Der Föderalismus in der Schulpolitik soll gut funktionieren? Eine Lachnummer, Frau Wanka

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Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

Der Bildungsjournalist Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf
Der Bildungsjournalist Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka war – wetten? – noch nie in der Verlegenheit, als Mutter eines Schulkinds von einem Bundesland ins nächste umziehen zu müssen. Hat irgendjemand mal gezählt, wie viele verschiedene Schulformen in Deutschland existieren? Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es offiziell acht. Welche Eltern sollen die Unterschiede noch verstehen, etwa zwischen einer „Sekundarschule“ und einer „Gesamtschule“  – zumal auch die anderen 15 Bundesländer sich immer wieder fröhlich neue Schulformen einfallen lassen: von der „Realschule plus“ bis zur „Werkrealschule“? Was macht zum Beispiel ein Gesamtschüler aus Köln, den es nach Augsburg verschlägt? Er muss sich eine neue Schulform suchen – etwa die zur „Mittelschule“ ernannte Hauptschule –, weil’s in Bayern kaum Gesamtschulen gibt.

Der Grusel lässt sich steigern. Stellen Sie sich doch mal einen Schüler vor, der während seiner Schullaufbahn dreimal das Bundesland wechselt (es gibt tatsächlich Familien, die müssen sowas aus beruflichen Gründen tun). Er beginnt in Schleswig-Holstein, wo er in einer Grundschule ohne Noten lernt, was dort möglich ist. Dann, Anfang des 4. Schuljahres, zieht der Junge mit seinen Eltern nach Bayern um – wo jetzt plötzlich allein der Notenschnitt darüber entscheidet, welche Schulform er im Anschluss besuchen darf. Anfang der 6. Klasse geht die Reise nach Berlin. Und der Schüler, der im Freistaat seit mehr als einem Jahr eine weiterführende Schule besucht hat, findet sich jäh zurück auf der Grundschule wieder, die ja in Berlin meist sechs Schuljahre umfasst. Vier Jahre später, der Schüler ist mittlerweile 15 und auf dem Gymnasium, wechselt er nach Niedersachsen und hat dort (nach Wiedereinführung von G9) noch volle drei Schuljahre bis zum Abitur vor sich. In Berlin wären’s nur zwei gewesen.

Deutschland ist in Sachen Schulstruktur ein Flickenteppich, dessen wirres Muster kaum jemand mehr erkennt. Nicht nur in Sachen G8/G9 gibt es künftig je nach Bundesland völlig unterschiedliche Lösungen – ein achtjähriges Gymnasium hier, Wahlmöglichkeiten dort, neun Jahre Gymnasium mancherorts und in Berlin (wo die Grundschule in der Regel, wie gesagt, sechs Jahre umfasst) nur sechs. Dazu kommen dann noch Initiativen wie die von Schleswig-Holstein oder aktuell von Niedersachsen, im Alleingang die Noten in der Grundschule abzuschaffen (das ist dort jetzt ins Belieben der Schulen  gestellt).

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Frau Wanka meint, der Länderwettbewerb täte der Bildung gut. Tut er das? Ist es gut, wenn einzelne Länder sich beim Absenken ihrer Standards bei den zentralen Abschlussprüfungen unterbieten  – und Abiturienten dann aus den Hochleistungsländern Bayern oder Sachsen mit Abiturienten aus Niedriganspruchsländern wie Berlin um knappe Numerus-Clausus-Studienplätze konkurrieren müssen? Oder ist das schlicht ungerecht? Ist es gut, wenn der Stadtstaat Hamburg 8.700 Euro pro Grundschüler und Jahr ausgibt – Nordrhein-Westfalen hingegen nur etwas mehr als die Hälfte, nämlich 4.800 Euro, wie eine Studie jüngst ergab? Oder ist das einfach eine krass ungleiche Chancenverteilung?

Geradezu ulkig ist der Beleg, den Wanka für die angeblich tolle Zusammenarbeit der Bundesländer bei den Standards in der Bildung anführt. Die Länder würden heute ihre Lehrerausbildungen gegenseitig anerkennen, so freut sie sich. Mit Verlaub, Frau Wanka: Das wäre ja noch schöner, wenn etwa sächsische Lehrer nicht in Rheinland-Pfalz arbeiten dürften und umgekehrt – wo doch Berlin schon Grundschullehrer aus den Niederlanden anwirbt, um seine vakanten Stellen besetzen zu können.

Das Grundgesetz fordert die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland. Es wäre interessant, vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, ob dieses Gebot in der Schulbildung überhaupt noch erfüllt wird. Bis dahin kann die Bundesbildungsministerin ja mal versuchen, einem Ausländer das deutsche Schulsystem in seiner ganzen Vielfalt zu erklären. Zum Scheitern verurteilt.

Zum Bericht: Wanka hält den Bildungföderalismus für “leistungsfähig” – und betont: Schulpolitik bleibt Kernaufgabe der Länder

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