.

Immer weniger Kinder lesen

Den Höhepunkt der am Sonntag (12. Juni) auf den Tag genau 70 Jahre währenden Firmengeschichte soll nun anlässlich des Jubiläums mit einigen Sonderausgaben der prominentesten Autoren gedacht werden. Unvergessen bleiben da Sprüche wie: «Am Samstag kommt das Sams», «2 x 3 macht 4» oder «Füchse können nicht auf Bäume klettern». Ein mancher wird sich erinnern, an das Lernen und Lachen – bis im sauerstoffarmen Deckenfort die Batterien der Taschenlampe endgültig den Geist aufgaben.

Doch auch eine scheinbare Erfolgskonstante schützt nicht vor den Umbrüchen, die der Buchmarkt gegenwärtig durchlebt: Sinkende Umsatzzahlen, Preisdumping oder allgemeiner Bücherverdruss. Wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels unlängst mitteilte, verzeichnete der Buchmarkt 2015 einen Umsatzrückgang von 1,4 Prozent, besonders der traditionelle Einzelhandel ist betroffen. In der Geschäftsführung weiß man laut Silke Weitendorf zudem längst, dass die Zahl der Kinder, die gar nicht oder nur unter Druck lesen, stetig zunimmt.

So sieht sich auch ein Traditionsunternehmen gezwungen, zunehmend innovativere Register ziehen. «Wir wollen überall sein, wo Kinder gute Geschichten brauchen», sagt Till Weitendorf, der mit seiner Mutter die Geschäftsführung des Verlags inne hat. Er weiß genau: dieser Ort ist im digitalen Zeitalter das Internet.

Apps zusätzlich zu Bilderbüchern

Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben, will man deshalb neben klassischem Buchdruck auch auf digitale Erweiterungen, sogenannte Augmented Reality setzen. Dank zusätzlicher App auf dem Smartphone oder Tablet erwachen die sonst so starren Bilder zum Leben, lassen den neugierigen Leser in animierte Welten eintauchen und mit den Buchhelden interagieren. Ob das Unternehmen damit langfristig Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten.

Wirklich neu ist das Konzept eigentlich nicht. Schließlich schaffen es Figuren wie «Pippi Langstrumpf» seit Jahrzehnten, Leser mit guter Vorstellungskraft in ihre Welten zu ziehen – und das ganz ohne technische Spielereien. Fabian Wegener, dpa

Hier geht es zur Verlagswebseite

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