Wirtschaft beklagt „dramatische Lage“ auf dem Ausbildungsmarkt – und wirft Schulen Versäumnisse vor

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BERLIN. Trotz Zugeständnissen bei der Einstellung kann fast jeder dritte Betrieb in Deutschland nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Deutschlandweit waren dies im vergangenen Jahr 31 Prozent, im Osten sogar 45 Prozent. Das zeigt eine am Dienstag in Berlin veröffentlichte Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). «Die Lage war für die Unternehmen noch nie so dramatisch wie jetzt», sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.

Duale Ausbildung - ein Auslaufmodell? Foto: Tognum / flickr (CC BY-NC 2.0)
Duale Ausbildung – ein Auslaufmodell? Foto: Tognum / flickr (CC BY-NC 2.0)

Zwar konnten im Vorjahr mit 32 Prozent noch etwas mehr Ausbildungsbetriebe nicht alle Plätze besetzen. Doch lag die leichte Verbesserung laut DIHK auch daran, dass viele Betriebe mangels Azubis ihren Status als Ausbildungsbetrieb verlieren. Rund 14.000 Unternehmen fanden 2015 gar keine Auszubildenden. Zehn Jahre zuvor hatten nur 12 Prozent der Betriebe nicht alle Plätze besetzen können.

Hauptgrund für die wachsenden Lücken sei der Mangel an geeigneten Bewerbern, obwohl drei von vier Betrieben auch lernschwächere Jugendliche einstellten. Schweitzer warf den Schulen vor, für mangelnde Deutsch- und Mathekenntnisse vieler Jugendlicher verantwortlich zu sein. Immer mehr Firmen – nämlich rund jede zweite – klagen laut der Umfrage darüber.

Alarm schlug der DIHK wegen aus seiner Sicht wachsender Probleme mit Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft. Immer mehr Unternehmen beklagen, dass die Jugendlichen den Anforderungen nicht gerecht werden, die Werte liegen bei 48 bis 53 Prozent.

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Mit der Einstellung Lernschwächerer, mit Imagekampagnen und gezielten Angeboten an Jugendliche hätten es die Betriebe erreichen können, die Zahl der Ausbildungsverträge etwa stabil zu halten. Laut Statistischem Bundesamt begannen im vergangenen Jahr so wenige junge Menschen eine Berufsausbildung wie noch nie seit der Wiedervereinigung. 516 200 Frauen und Männern traten eine duale Ausbildung an und damit 0,4 Prozent weniger als 2014.

Insgesamt bewerben sich rund laut Schweitzer rund sieben Prozent weniger junge Menschen um eine Ausbildung als vor zehn Jahren. «Gleichzeitig studieren rund 40 Prozent mehr», sagte er. Angesichts schrumpfender Schulabgänger-Jahrgänge müssten sich auch Gymnasien noch stärker in der Berufsorientierung engagieren. dpa

Zum Bericht: GEW zum Berufsbildungsbericht: „Endlich Augenmerk auf Qualität der Ausbildung richten!“

 

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ysnp
7 Jahre zuvor

„Alarm schlug der DIHK wegen aus seiner Sicht wachsender Probleme mit Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft. Immer mehr Unternehmen beklagen, dass die Jugendlichen den Anforderungen nicht gerecht werden, die Werte liegen bei 48 bis 53 Prozent.“
Wen wundert’s ? Einerseits will man in der Bildungspolitik das Niveau senken, Hausaufgaben abschaffen, sich dem Leistungsvermögen der Schüler anpassen um den Schein zu wahren; wir hatten hier ja schon mehrere Artikel darüber. Zudem will man noch Geld an den Kindern- und Jugendlichen verdienen, indem man sie zu Nutzern von Medien macht, die einer Arbeitshaltung nicht zuträglich sind. Andererseits will man ein gewisses Niveau in den Unternehmen aufrecht erhalten. Das alles kann nicht zusammenpassen. Und letztendlich sollen die, die in der Schule arbeiten, alles richten.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Ist nicht allgemeiner Konsens, dass die Jugendlichen „da abgeholt werden müssen, wo sie stehen“?

