Digitalisierung an Schulen: Der Norden will aufholen – doch zu wem eigentlich?

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KIEL. Angesichts der fortschreitenden technischen Entwicklung gleicht die Digitalisierung der deutschen Schulen dem Rennen zwischen Hase und Igel. Dabei scheinen auch heute noch einige grundlegende Fragen zum digitalen Wandel der Schulen allenfalls diffus gelöst, schon die Einordnung des eigenen Stands im Vergleich mit anderen Ländern ist schwierig. Schleswig-Holsteins Kultusministerin Britta Ernst will den digitalen Wandel im kommenden Schuljahr stärker fördern.

Die Diskussion um den digitalen Wandel der Schule ist ein Dauerthema, das derzeit allerdings eher weniger im Fokus der Öffentlichkeit steht als noch vor ein paar Jahren. Abgesehen von temporären Ausschlägen wie etwa anlässlich des „ICILS-Schrecks“ kocht es derzeit eher auf kleiner Flamme vor sich hin. Die Zutaten sind schon vor längerem zusammengefügt, im Wesentlichen geht es dabei auf der einen Seite um die anzuwendenden Methoden bzw. den Einbezug digitaler Medien und Geräte ins Unterrichtsgeschehen und auf der anderen Seite um die technische Ausstattung der Schulen.

 

Auch in schleswig-holsteinischen Schulen geht der Trend weg von den Computerräumen. Foto: Sarah Stewart / flickr (CC BY 2.0)
Auch in schleswig-holsteinischen Schulen geht der Trend weg von den Computerräumen. Foto: Sarah Stewart / flickr (CC BY 2.0)

Insgesamt bleibt die Diskussion allerdings seltsam vage, selbst den auch unter Fachleuten noch längst nicht entschiedenen Streit um die Sinnhaftigkeit des verstärkten Computereinsatzes in der Schule außer Acht gelassen. Eher schleppend schreitet die Ausstattung voran, stets begleitet von Unkenrufen aus Politik und Verbänden, Deutschland oder wahlweise eine andere regio-politische Einheit laufe Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Wo genau das Land (oder welche regio-politische Einheit auch immer) im Vergleich denn steht wird durch die verschiedenen, in größerer Zahl vorliegenden internationalen und nationalen Untersuchungen auch nicht klarer. Zu gut lassen sich die Ergebnisse unter wechselnden Perspektiven in der politischen Auseinandersetzung nutzen und der Föderalismus im deutschen Bildungswesen tut ein Übriges. Erst im April hatte beispielsweise Angela Merkel der Bildung eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung zugewiesen, Schulen in ihrer Rede beim Berliner „Forschungsgipfel“ jedoch explizit ausgespart, weil diese nicht in ihre Zuständigkeit fielen.

Eine dem „PISA-Schock“ vergleichbare Erschütterung ist bislang ausgeblieben. Andererseits zündet die Begeisterung für den digitalen Wandel der Schule zündet allenfalls punktuell. Eine übergreifende Aufbruchstimmung ist jedenfalls kaum auszumachen. Dennoch: Angesichts der rasanten technischen Entwicklung bleibt die Digitalisierung wohl auch in Zukunft einer der größeren Brocken, den das deutsche Schulwesen stemmen muss.

Im Dickicht der deutschen Schulfinanzierung lauern dabei für alle Beteiligten einige Fallstricke. So schreibt denn auch die KMK in der Entwurfsfassung zum Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“: der Einsatz digitaler Werkzeuge im Unterricht sei kein Selbstläufer. Zur Finanzierung findet sich indes in dem Entwurf so gut wie Nichts.

Die Absicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung, die Haushaltsmittel für das digitale Lernen an Schulen im nächsten Jahr von bislang 200.000 auf 500.000 Euro aufzustocken, mag da schon bemerkenswert sein. «Wir halten den Umgang mit digitalen Medien für eine Kernkompetenz wie Lesen, Schreiben und Rechnen», sagte Bildungsministerin Britta Ernst. Deshalb habe sie das Thema zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht.

