Schriftsteller Kermani spricht mit Schülern über Europa – und fragt sie: Wie viele von Euch gehörten in einem geschlossenen Deutschland nicht mehr dazu?

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FRANKFURT/MAIN. Der Schriftsteller Navid Kermani, 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, hat in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ über den Brexit und die Folgen für Europa geschrieben – und berichtet darin auch über seine regelmäßigen Schulbesuche. Ein Einblick.  

"Schaut euch um. Schaut, wo eure Eltern überall herkommen": Der Schriftsteller Navid Kermani. Foto: Lesekreis / Wikimedia Commons (CC 0 1.0)
„Schaut euch um. Schaut, wo eure Eltern überall herkommen“: Der Schriftsteller Navid Kermani. Foto: Lesekreis / Wikimedia Commons (CC 0 1.0)

Kermani berichtet: „Ich sage nicht, dass Europa den Schülern eine Lehrstelle oder einen coolen Job besorgt. Ich weise nicht darauf hin, wie angenehm es ist, ohne Pass zu reisen oder kein Geld wechseln zu müssen. Auf die handfesten Vorteile Europas kommen die Schüler alle von selbst, ohne sich von Europa zu viel zu versprechen, also die Lehrstelle oder den coolen Job. Ich rede auch nicht vom Frieden. Das wissen alle, dass Europa dem Kontinent Frieden beschert hat.“

Er spreche vielmehr die Vielfalt der Schülerschaft an, die ihm gegenübersitze. „Ich sage ihnen: Schaut euch um. Schaut, wo eure Eltern überall herkommen, wie verschieden ihr ausseht, was für unterschiedliche Namen ihr habt. Schaut in eure Nachbarschaft, schaut auf die Nationalmannschaft, schaut auf die Flüchtlinge (und wenn jemand empathisch ist gegenüber den Flüchtlingen, sind es heute die Schüler, das gibt mir jedes Mal selbst Kraft): Überlegt mal, was wäre, wenn Deutschland sich wieder als Volksgemeinschaft verstünde. Oder Frankreich. Oder England. Würde das eure Realität abbilden, die Gesellschaft, in der ihr aufgewachsen seid? Überlegt mal, was ein Europa der Vaterländer bedeuten würde, von dem die Rechtspopulisten immer reden: Wie viele von euch gehörten dann nicht mehr dazu?“

Er merke dann jedes Mal, wie es in den Köpfen der Schüler ticke, und es entstehe sofort ein Gespräch. „Was hat das mit Europa zu tun?, fragen die Schüler dann zurück. Das hat sehr viel mit Europa zu tun, antworte ich: Schaut doch nur in die Programme der antieuropäischen Parteien, da geht es nicht nur um Islam und Ausländer, da geht es genau gegen die Gesellschaft, in der ihr aufwachst, gegen eure Lehrer, die liberal sind, gegen eure Bürgermeister, die sich für Flüchtlinge einsetzen, gegen den Klimaschutz, Minderheitenrechte, Gleichstellung und eure Lehrpläne, die deutsche Schuld nicht kleinreden, gegen euch, die ihr das heutige, ein endlich europäisches Deutschland seid.“

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Kermani wurde 1967 als Sohn iranischer Eltern geboren, welche 1959 in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert waren. Er hat die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft. Kermanis Roman „Dein Name“ wurde für den Deutschen Buchpreis 2011 nominiert. Außerdem erhielt der Orientalist 2012 den Kleist-Preis. Mit Verweis auf sein Buch „Dein Name“ erhielt Kermani 2014 den Joseph-Breitbach-Preis.

Hier geht es zu dem Gastbeitrag Kermanis in der FAZ.

Zur Analyse: Der Brexit macht deutlich – Ohne Bildung funktioniert die Demokratie nicht

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9 Kommentare
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Pascal
7 Jahre zuvor

„…Schülern eine Lehrstelle oder einen coolen Job besorgt.“ Wie wärs mit überhaupt einem Job? Idealerweise kann man dann von dem auch leben.
„…kein Geld wechseln zu müssen“ Wenn es bald kein Bargeld mehr gibt, hat sich der Punkt auch alleine erledigt.
„… Das wissen alle, dass Europa dem Kontinent Frieden beschert hat.“ Ja so friedlich ist es in den letzten Jahren auf unserem schönen Kontinent.Wenn man mal von der Ukraine absieht. Die Anschläge in Frankreich und auch in der Türkei sind auch nicht erwähnenswert. Liegen die Länder überhaupt auf unserem Kontinent? Auch das die NATO Truppen in der Nähe der russischen Grenze stationiert, ist ein Zeichen des Friedens. Wer fühlt sich nicht viel sicherer mit hunderten oder tausenden Soldaten und Fahrzeugen vor der eigenen Haustür. Wieder wachsende Spannungen zwischen Ost- und Westmächten, auch friedensfördernd?

