Historikertag unterstreicht wachsende Bedeutung des Fachs Geschichte – und kritisiert die Schulen: „Müssen Studienanfänger erst studierfähig machen“

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HAMBURG. Zum Abschluss des Deutschen Historikertags in Hamburg haben Wissenschaftler die zunehmende Bedeutung der Geschichtsforschung betont. «Geschichte ist in einer Zeit wichtiger geworden, in der die Übersichtlichkeit der Welt abnimmt», sagte der scheidende Vorsitzende des Historikerverbands (VHD), Martin Schulze Wessel, am Freitag. Wessel hatte vor vier Jahren angekündigt, Geschichte enger mit Politik zu verknüpfen. Dieser Ansatz werde beibehalten, sagte seine Nachfolgerin, Eva Schlotheuber. Als weitere Aufgabe nannte sie, die tiefe Kluft zwischen der Masse der Geschichtsstudenten und der Exzellenzforschung zu überbrücken.

Was können wir heute vom 30-jährigen Krieg lernen? Gemälde von marodierenden Soldaten (Sebastian Vrancx 1647, Deutsches Historisches Museum Berlin). Foto: Wikimedia Commons
Was können wir heute vom 30-jährigen Krieg lernen? Gemälde von marodierenden Soldaten (Sebastian Vrancx 1647, Deutsches Historisches Museum Berlin). Foto: Wikimedia Commons

Vier Tage lang hatten 3800 Teilnehmer in Hamburg über «Glaubensfragen» diskutiert. Dabei ging es um die Rolle der Religion in Konflikten, aber auch um die Arbeit der Historiker zwischen Glauben und Wissen. Der nächste Historikertag ist 2018 in Münster.

Schlotheuber, Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sagte: «Spitzenforschung ist was Tolles.» Es gehe aber auch darum, die Masse der Studierenden nach dem Abschluss sinnvoll in die Gesellschaft zu integrieren.

Als weiteres Problem nannte die 56-Jährige den Bildungsstand der Studienanfänger. «Wir müssen die Studierenden oft erst studierfähig machen.» Dazu gehöre etwa die Fähigkeit, längere Texte konzentriert zu lesen.

Am Vortag hatten der Historikerverband und der Verband der Geschichtslehrer eine Resolution zum Schulfach Geschichte verabschiedet. Darin wird ein höherer Stellenwert des Fachs gefordert. Das erfordere mehr Geschichtsunterricht und qualifizierte Lehrer. Der Vorsitzende des Geschichtslehrerverbandes, Ulrich Bongertmann, kritisierte, wenn ein Lehrer für Mathematik und Geografie Geschichte unterrichte, könne das kaum mehr als «Stümperei» werden.

Steinmeier: Lernen aus der Geschichte

Zum Auftakt des Historikertags – er zählt zu den größten geisteswissenschaftlichen Kongresse Europas – hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Möglichkeiten hervorgehoben, aus der Geschichte zu lernen. So könnte ein Blick auf die Diplomatie des Westfälischen Friedens von 1648 Ansätze für eine Befriedung des Mittleren Ostens liefern. Damals war der Dreißigjährige Krieg beendet worden. Wie damals die Reichsstände könnte jetzt Europa als «dritte Partei» versuchen, die starren Fronten aufzulösen.

Wessel unterstrich, Geschichte liefere auch noch andere Einsichten. Die Europäische Union als großes europäisches Einigungsprojekt stehe unter Druck. Ein Blick in die Geschichte könne Aufschlüsse darüber bringen, wie «die Bildung einer supranationalen Organisation» gelingen – oder eben auch misslingen könne. dpa

Zum Bericht: Lehrerverband: MINT-Fixierung drängt das Fach Geschichte aus der Schule

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7 Kommentare
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drd
7 Jahre zuvor

Geschichte hat (in BW) über die Schulzeit weniger Stunden als Religion. Und viel weniger als Sport. Da sieht man ja schon, wo die Prioritäten gesetzt werden.