«Wir müssen aufholen“ so Ernst das hätten die Schulen und ihre Träger auch verstanden. Die Landesmittel sind zusätzlich für die Schulen, für deren Ausstattung die Träger zuständig sind, also meist die Kommunen

Das Land unterstützt gezielt auch die 26 Förderzentren für Schüler mit «geistigem Entwicklungsbedarf». Dort gehe es ganz besonders um Kommunikationsunterstützung und damit um Teilhabe, sagte Ernst. Den Schülern werde so geholfen, sich besser zu orientieren und sich gut auf das Leben nach der Schule vorzubereiten. Sie könnten mit Apps ihren Lernprozess steuern und bestimmte Dinge unabhängig von den Lehrern so oft wie nötig wiederholen.

Nach Meinung von Ernst habe sich der Schwerpunkt digitales Lernen sehr dynamisch entwickelt. 2014 hätten 21 Schulen an einem Medienkonzept gearbeitet, im laufenden Jahr 121. Von 803 Schulen im Land hätten sich 111 als Modellschulen beworben, 20 wurden ausgewählt. Sie nutzen die Landesmittel, um feste W-LAN-Anschlüsse einzurichten, I-Pad-Sets, Software und Notebooks anzuschaffen. «An den vielen Schulen, die ich besucht habe, ist eine geradezu euphorische Stimmung, weil es den Schülern ohnehin viel Freude macht, mit Tablets zu arbeiten. Aber auch viele Lehrkräfte empfinden das als Erleichterung.»

Eine neuen Erhebung soll feststellen, wie sich die Ausstattung der Schulen mit digitalen Geräten entwickelt hat. Vor zwei Jahren hatte zwar mehr als die Hälfte fest installiertes W-Lan, das häufig aber nur für Lehrer freigegeben war. 2012 kam auf 12 Schüler ein Computer. 2014 war das Verhältnis 9:1. Die meisten Geräte standen allerdings im Computerraum. Inzwischen halten immer mehr Tablets Einzug. Schülern, die keine eigenen haben, stellt die Schule welche zur Verfügung.

Ein Teil der Schulen hat Ernst zufolge mithilfe der Landesmittel komplett die Kreidetafeln durch elektronische Tafeln ersetzt, sogenannte Whiteboards. Andere führten sie nach und nach ein. «Noch überwiegen deutlich die Kreidetafeln», sagte Ernst. Verlässliche Zahlen darüber, wie Schleswig-Holstein bei der Ausstattung im Ländervergleich dasteht, gebe es nicht.

Es gehe aber nicht nur um technische Ausstattung, betonte Ernst. Geräte hätten alle Schüler, aber die Nutzung sei unterschiedlich. «Bei einigen steht nur das Spielen im Vordergrund, und wir sehen hier auch den Auftrag zu sozialer Gerechtigkeit, den Schülern die ganze Bandbreite der Nutzungsmöglichkeiten zu zeigen, speziell auch für das Lernen.» Auch die Aufklärung über Cyber-Mobbing sei ein Schwerpunkt.

Ab Herbst will das Ministerium die Arbeit der Modellschulen auswerten, um Anfang 2017 Schlussfolgerungen für alle Schulen zu ziehen. Im September möchte Ernst bei einer Tagung mit Städteverband und Gemeindetag das weitere Vorgehen beim digitalen Lernen besprechen. Auch an Kosten sparenden Musterlösungen für Schulen werde gearbeitet. (News4teachers, dpa)

• zum Bericht: Die KMK legt eine Strategie zur digitalen Bildung vor – und vergisst dabei die Ausstattung
• zum Bericht: Merkel will die Digitalisierung vorantreiben – traut sich dabei aber an die Schulen nicht heran
• zum Bericht: Bundesregierung drängt auf „digitale Agenda“ für die Schulen – Kraus warnt vor „totaler Computerisierung“

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