Wird das Abitur verschenkt? Widerspruch gegen Kraus‘ These vom „Noten-Dumping“ – Ties Rabe (SPD): Die Schüler sind besser geworden

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BERLIN. Wird das Abitur in Deutschland – zumindest in einigen Bundesländern – verschenkt? Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hat mit seiner scharfen Kritik an einer mancherorts angeblich betriebenen Senkung des Leistungsniveaus eine breite Diskussion ausgelöst. Von Ties Rabe, Bildungssenator in Hamburg und Sprecher der SPD-geführten Kultusministerin in Deutschland, kommt jetzt energischer Widerspruch. Und auch ein renommierter Publizist der konservativen Zeitung „Die Welt“ (die selbst immer wieder Geschichten über das angeblich so leicht gewordene Abitur in Deutschland veröffentlicht), mag in das Wehklagen über den vermeintlichen Niveauverlust der Reifeprüfung nicht einstimmen.

Widerspricht Josef Kraus: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD). Foto: SPD Hamburg / flickr (CC BY-SA 2.0)
Widerspricht Josef Kraus: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD). Foto: SPD Hamburg / flickr (CC BY-SA 2.0)

Von einem „Noten-Dumping“ will Rabe, der sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk zu Wort meldete, nichts wissen. Grundsätzlich sei zwar richtig, dass die Abitur-Durchschnittsnoten in den vergangenen Jahren etwas besser geworden seien („auch übrigens gerade in Bayern“). Aber die Unterschiede seien klein, viel geringer als Kraus zu suggerieren versuche. Rabe: „Da ist der Notendurchschnitt durchschnittlich von 2,5 vielleicht auf 2,4 verbessert worden. Das ist jetzt ehrlicherweise kein Weltuntergang.“ Die eigentlich spannende Frage sei doch, ob die Schüler sich die Verbesserung nicht vielleicht auch verdient hätten – schlicht weil sie besser geworden seien. Und darauf gibt es laut Rabe eine klare Antwort: „Wer ehrlich ist, wer seriös argumentiert, der muss zumindest Folgendes einräumen: In den letzten 15 Jahren ist Deutschland, sind Deutschlands Schülerinnen und Schüler bei sämtlichen Bildungstests stetig besser geworden.“

Und immer ist die Schule schuld: Das Märchen vom sinkenden Bildungsniveau in Deutschland

PISA dokumentiere alles in allem eine deutliche Verbesserung der Leistungen von der ersten Studie im Jahr 2000 an. „Das zeigt schon, dass hier etwas in Bewegung gekommen ist und dass deshalb Schülerinnen und Schüler in Deutschland durchaus besser geworden sind“, sagt Rabe.

„Kann sein, dass wir bessere Bildung machen“

Überhaupt: „Was mich übrigens aber besonders stört an der Argumentation, ist, dass alle so tun, als ob quasi eine biologische Grenze in Deutschland existiert, nach der nicht mehr als 25 Prozent der Kinder das Abitur verdient hätten. Und wenn in einem Land mehr als 25 Prozent das Abitur schaffen, dann, so wird flugs behauptet, liege es nur daran, dass das Abitur leichter geworden ist. Ich wundere mich schon über diese sehr biologische Argumentation. Mir ist aufgefallen, bei Olympia gab es einen Medaillenspiegel, da haben kleine Länder wie England deutlich mehr Medaillen erobert als große Länder wie Brasilien. Und man fragt sich schon, haben die da auch einfach niedrigere Sprunghürden gehabt? Nein. Die Engländer haben ihre Kinder, ihre Sportler besser gefördert. Und insofern finde ich es ein bisschen absurd, aus hohen Abiturientenzahlen sofort zu folgern, dass das nur daran liegen könnte, dass man beim Abitur trickst und schummelt. Nein, es kann auch sein, dass wir bessere Bildung machen.“

Angesprochen auf die Klagen der Hochschulen, immer mehr Abiturienten von heute seien nicht studierfähig, kontert Rabe: Es gebe hierfür keinen empirischen Beleg, lediglich Meinungsäußerungen einzelner Professoren.„Aber an einer Stelle ist in der Tat eine sorgfältige Analyse nötig“, so räumt Rabe ein. „Wir stellen fest, Deutschlands Abiturienten heute haben bei bestimmten Basics, in der Rechtschreibung zum Beispiel, auch beim Kopfrechnen, überhaupt bei Rechenoperationen, Dreisatz, Bruchrechnung und viele Dinge mehr, durchaus ihre Schwächen.“

