5,1 Millionen Schultüten kaufen Eltern pro Jahr – fast alle werden in Sachsen produziert

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LICHTENTANNE. Etwa 5,1 Millionen Schultüten produzieren die vier größten deutschen Hersteller pro Jahr. Drei von ihnen sitzen in Sachsen. Bevorzugen die ostdeutschen Eltern eckige Tüten, finden in Westdeutschland runde Schultüten größeren Absatz. Doch nicht nur die Schultüten selbst sind ein Wirtschaftsfaktor. Ihre Befülllung beschert dem Handel gute Umsätze. Auch für die Erstausstattung der ABC-Schützen, vom Stift bis zum Ranzen, geben Eltern viel Geld aus. Nicht alle können da mithalten.

Der „Höhepunkt“ der Sommerfeien ist beinahe überschritten. Wenn am Mittwoch in Nordrhein-Westfalen die Schule wieder beginnt, sind für die Mehrheit der Schüler in Deutschland die großen Ferien beendet. Rund 700.000 Kinder erleben dieses Jahr ihren ersten Schultag.

Gleich wo die ABC-Schützen eingeschult werden, die Schultüte am ersten Tag ist Tradition – und zumeist «made in Sachsen». Vier große Hersteller gibt es in Deutschland, drei davon sitzen in Westsachsen. Etwa 4,5 Millionen Stück werden im Freistaat hergestellt. Rund 36 400 Erstklässler erhoffen sich alleine in Sachsen in diesem Jahr eine gut gefüllte Zuckertüte, wie sie ausschließlich hier genannt wird.

Der Schulbeginn ist für de Handel ein wichtiges Geschäft. Foto: annca / pixabay CC0 Public Domain
Der Schulbeginn ist für de Handel ein wichtiges Geschäft. Foto: annca / pixabay (CC0 Public Domain)

In der ältesten Schultütenfabrik Deutschlands, der Firma Nestler Feinkartonagen im erzgebirgischen Ehrenfriedersdorf, werden mit zwei Millionen die meisten Exemplare gefertigt. Seit 1894 stellt der Betrieb nach Angaben von Geschäftsführerin Bettina Nestler die spitzen Tüten her. Dabei setzt das Unternehmen hauptsächlich auf Lizenz-Motive – angefangen bei Anna und Elsa aus dem Disney-Film «Die Eiskönigin» bis hin zu Actionszenen aus «Star Wars».

Die Verpackungsmittel GmbH aus Markneukirchen (Vogtlandkreis) ist laut Geschäftsführer Michael Schautschick seit 1992 im Schultütengeschäft. «Wir produzieren für jeden Schulanfang rund 1,5 Millionen Stück.» Der dritte sächsische Hersteller, die Firma Roth aus dem westsächsischen Lichtentanne, setzt nach Angaben von Vertriebsleiter Jens Heinz ausschließlich eigene Motive. «Seit 2004 am Markt fertigen wir mittlerweile mehr als eine Million Schultüten.»

Ergänzt wird das Angebot aus Franken: Mit rund 600 000 Tüten ist die Firma Goldbuch aus Bamberg der kleinste Anbieter. Der Betrieb fertigt laut Geschäftsführer Robert Brückner seit Anfang der 1950er Jahre Schultüten.

Verbreitet ist der Brauch nur im deutschsprachigen Raum. Die ersten Schultüten lassen sich nach Angaben von Lutz Weiner vom Schulmuseum Leipzig 1817 in Jena, 1820 in Dresden und 1836 in Leipzig nachweisen. Durchgesetzt habe sich das Kultursymbol mit Einführung der Schulpflicht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Traditionell seien die Schultüten im Osten eckig und 85 Zentimeter groß, schildert Weiner. Im Westen hingegen seien sie rund und «nur» 70 Zentimeter.

Größer würden die Schultüten zwar nicht, aber individueller, erklärte Vertriebsleiter Heinz. So ließen immer mehr Eltern den Namen ihres Kindes aufdrucken oder orderten gleich eine Extraanfertigung. Beliebtestes Motiv bei Mädchen sei nach wie vor ein Einhorn mit Glitzereffekt, bei den Jungen stehen weiter Fußball, Pirat oder Feuerwehr hoch im Kurs, erläutert der Vertriebschef. Rund 50 Motive umfasse das Sortiment.

Angefertigt würden auch Zuckertüten zum Selberbasteln oder Exemplare mit Sound- und Lichteffekten. Drei festangestellte Grafiker tüfteln den Angaben nach für jeden Schulanfang an neuen Ideen. Bis auf den Grundkörper aus Pappe, den ein ebenfalls sächsisches Unternehmen zuliefere, werde die Schultüte überwiegend in Handarbeit in Lichtentanne gefertigt.

Im Schnitt geben Eltern in Deutschland laut einer Umfrage rund 60 Euro für die Schultüte samt Inhalt aus. Fast alle Kinder bekommen eine von ihren Eltern (99 Prozent). Jeder Vierte (24 Prozent) bastelt sie dabei selbst. Mehr als acht von zehn Eltern (84 Prozent) machen sich außerdem die Mühe, die Tüte selbst zu befüllen.

Was den Inhalt anbelangt, halten es die meisten Erwachsenen klassisch: Am häufigsten werden Süßigkeiten in die Tüte gefüllt (88 Prozent). 69 Prozent der Eltern setzen auf Schulausrüstung, 22 Prozent stecken Geld hinein. Ein Handy kommt in 6 Prozent der Fälle in die Schultüte.

Mit dem Beginn des neuen Schuljahres freut sich der Handel auch über Einnahmen durch den Schulbedarf. «Für genaue Zahlen ist es noch zu früh», sagte Hans-Joachim Rambow, Geschäftsführer des Handelsverbandes Niedersachsen-Bremen. «Die Händler sagen aber: Es läuft gut.» Gerade für Ranzen werde Geld ausgeben. «Da wird doch schon investiert und nicht vererbt», sagte Rambow. «Das hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr herauskristallisiert.» Außer Modemotiven wie etwa Pokémons spielten Gesundheit und Qualität bei der Auswahl eine wichtige Rolle.

Anderer Schulbedarf wie Stifte, Zirkel, Anspitzer und Radiergummis würden zunehmend von Supermärkten offeriert, sagte Rambow. «Mit entsprechenden Angeboten werben die Discounter erfolgreich um Kunden auch für das übrige Angebot», erklärte er. «Das Internet spielt vor allem bei der Erstausstattung noch keine so große Rolle.»

Der Schulbeginn sei ein wichtiges Geschäft, sagte auch Jan König von der Bremer Geschäftsstelle des Einzelhandelsverbandes Nordwest. «Es hat sich ein wenig Richtung Discounter verlagert, das macht es für die Fachgeschäfte nicht einfacher», sagte König.

Die staatliche Unterstützung für bedürftige Familien von 100 Euro im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets reiche nicht aus, erklärte die Diakonie in Hannover. Zu diesem Ergebnis sei eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche Deutschland von 2015 gekommen. Kinder in Niedersachsen benötigten für den Schulbedarf im Schnitt 153 Euro in jedem Schuljahr. Um diesen Missstand zu beheben, starte die Diakonie in Niedersachsen einen Petitionsaufruf beim Deutschen Bundestag. «Die Ausstattung für das erste Schuljahr kostet sogar bis zu 320 Euro», sagte Diakonie-Sprecher Sven Quittkat. (Claudia Drescher, dpa)

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