(Sehr) später Akt der Entschuldigung: Uni Jena will von Nazis verfolgte Wissenschaftler rehabilitieren – nach mehr als 70 Jahren

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JENA. Die Aufarbeitung ihrer NS-Geschichte, vor allem der Verstrickung prominenter Ärzte und Pädagogen in das Nazi-System, verlief an der Universität Jena viele Jahre kontrovers. Die Schuld für Unrecht wurde „der faschistischen Kriegsmaschinerie“ zugeschoben. Nun sollen NS-Opfer unter den Wissenschaftlern geehrt werden.

Sollte "SS-Universität" werden: die Uni Jena. Foto: Vitold Muratov / Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0
Sollte „SS-Universität“ werden: die Uni Jena. Foto: Vitold Muratov / Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

An der Universität Jena haben im Nationalsozialismus mindestens 61 Wissenschaftler ihren Doktortitel auf Betreiben der Nazis verloren. In den meisten Fällen handele es sich um Universitätsangehörige, die Deutschland auf der Flucht vor den Nazis verlassen hatten, teilte die Hochschule am Mittwoch mit. Einige seien von der NS-Justiz auch verurteilt worden, etwa wegen Homosexualität oder wegen Liebesbeziehungen zu Juden. Sie sollen in einem Gedenkakt am 9. November – dem Jahrestag der antijüdischen Pogrome in Deutschland 1938 – offiziell rehabilitiert werden.

Eine Wissenschaftlerkommission der Hochschule hatte Personalakten betroffener Wissenschaftler im Universitätsarchiv ausgewertet. Vor allem Juristen und Mediziner seien vom NS-Unrecht betroffen gewesen, sagte ein Sprecher. Unter den Rechtswissenschaftlern, denen der Doktortitel aus politischen Gründen aberkannt wurde, war auch der von den Nazis im Konzentrationslager Buchenwald inhaftierte Sozialdemokrat Hermann Brill. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Brill erster Thüringer Ministerpräsident. Er gehört zu jenen 20  Betroffenen, denen der Doktortitel bereits im Sommer 1945 wieder zuerkannt wurde.

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In der Gedenkveranstaltung soll der Beschluss zum Titelentzug bei weiteren 26 Wissenschaftlern symbolisch wieder aufgehoben werden. Es gehe um einen öffentlich sichtbaren Akt der Rückbesinnung und des tiefen Bedauerns, sagte Uni-Präsident Walter Rosenthal. «Wir können das begangene Unrecht nicht ungeschehen machen.» Nicht alle Fälle hätten sich allerdings restlos aufklären lassen, so die Hochschule. Bei vier Titelentzügen sei nicht eindeutig geklärt, ob dabei von NS-Unrecht ausgegangen werden müsse. In weiteren drei Fällen scheiterte die Klärung an fehlenden Akten.

Die Universität Jena galt zwischen 1933 und 1945 als NS-Musteruniversität, sie war vor allem eine Hochburg der nationalsozialistischen Rassekunde. Ihr Rektor ab 1939,  Karl Astel (1898-1945), war zugleich Präsident des Landesamtes für Rassewesen in Weimar. Er wollte die Hochschule zur SS-Universität profilieren. dpa

Zum Bericht der Uni Jena zu ihrer Verstrickung in den Nationalsozialismus.

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