Wenn das an Schulen umgesetzt werden muss, dann können die IHK gebundnenen Betriebe das bestimmt auch.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Stimmt. Die Jugendlichen brauchen sich nicht mehr zu bewegen. Und wenn sie doch irgendwo hin sollen, dann packt Mama sie in ihren SUV, um die 3 km im Großstadtverkehr stecken zu bleiben.

dickebank
7 Jahre zuvor

Ist doch schön, dass die Wirtschaft, die sonst ganz gerne weniger Staat ruft, die Verantwortung für fehlende Kompetenzen wie Disziplin, Durchhaltevermögen, Belastbarkeit etc. bei den staatlichen Schulen sieht. Im Prinzip müssten sie es der DIHK als Lobbyvertreter mit entsprechender juristischer Abteilung unter Kenntnisnahme des GG, der Landesverfassungen, Schulgesetze, Ausbildungs- und Prüfungsordnungen besser wissen.

Kommt nur schlecht die Eltern dieser Schulabgänger mit in die Pflicht zu nehmen, die könnten sich als Verbraucher ja abwenden.

PeterPan314
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Wenn man die Entwicklung betrachtet, ist der Verweis auf die Verantwortung des Schulsystem für die entstehenden Probleme, nicht nur schön, sondern verständlich.
Ihre Beschuldigungen hinsichtlich „Lobby“ lenken nämlich nicht vom eigentlichen Problem ab.
Was soll man denn machen, wenn frühere Bewerber besser qualifiziert waren als heutige?
Man muss es doch ansprechen können, dass einerseits immer mehr und immer bessere schulische Abschlüsse erworben werden, aber gleichzeitig die Qualität dieser Schülerschaft sinkt.
Man muss es doch ansprechen können, dass „Kompetenzen“ in den Lehrplänen zu immer besseren Noten, aber zu immer mehr Studienabbrechern führen.
Man muss es doch ansprechen können, dass die Reformen im Fach Deutsch zu immer schlechteren Ergebnissen der Schülerschaft führen, so dass Studenten und Auszubildende häufig keine drei Sätze fehlerfrei schreiben können.
Es darf doch nicht immer zur Antwort führen, dass man seine Ansprüche anpassen muss.
Wenn man stets die gleichen Anforderungen an die Auszubildenden stellt und die SuS diese immer schlechter erfüllen, heißt das nicht, dass man seine Anforderungen ändern muss, sondern dass das Schulsystem etwas ändern muss.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  PeterPan314

Die Abschlüsse werden weder mehr noch besser. Es dürften prozentual gesehen gleich viele Abschlüsse, in absoluten Zahlen eher weniger werden, allerdings höherwertige im Sinne von mehr Abiturienten sein. Mit gut oder qualitativ hochwertig hat das nichts zu tun, auch wenn die Politik anderer Meinung ist.

Im Übrigen widerspreche ich ausdrücklich, das Niveau der Leistungsbereitschaft der Schüler anzupassen. Sie wollen ja auch nicht über eine Autobahnbrücke fahren, die von einem nicht gut ausgebildeten Architekten geplant und von einem Statiker für gut befunden wurde, der in Mathematik eine Niete ist.

PeterPan314
7 Jahre zuvor

Hach, ist so ein Artikel wieder schön.
Wenn sich die Unis über ungeeignete Anfänger beschweren, sind die Anforderungen der Unis einfach zu hoch. Wenn die Unternehmen feststellen, dass die Bewerber nicht mehr für die Ausbildungen geeignet sind, sind die Schulen schuldig oder die Unternehmen haben bestimmt zu hohe Anforderungen.
Wie wäre es denn hierzu mal mit mehr Details:
1. Haben die Unternehmen in den letzten Jahren ihre Anforderungen gesteigert?
2. Werden heute häufiger Menschen trotz geeignetem Abschluss als nicht qualifiziert erkannt?