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Das liege aber auch daran, dass die Länder in den Bildungsplänen den Fokus verändert hätten und diesen Grundlagen nicht mehr die Bedeutung eingeräumt würden wie in den 60er- oder 70er-Jahren. Dafür würden heute viel stärker Fremdsprachen unterrichtet, werde Medienkunde gelehrt, Repräsentationstechniken und vieles mehr vermittelt. „Und so richtig es ist, dass vielleicht Schüler aus meiner Generation heute im Kopfrechnen oder bei der Rechtschreibung die meisten Abiturienten weit überflügeln, so richtig ist es umgekehrt, dass vermutlich aber die meisten heutigen Abiturienten uns ältere Generation in Sachen Fremdsprachen, in Sachen Englisch, in Sachen Informatik locker an die Wand lernen“, betont der Bildungssenator.

Josef Kraus beklagt „Notendumping“ mancher Bundesländer – und fordert von Bayern, deren Abitur nicht mehr anzuerkennen. GEW ist empört

Fazit des Sozialdemokraten: „Vielleicht müssen wir darüber diskutieren, die Bildungspläne wieder ein Stück weit Richtung Basics, Richtung Rechtschreibung zu rücken. Darüber kann man streiten. Aber so zu tun, als ob es das Einzige ist, und diese anderen vielen Dinge, die Schüler heute viel besser können, auszublenden, das wäre auch nicht redlich.“

„Höhere Prüfungsanforderungen“

In eine ähnliche Kerbe schlägt Alan Posener, Korrespondent der „Welt“ (und selbst ehemaliger Studiendirektor in Englisch und Deutsch). „Von wegen Billigabitur – die Schüler sind heute einfach besser“, so ist ein aktueller Beitrag von ihm betitelt. Auch aus eigener Erfahrung bestätigt er einen deutlichen Niveauanstieg: „Ich habe 1969 Abitur gemacht, als die Abiturientenquote bloß zehn Prozent betrug. Als Studiendirektor habe ich dann bis 1989 selbst Abituraufgaben in Englisch und Deutsch gestellt, als schon 33 Prozent eines Jahrgangs Abi machten und allenthalben das niedrige Niveau der Schule beklagt wurde. Aus persönlicher Anschauung kann ich bezeugen, dass die Prüfungsanforderungen 1989 erheblich höher waren als 1969“, so schreibt Posener.

Während früher die Gymnasiasten sich hautsächlich aus dem Bildungsbürgertum rekrutierten („man lernte trotz der Schule“), müsse heute die Schule leisten, was die Elternhäuser vielerorts nicht mehr böten. Und: „Die Einführung des Zentralabiturs in den Ländern hat der Willkür des einzelnen Lehrers enge Grenzen gesetzt.“ Gleichwohl sei das Niveau keineswegs gering. Posener hat sich in seinen Fächern Abituraufgaben aus Bayern und aus Berlin vorgenommen. Sein Urteil: anspruchsvoll. Und sein Fazit (bezogen auf die Bundeshauptstadt): „Die Stadt hat viele Probleme, auch und gerade im Schulbereich. Eine Inflation guter Noten, zurückzuführen auf ein Billigabitur, gehört aber nicht dazu.“ Agentur für Bildungsjournalismus

Früher war die Bildung besser? Von wegen – deutsche Schüler waren schon immer nur mittelmäßig

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Wolfgang Kuert
7 Jahre zuvor

Wolfgang Kuert erinnert

Von: pressestelle@wir-wollen-lernen.de
Gesendet: 16.10.2013 09:26
An: pressestelle@wir-wollen-lernen.de
Betreff: Hamburgs wundersame Abiturientenvermehrung… – und jetzt noch das „Rabe-Abitur-Light“ 2014 (WWL-Info-Mail Nr. 94/2013)
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WWL-Info-Mail Nr. 94/2013

Hamburg, 16. Oktober 2013 – Hamburgs wundersame Abiturientenvermehrung… – und jetzt noch das „Rabe-Abitur-Light“ 2014

Nachdem Schulsenator Ties Rabe und seine Schulbehörde bei Schriftlichen Kleinen Anfragen (Drs. 20/6199 und Drs. 20/6552) nach den zugrundeliegenden Abitur- und Test-Aufgaben zunächst mauerten, mussten sie die Aufgaben auf Nachfragen wissenschaftlicher Institute offenlegen. Das Ergebnis ist – das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden – desaströs:

Die so schön und wohlklingenden Pressemitteilungen von Schulsenator Rabe über steigende Abiturientenzahlen an Gymnasien und Stadtteilschulen wurden mit einem Mix aus einer drastischen Senkung der Anforderungen, Aufweichung der Bewertungskriterien und/oder Verlängerung der Bearbeitungszeiten und Erleichterung der Hilfsmittel erkauft.

