Trotz wachsenden Lehrermangels in Deutschland: Viele bayerische Junglehrer träumen vergeblich von einer festen Stelle

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MÜNCHEN. Während andernorts – etwa in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Bremen – rote Teppiche für Bewerber auf Lehrerstellen ausgerollt werden und Berlin Grundschulpädagogen sogar aus Österreich und den Niederlanden abwirbt, haben viele Referendare in Bayern zum kommenden Schuljahr kaum Chancen auf eine Planstelle. Insbesondere an Gymnasien und Realschulen im Freistaat ist die Situation prekär. Gewerkschaften fordern deswegen eine Flexibilisierung des Lehramtsstudiums.

Vielerorts in Deutschland fehlen Lehrer - in Bayern, zumindest bei den Lehrämtern Realschule und Gymnasium, gibt's offenbar zu viele. Foto: Luis Priboschek
Vielerorts in Deutschland fehlen Lehrer – in Bayern, zumindest bei den Lehrämtern Realschule und Gymnasium, gibt’s offenbar zu viele. Foto: Luis Priboschek

Seit der neunten Klasse war für Frank Schmidpeter klar, was sein Traumberuf sein sollte. «Ich wollte schon immer Lehrer werden. Ich mag es einfach, in der Schule zu sein und mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen», erzählt der 25-jährige Oberpfälzer mit den markanten Dreadlocks. Deswegen habe er angefangen, in Regensburg Mathematik und Sport auf Realschullehramt zu studieren. Zwei Fächer die ihm lagen, und von denen ihm zu Beginn des Studiums gesagt wurde, die Jobchancen seien trotz des Überschusses an Realschullehrern nicht all zu schlecht.

Doch statt mit komplizierten Formeln und Reckturnen beschäftigt sich Schmidpeter nun mit Sozialarbeit und Skateboard fahren. «Kurz vor dem ersten Staatsexamen in diesem März war klar, dass ich quasi keine Chance habe, nach dem Referendariat eingestellt zu werden», erzählt er. Deswegen habe er sich nach Alternativen umgesehen und im April prompt eine Stelle als Streetworker im Jugendtreff «Seven» in seinem Heimatdorf Postbauer-Heng bekommen.

Schmidpeter hat damit vermieden, was vielen bayerischen Junglehrern auch zu Beginn des kommenden Schuljahrs wieder droht: Die Perspektivlosigkeit nach dem Referendariat. Die Zahlen sind für viele Junglehrer nach sieben Jahren Ausbildung ernüchternd: Im September 2015 haben sich beispielsweise knapp 2400 Realschullehrer um eine Planstelle beworben. Lediglich 76 erhielten ein Einstellungsangebot – eine Quote von gerade einmal drei Prozent. Die Zahlen für das kommende Schuljahr stehen noch aus, doch es zeichnet sich keine grundlegende Trendwende ab.

«Insbesondere an den Gymnasien und den Realschulen ist die Situation in diesem Jahr weiter prekär», sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Lehrerverbands (BLLV). Während bei den Grund-, Mittel- und Förderschulen im September quasi alle Bewerber nach dem zweiten Staatsexamen eingestellt würden, hätten viele junge Gymnasial- und Realschullehrer zunächst keine Aussichten auf eine der jeweils rund 250 Planstellen, die das Kultusministerium zum September schaffen will.

Auf eine solche wartet beispielsweise Christian Meßner seit Februar 2015. Der 29-Jährige hat Sport und Religion auf Gymnasiallehramt studiert und war nach eigenen Angaben bayernweit Jahrgangsbester in seiner Fächerkombination. «Zu Beginn meines Studiums hieß es noch, für diese Fächer brauche man sich keine Sorgen zu machen», erzählt er. Und trotzdem unterrichtet er seit eineinhalb Jahren nicht an einem Gymnasium, sondern mit Zeitverträgen an einer Mittelschule in Landshut.

«Die Einstellung richtet sich nach dem Bedarf. Wir haben schon seit Jahren darauf hingewiesen, dass die Schülerzahlen zurückgehen und die Situation an Gymnasien und Realschulen schwieriger wird», sagt ein Sprecher des Kultusministeriums zur aktuellen Lage. Wer Lehrer werden wolle, solle sich daher unbedingt im Vorfeld genau über die jeweilige Einstellungssituation informieren. Das Ministerium veröffentlicht dafür jährliche Bedarfsprognosen für jede Schulart.

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Simone Fleischmann geht das nicht weit genug: «Die Bedarfsprognosen reichen nicht. Während für die einen Schularten viel zu viele Nachwuchskräfte aus den Universitäten kommen, herrscht bei den anderen Lehrermangel». Um dem Problem beizukommen, fordert sie umfassendere Informationsmaßnahmen vor Beginn des Studiums, etwa Pflichtpraktika in unterschiedlichen Schularten und eine intensivere Studienberatung.

