Krankenkassen: Immer mehr Kinder lernen so schlecht sprechen, dass sie Therapie brauchen

6

BERLIN. Immer mehr Vorschulkinder haben Spachentwicklungsstörungen. Schon jeder vierte vier- bis sechsjährige Junge ist betroffen. Soziale Ursachen sind laut Experten dabei weitaus häufiger als medizinische.

Nach einer Hochrechnung der Krankenkasse Barmer GEK hat in Deutschland rund jedes achte Kind Sprachprobleme. Bei immer mehr Vorschul- und Schulkindern stellten Ärzte Sprachentwicklungsstörungen fest, teilte die Kasse mit. Zuerst hatte die Funke-Mediengruppe darüber berichtet. Nach Angaben der Kasse diagnostizierten Mediziner im Jahr 2015 bei 715000 gesetzlich versicherten Jungen und Mädchen Sprachprobleme. Das waren zwölf Prozent. Im Jahr 2011 seien es 648000 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 14 Jahren (9,8 Prozent) gewesen.

Rund jedes achte Kind in Deutschland hat Sprachprobleme. Foto: ikinitip / pixabay (CC0 Public Domain)
Rund jedes achte Kind in Deutschland hat Sprachprobleme. Foto: ikinitip / pixabay (CC0 Public Domain)

In den vergangenen zehn Jahren hat nach einer Analyse der Kasse AOK die Verordnung von Sprachtherapien für Kinder um ein Viertel zugenommen. So erhalte zum Beispiel inzwischen jeder vierte sechsjährige Junge diese Hilfe rund um den Schulbeginn, teilte das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) am Donnerstag im Heilmittelbericht für 2016 mit.

Anzeige

Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte beobachtet, dass Sprachdefizite zunehmen. «Wir müssen dabei aber zwischen medizinischen und sozialen Ursachen unterscheiden», sagte Sprecher Hermann Josef Kahl. Bei medizinischen Gründen gehe es zum Beispiel um Lispeln, Lallen oder auch um Hörprobleme.

Weitaus häufiger seien heute jedoch soziale Ursachen wie mangelnde Deutschkenntnisse von Kindern mit ausländischen Wurzeln. Oder auch Eltern, die mit ihren Kindern zu wenig Sprechen übten. «Wir werden meist von Eltern bedrängt, ihre Kinder zum Logopäden zu schicken. Wir sehen hier aber oft zuerst auch die Eltern in der Pflicht», sagte Kahl. (dpa)

Kinderpsychiater Rößner: Eltern schicken ihre Kinder eher zur Logopädie, als ihnen Regeln beizubringen

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

6 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Palim
7 Jahre zuvor

Mit der Eltern-Handy-Generation, die häufiger Nachrichten verschicken, als mit ihren Kindern zu sprechen, verschlimmert sich das Problem noch.

Grundschullehrkräfte beobachten diese zunehmenden Defizite auch seit Jahren. Grundlegende Fähigkeiten können bei Kindern, die eingeschult werden, nicht mehr vorausgesetzt werden und sollen in den ersten Monaten über klasseninterne Förderung aufgeholt werden.
Diese Rechnung geht aber nicht auf, weil die Kinder erheblich mehr Zeit und Betreuung bräuchten, um ihre Fähigkeiten auszubauen und weil die anderen Inhalte der ersten Monate Grundschulzeit ja nicht dezimiert wurden.
Dann lernen die Kinder schlechter Lesen, Schreiben, Rechtschreiben und ihre verkümmerte Sprache wirkt sich auf alle anderen Bereiche des Lernens aus, da Sprache, Sprachverständnis und Lesen immer grundlegend sind.

GriasDi
7 Jahre zuvor

Hat Spitzer vielleicht doch recht, wenn er sagt: Sprechen lernt man nicht beim Betrachten von DVDs oder Videos, sprechen lernt man nur von und mit REALEN Menschen.

Birgit
7 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

nicht nur vielleicht. 😉

Birgit Skov
7 Jahre zuvor

Als Logopädin kann ich dem Thema nur zustimmen, dennoch wird Hermann Josef Kahl falsch wiedergegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Sprecher der Kinder- und Jugendärzte “ lallen“ als medizinisches Problem angibt.
Die Lallphase macht jeder Säugling durch, bevor erste Wörter probiert werden.
Sicher sollten die Eltern mehr in die Pflicht genommen werden, aber wie soll das erreicht werden? Ich bezweifle sehr, wenn soziale Gründe für eine Sprachentwicklungsstörung vorliegen, dass man die Erziehungsberechtigten ohne Fachleute im Hauruckverfahren erreicht. Wie stellt Herr Kahl sich das konkret vor? Täglich erlebe ich interessierte Eltern, aber auch Eltern die überlastet sind mit Familie und Beruf. Wo bleibt da noch Zeit für Gespräche, Spielen, Vorlesen oder gemeinsam Bilderbücher anschauen ? Der Alltag muss organisiert werden. Kindertagesstätte, Schule, Hort und abends evtl. gemeinsames Abendessen und dann ist der Tag zu Ende. Leider hat sich das Familienleben zum Nachteil der Kinder entwickelt. Die Politik hat es so gewollt, die Kleinen sollen durch die Fremdbetreuung in den Einrichtungen bessere Chancen haben. Aber bei dem Personalspiegel in den Einrichtungen ist das m.M. nach utopisch. Wie soll eine Gruppenerzieherin allen ca. 20 Kinder gerecht werden ? Häufig gibt es verhaltensauffällige Kinder, die die Aufmerksamkeit der Pädagogen auf sich ziehen. usw, usw …. ich könnte noch weiter und weiter schreiben. Aber ich denke, es ist ein Schreiben gegen Windmühlen und ich wünsche mir, dass wir in der Praxis vielen Kindern bis zum Schuleintritt eine gute Basis mitgeben können. Dazu müssen sie natürlich frühestmöglich von den Kinderärzten eine Verordnung erhalten. Und die Kinderärzte dürfen nicht in Regress genommen werden, weil sie zu viel verordnen. Regress bedeutet, die Ärzte zahlen drauf. tja … so ist das.
Ich wünsche Allen eine schöne Vorweihnachtszeit.

Birgit Skov

Palim
7 Jahre zuvor
Antwortet  Birgit Skov

„Regress bedeutet, die Ärzte zahlen drauf. tja … “

„tja…“ bedeutet, dass die Kinderärtze dann behaupten, die sprachlichen Schwierigkeiten würden sich von alleine geben und keine Rezepte für Therapien ausstellen.

Es bedeutet auch, dass Kinder mit 3, 4 oder 5 Jahren kaum sprechen und erheblich entwicklungsverzögert sind, wenn sie zur Schule gehen (müssen).
Und dass die Eltern, wenn sie darauf angesprochen werden, dass das Kind auffallend schlecht spricht, erklären, dass der Arzt gesagt habe, es sei alles in Ordnung.

GriasDi
7 Jahre zuvor

Mehr digitale Medien nutzen!!! Unbedingt!!!