Aber auch wenn man sagt, wir leben doch „relativ“ friedlich. Dafür haben wir den Krieg exportiert. Stichwort: deutsche Rüstungsexporte etc.

Mein persönliches Higlight war ja der Auszug „…die deutsche Schuld nicht kleinreden…“ . Ich glaube nicht, dass er die Schuld am Aussterben der Dinosaurier meint.

Ok, wir haben jetzt einige Artikel auf dieser Seite gesehen, die pro EU waren. Wann kommen die Artikel, die den Brexit nicht verteufeln? Oder ist ein Ausgleich der Standpunkte hier nicht vorgesehen? Dann nehm ich das natürlich zurück und bin still.

MMeier
7 Jahre zuvor
Antwortet  Pascal

„Wenn es bald kein Bargeld mehr gibt, hat sich der Punkt auch alleine erledigt.“

Vergesse sie bitte auch nicht die paar Einzelfälle (noch) in der EU, die auch keinen Euro haben, die da wären: Ungarn, Kroatien, Rumänien, Bulgarien, England, Dänemark, Schweden, Polen, Tschechien.

„Ja so friedlich ist es in den letzten Jahren auf unserem schönen Kontinent.Wenn man mal von der Ukraine absieht“

Sehr friedlich waren auch die antideutschen Demonstrationen in Griechenland, die antipolnischen Übergriffe in England, die Drohungen der Franzosen gegen die Engländer, die Drohungen Deutschlands gegen Ungarn und Polen, die Grenzschliessungen von Dänemark zu Deutschland, die Spaltung, welche die EU gerade zwischen Schottland und England forciert… bestimmt habe ich da noch mehr vergessen

Zu Fällen wie Herrn Kermani passt Artikel 6 des kölner Grundgesetzes: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.

Anna
7 Jahre zuvor
Antwortet  MMeier

“Zu Fällen wie Herrn Kermani passt Artikel 6 des kölner Grundgesetzes: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.”

Soll das lustig sein? “Fott domet” – wer oder was ist denn für Sie “domet”? Herr Kermani? Und was heißt “fott” in diesem Zusammenhang? Raus? Woraus denn?

“Kenne mer nit” – wie “nett”, dass ein Lehrer (Sind Sie doch, oder?) hier öffentlich mit seiner Dummheit kokettiert.

bolle
7 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

Schade, ich fand den Kommentar von MMeier sehr treffend. Es waren deutliche, aber nicht vulgäre Worte zu der Art, wie Anna mit ihm und anderen Meinungskontrahenten umspringt.
Auch ich ärgere mich oft darüber, wie sie das Diskussionsklima durch Missverstehen, Unterstellungen und persönliche Angriffe vergiftet.
Die Bitte oder Aufforderung von MMeier, ihn/sie damit künftig nicht mehr zu belästigen, fand ich ebenfalls in Ordnung.

bolle
7 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

Nichts dagegen, Herr Priboschek! Ich habe MMeiers Kommentar noch gut vor Augen und kann nur sagen, dass ich die Löschung des Kommentars auch nach Ihrer Antwort nicht verstehe.
Sie weisen explizit darauf hin, dass News4teachers kein Propaganda-Organ sei, was Nicht-Kenner des Kommentars zu der Vermutung veranlassen könnte, MMeier hätte in seinem gelöschten Kommentar Propaganda gemacht. Ich habe davon nichts bemerkt.
Für mich war sein Kommentar ein offenes und ärgerliches Feedback auf Annas Art, mit Meinungsgegnern wie ihm/ihr umzugehen. Ich denke, solche Rückmeldungen sind nicht verkehrt und gehören auch zur Sache.

bolle
7 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

Zur Erinnerung:
Anna schrieb in ihrem Schlusssatz um 09:43 an MMeier: „…wie ’nett‘, dass ein Lehrer (Sind Sie doch, oder?) hier öffentlich mit seiner Dummheit kokettiert.“

Wenn Sie das eine „sachliche Widerrede“ nennen, Herr Priboschek, verstehe ich gar nichts mehr.

MMeiers ärgerliche Entgegnung, in der er bat oder forderte, von solchen Tönen künftig nicht mehr belästigt zu werden, haben Sie dann gelöscht.

Das mag kapieren, wer will.