GriasDi
7 Jahre zuvor
Antwortet  drd

Leider sind es immer noch zu wenige Stunden Sport.

xxx
7 Jahre zuvor

Ein Lehrer für Mathematik und Geografie wird nur selten Geschichte unterrichten, weil sein Deputat mit Mathematik nahezu vollständig ausgelastet sein wird.

Die fehlende Studierfähigkeit moniere ich schon länger. Das gilt aber nicht nur für Geschichte, sondern für so gut wie jedes Fach. Politisch ist ja ein möglichst hoher Abiturientenanteil gewollt, also die reine Studierberechtigung. Das lässt sich nur durch Niveauverflachung und in Folge dessen geringerer Studierfähigkeit erreichen. Das Bildungs- und das Wissenschaftsministerium müssen sich mal einigen, wobei ich persönlich ein Verfechter der Studierfähigkeit und Reduktion der Abiturquote auf maximal 30-40% mit entsprechender Niveauanhebung bin. In Mathematik sollte also auch im Grundkurs — und nicht mehr nur wie aktuell auch nicht mehr im Leistungskurs — bewiesen werden, in Geschichte mehrere Originalquellen im Zusammenhang interpretiert werden usw.

Küstenfuchs
7 Jahre zuvor

Die mangelnde Studierfähigkeit möge man doch bitte nicht der Schule ankreiden! Alleinverantwortlich ist die Politik, die durch permanente Absenkung der Anforderungen immer mehr Abiturienten produzieren will.

Ein Abiturient mit einem Schnitt von z.B. 1,8 hat ganz sicher kein Problem, einen langen Text konzentriert zu lesen und mit ihm zu arbeiten. Ein Abiturieren mit einem Schnitt von heute 3,4 dürfte in vielen Fällen völlig überfordert sein.

Palim
7 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Die mangelnde Studierfähigkeit oder das Klagen über unvorbereitete Schüler gleich welcher Schulstufe dürfte sich in Zukunft um ein Vielfaches erhöhen,
da schon jetzt erdrutschartig sinkende Schulfähigkeit, Anstrengungsbereitschaft und Eingliederungsfähigkeit auf Inklusion, Integration und mangelnde Ressourcen treffen.

Aber wer SuS früher einschult, Stunden oder Schuljahre streicht und Schulen mit vielfältigen Aufgaben allein lässt, kann nicht erwarten, dass die Fähigkeiten am Ende ein besseres Niveau erreichen, selbst wenn Kompetenzerwartungen und Konzepte anderes benennen.

Diddi
7 Jahre zuvor

Ich sehe das wie xxx. Die heutige Personalsituation würde es wohl eher erfordern, dass ein Geschichtslehrer MINT Fächer unterrichtet als anders herum.

Die Politik und die Gesellschaft allgemein setzt eher auf Masse statt Klasse. Hauptsache viele Abiturienten. Und wer keinen Studienplatz bekommt, klagt sich halt mit dem Anwalt in die Uni rein.
Laut der KMK von 2003 sollte auch ein Masterstudium eher die Ausnahme sein und somit der Bacherabschluss der Regelabschluss. Mittlerweile machen rund 75% der Studenten einen Masterabschluss, welcher somit auch abgewertet wird. Die Politik und die Gesellschaft müssen sich entscheiden was sie wollen. Entweder Masse oder Klasse…beides geht nicht.

MichealMeier
7 Jahre zuvor
Antwortet  Diddi

„Die heutige Personalsituation würde es wohl eher erfordern, dass ein Geschichtslehrer MINT Fächer unterrichtet als anders herum.“

Dann können sie sich aber auch vorstellen was dabei rauskommt… ich werde mich dann wohl mal hier im örtlichen Krankenhaus als Notarzt bewerben, hab ich zwar nie gelernt, aber die haben auch einen Personalmangel.