Und schlussendlich fordert der Lehrerverband, ähnlich wie die Bildungsgewerkschaft GEW, eine größere Flexibilität während des Studiums. So sollten Lehramtsstudenten aller Schularten die ersten Jahre gemeinsam studieren und sich erst später auf eine  Schulart spezialisieren können.

Für das Kultusministerium ist das keine Lösung. «Wir haben ein differenziertes Schulsystem, welches auf die Begabung und Interessen der Schüler eingeht. Es ist ein großer Unterschied, ob man nun Klassenlehrer an einer Mittelschule ist oder Fachlehrer an einem Gymnasium», sagt der Sprecher. Dementsprechend müsse auch die Ausbildung schulartspezifisch gestaltet werden.

Stattdessen gibt es in Bayern seit vergangenem Sommer ein Programm für Gymnasial – und Realschullehrer, in dem diese sich innerhalb von zwei Jahren für den Dienst an Mittelschulen weiterqualifizieren können, wo aktuell Lehrer gesucht werden. «Da müssen auf einmal ausgebildete Gymnasiallehrer völlig fachfremd an Mittelschulen unterrichten und werden dafür auch noch schlechter bezahlt», kritisiert Bernhard Baudler von der GEW die Initiative. Die Maßnahme sei viel zu spät angesetzt und gehe vor allem zu Lasten der Schüler.

Wer keine Planstelle ergattert hat oder über die Umschulung den Weg in die Verbeamtung gehen kann, nimmt oft ein weiteres Studium auf oder wechselt, wie Frank Schmidpeter, in ein anderes Berufsfeld. Einige gehen in andere Bundesländer, unterrichten an Privatschulen oder auf Zeitverträgen an staatlichen Schulen. Insbesondere Letzteres sorgt sowohl bei Verbänden als auch bei Junglehrern für weiteren Unmut. «Da fehlt für viele junge Kollegen jegliche Planungssicherheit», sagt GEW-Mann Baudler. Teilweise würden bei Zeitverträgen die Ferien nicht bezahlt oder Lehrer zu den Sommerferien regelmäßig ausgestellt – sie arbeiten damit keine vollen zwölf Monate, womit meist auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt. Von David Hutzler, dpa

Zum Bericht: Kurth mahnt – Seiteneinsteiger nicht als Lehrer zweiter Klasse abtun

 

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sofawolf
7 Jahre zuvor

Was ich nicht verstehe, warum bewerben sich diese Junglehrer nicht in anderen Bundesländern?

dickebank
7 Jahre zuvor

Und warum können die Realschullehrer nicht an Mittelschulen eingesetzt werden – und zwar ohne Zusatzausbildung?

ysnp
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Das würde dann die klare Abgrenzung zwischen den Schularten in Bayern ad absurdum führen. Das klang ja oben schon in der Aussage des Ministeriums an. In Bayern gibt es noch das streng gegliederte 3fach Schulsystem (Mittelschule, Realschule, Gymnasium). Mittelschulen und Realschulen haben unterschiedliche Ansätze, vor allem das Selbstverständnis des Klassenlehrers betreffend. Ebenso muss man ja in der Mitteschule bestimmte Fächer fachfremd unterrichten. Außerdem kann man in der Mitteschule nicht mit hohen Erwartungen an die Leistungen der Schüler unterrichten – hier muss man anders ansetzen. So lang das Schulsystem so ist, muss man umschulen und die Besonderheiten dieser Schulart vermitteln. Es gibt Gerüchte, dass eine Reihe von Referendaren, die man aus dem Gymnasial- und Realschulbereich mit Zeitverträgen ausgestattet hat, bis sie in ihrer Schulart eine Stelle bekommen, an der Mittelschule mit den ganzen Umständen überfordert sind. Das geht auf Lasten der Referendare und auch der Schüler. Eine Lösung wäre tatsächlich, wie die Lehrerverbände vorschlagen, das Studium in Richtung Stufenlehrer umzugestalten. Außerdem – und da wiederhole ich mich – sollte man die Gehaltsunterschiede nivellieren. Es gibt ja genug, die wegen des Gehalts eine für sie attraktivere Schulart wählen.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

ja und? – In NRW gibt es das Lehramt GHR mit dem Schwerpunkt HRGe – soll heißen alle Klassen der Seki außer am Gymnasium. Auch in NRW ist es so, dass die HS das Klassenlehrerprinzip einschließlich eines hohen Anteiles an fachfremden Unterricht fahren, An allen anderen Schulformen der sekI wird wie an den Realschulen das Fachlehrerprinzip gefahren. Ausnahmen sind tlw. der Doppeljahrgang 5/6, wo versucht wird den Klassenleitungen einen hohen Studenanteil in ihren Klassen einzuräumen.