Hier zeigt sich nämlich genau das, was in letzter Zeit immer angesprochen, aber dann als unrealisitisch abgetan wurde:
Sowohl bei grundlegenden fachlichen Kenntnissen in Deutsch und Mathematik als auch bei persönlichen Stärken wie Belastbarkeit, Leistungsbereitschaft und Disziplin erwerben die deutschen SuS Defizite.
Das hat jetzt nichts damit zu tun, dass ich die heutigen Generationen verurteile – ich bitte dieses Argument nicht erneut zu bringen – sondern mit den Anforderungen, die an die Kinder der heutigen Zeit gestellt werden, allen voran die Einführung kompetenzorientierter Lehrpläne und die Entwicklung zu einem Schulsystem, indem mehr Wert auf das „Spaß haben“ und „Wohl fühlen“ gelegt wird als auf die Inhalte und die Arbeitsbereitschaft.
Die Antworten der letzten Jahre auf „Probleme“ waren unvorbereitete Veränderungen, die weder erprobt noch sinnvoll waren und die im Endeffekt nur einem moralischen Dogma gefolgt sind, dass auf angeblicher Gleichberechtigung aller beruht und hierbei doch den größten Teil der Jugend benachteiligt.
Gegner diesen Vorgehens wurden mundtot gemacht und die Konsequenzen einfach schön geredet.
Wie kann es denn sein, dass die Zahl der Gymnasiasten so stark steigt, dass fast jedes zweite Kind aufs Gymnasium geht?
Wie kann es denn sein, dass wir so viele Abiturienten und Studenten haben wie nie zuvor?
Wie kann es sein, dass die „Erfolge“ der Schulpolitik gefeiert werden, während Universitäten und Betriebe feststellen, dass es sich eigentlich um Misserfolge handelt?
Wie kann es sein, dass die, die die Probleme ansprechen, diejenigen sind, die ihre Haltung ändern müssen, um nicht als unmoralisch oder oder unrealistisch zu gelten?

U. B.
7 Jahre zuvor
Antwortet  PeterPan314

Ihren Kommentaren, PeterPan314, stimme ich hundertprozentig zu. Danke!

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  PeterPan314

Ja, die Unternehmen haben die Anforderungen gesteigert.

Es gab Jahre, da konnten Unternehmen bezgl. der Auswahl aan Bewerbern auf Schüler mit Mittlerem Schulabschluss in großer Zahl zurückgreifen und alle anderen aussortieren. Der überwiegende Teil dieser Schülerschaft pfeift mittlerweile auf eine betriebliche Ausbildung, um stattdessen an einem BK eine Fachoberschulklasse zu besuchen, um so die FHR zu erlangen.

Selbst die „schwächeren“ Schüler mit schlechterem MSA oder HSA kratzen nach der Ausbildung die Kurve, um über das BK die FHR zu erlangen. Lediglich der Rest verbleibt in den Unternehmen.

Es ist ein Irrglaube, dass jedes zweite Kind an ein GY nach der GS wechselt. Nur vielmehr machen über die diversen Wege ein Abitur – also die AHR oder die FHR.

Ansonsten gilt, Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen müssen mit den Voraussetzungen leben, die die Berufs- bzw. Studieneinsteiger mitbringen. Die weiterführenden Schulen müssen das auch. Die Voraussetzungen, die Schüler am Ende der GS-Zeit haben entsprechen auch nicht denen, die in den Kernrichtlinien als basales Kompetenzniveau angesetzt sind.

Und um im direkten Vergleich zu früher zu bleiben; früher gab es jede Menge „Hilfsarbeiter“ – also solche, die keinen formalen Schulabschluss hatten und in den Betrieben einfache Arbeiten (Anlerntätigkeiten) verrichteten. Und der Clou der Geschichte, die konnten von dem so erworbenen Entgelt sogar eine Familie ernähren.

Die finanzielle Attraktivität von gewerblichen und handwerklichen (Ausbildungs-)Berufen ist stark verbesserungswürdig. Wer Erdnüsse bezahlt, bekommt eben auch nur Affen.