An Gesamtschulen, die es ja auch in BY mit anderer Bezeichnung gibt, unterrichten Lehrkräfte mit der gleichen Ausbildung sowohl Grund- als auch Erweiterungskurse – also zum einen auf HS- und zum anderen auf RS-Niveau. Der Nachteil ist natürlich, dass HS- und RS-Lehrkräfte zu A12 eingruppiert werden, was bei der geringen Zahl von Hauptschulen in NRW ein Vorteil ist, den der Finanzminister gerne in Kauf nimmt.

ysnp
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Ich weiß von keiner Gesamtschule in Bayern, die eine andere Bezeichnung hat. Früher gab es einmal einen Schulversuch dazu, der aber wieder eingestampft wurde und alles wieder zurückgefahren wurde wie gehabt.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Städt. Willy-Brandt-Gesamtschule München
Freudstr. 15
80935 München

Städtische Schulartunabhängige Orientierungsstufe
München-Neuperlach
Quiddestr. 4
81735 München

Wilhelm-Löhe-Schule Nürnberg
Evang. kooperative Gesamtschule
Deutschherrnstr. 10
90429 Nürnberg

Senefelder-Schule Treuchtlingen – Staatl.
kooperative Gesamtschule
Bgm.-Döbler-Allee 3
91757 Treuchtlingen

Staatl. Gesamtschule Hollfeld
Oberes Tor 18
96142 Hollfeld

… gemeint ist, Schulen der besonderen Art.

Es gibt also noch zwei staatliche GeS – ene integrierte und eine Kooperative GeS.

ysnp
7 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Interessant, das wusste ich nicht, dass es doch ein paar Gesamtschulen gibt.

sofawolf
7 Jahre zuvor

@ ysnp, schade, dass Sie immer wieder (um auf Ihre alte Forderung hinzuweisen) das Klischee bedienen, dass jemand nur des Geldes wegen Lehrer wird. Klar gibt es solche Leute. Es gibt sie überall. Aber immer wieder darauf zu verweisen und den Eindruck zu erwecken, „viele“ ( = die meisten) denken so, schadet dem Ansehen unseres Berufes.

Das mit den Stufenlehrern findet meine Zustimmung. Habs mal gegoogelt:

http://www.bllv.de/BLLV-Ressort-Politik.6504.0.html?&cHash=280c5ad0e686d1e5159cd4e8cdcc6c73&tx_ttnews%5Btt_news%5D=5093

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Warum sollte man einen anderen Grund haben. Jeder Beruf wird gewählt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

ysnp
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Es ging mir um die Schulartenwahl und nicht um den Lehrer an sich. Ich kann mir schon gut vorstellen, dass die Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen, wenn man das Augenmerk zuerst einmal auf seine guten oder für sich interessanten Fächer gerichtet hat und diese auf Lehramt studieren will und wenn eine bestimmte Schulart und deren Profil kaum eine Rolle spielt.

sofawolf
7 Jahre zuvor

@ dickebank, hm, sind Sie die Ausnahme oder bin ich die Ausnahme? Keine Ahnung. Ich habe mir meinen Beruf danach ausgesucht, was ich gerne machen möchte und was mir liegt. Es gab noch andere Ideen als die des Lehrers. Den hielt ich damals eher für einen typischen Frauenberuf, aber als ein Freund „auch“ Lehrer werden wollte, brach der Damm bei mir. Es waren grundsätzlich die Themen einiger Fächer, das war das Unterrichten als solches und die Arbeit mit Kindern. Wie ich schon einmal schrieb, wusste ich bis zum Ende meines Studiums nicht annähernd, was ein Lehrer verdient. (Damals war das Internet noch nicht so verbreitet.)

Und wie auch schon einmal geschrieben, der Lehrerberuf war in der DDR lange Zeit kein sehr gut bezahlter Beruf, das heißt, alle diese Lehrer wollten Lehrer werden ohne Aussicht darauf, zu den Besserverdienenden zu gehören. Und es mangelte nicht an Lehrern. Meinen Sie, dickebank, denn im Umkehrschluss, dass die weniger gut bezahlten Berufe nur von Leuten ergriffen werden, die keine Chance haben, einen besser bezahlten Beruf zu bekommen?

PS: Wer sprach denn davon, einen Beruf zu ergreifen, von dem man seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann?!? Aufstocker? Das stand doch gar nicht zur Debatte!

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Wäre ich Seiteneinsteiger, wenn ich den Beruf als das Maß aller Dinge ansehen würde? Aber für second best eigentlich ganz okay – morgens recht und nachmittags frei:)