Der erste Bericht über die wissenschaftliche Analyse des Vorgehens der Behörde bei Abitur- und KESS-Aufgaben, der am Freitag auch bereits in der FAZ zu lesen war, ist jetzt von der Gesellschaft für Bildung und Wissen veröffentlicht worden:

FAZ v. 11.10.2013: Hamburgs wundersame Abiturientenvermehrung
http://bildung-wissen.eu/fachbeitraege/hamburgs-wundersame-abiturientenvermehrung.html

Noch schlimmer wird es mit den weiteren „kompetenzorientierten“ und verfahrensmäßigen Aufweichungen, die Schulsenator Rabe mit Wirkung ab dem bevorstehenden Abitur 2014, dem „Rabe-Abitur-Light“, mit seiner Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (APO-AH) eingeführt hat (siehe dazu unten: Weiterführende Informationen).

Es steht außer Frage, dass Senator Rabe als Folge dieser Vereinfachungen auch im kommenden Sommer mit wundersamen Pressemitteilungen über phantastische „Leistungssteigerungen“ an die geneigte Öffentlichkeit wenden wird. Allein, den betroffenen Abiturienten wird das allenfalls kurzfristig bei der Studienplatzbewerbung helfen. Das, was (auch) das Hamburger Abitur belegen soll, nämlich eine „allgemeine Hochschulreife“, bleibt bei dieser politischen Beschädigung des Hamburger Schul- und Bildungssystems auf der Strecke.

Als Warnruf – allerdings mit Blick auf die „zweite Säule“, die Hamburger Stadtteilschulen – zu verstehen ist vor diesem Hintergrund auch der Beitrag von Karin Brose im Hamburger Abendblatt:

Hamburger Abendblatt v. 16.10.2013: Nicht klagen, sondern Lehrer besser ausbilden
http://mobil.abendblatt.de/meinung/article120938598/Nicht-klagen-sondern-Lehrer-besser-ausbilden.html

Herzliche Grüße,
Ihr Team „Wir wollen lernen!“

Weiterführende Informationen:

WWL-Info-Mail v. 22.5.2013: Rabe setzt Possenspiel um angebliches Zentralabitur fort – Hamburgs Schülern droht das Hamburger Rabe-Abitur
http://www.wir-wollen-lernen.de/wp-content/uploads/2012/08/20130522_Rabe_setzt_Possenspiel_um_angebliches_Zentralabitur_fort_Hamburgs_Schuelern_droht_das_Hamburger_Rabe-Abitur.pdf

WWL-Info-Mail v. 24.1.2013: Inflation des Abiturs und Kompetenzorientierung oder: ist Bildungsdiebstahl strafbar?
http://www.wir-wollen-lernen.de/wp-content/uploads/2012/08/20130124_Inflation_des_Abiturs_und_Kompetenzorientierung_oder_ist_Bildungsdiebstahl_strafbar.pdf

Wirtschafts-Woche v. 18.1.2013: Die Inflation des Abiturs
http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/bildung-die-inflation-des-abiturs/7652312.html

WWL-Info-Mail v. 19.9.2012: Hamburger Abitur: Rabe schafft externe Zweitgutachten ab
http://www.wir-wollen-lernen.de/wp-content/uploads/2012/08/20120919_Hamburger_Abitur_Rabe_schafft_externe_Zweitgutachten_ab.pdf

WWL-Info-Mail v. 17.8.2012: Neue Schulreform für Hamburg: Abschied von Wissen, Bildung und Leistung
http://www.wir-wollen-lernen.de/wp-content/uploads/2012/08/20120817_Neue_Schulreform_fuer_Hamburg_Abschied_von_Wissen_Bildung_und_Leistung.pdf

Ausbildungs- und Prüfungsordnung zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (APO-AH) zuletzt geändert am 19. Juli 2012 (HmbGVBl. S. 370)
http://www.hamburg.de/contentblob/1332736/data/bsb-apo-ah-18-03-2009.pdf

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xxx
7 Jahre zuvor

In NRW wurde der Lehrplan Mathematik auch im Leistungskurs alles entfernt, was auch nur ansatzweise in Richtung Abstraktionsniveau oder gar Beweis geht und durch grafikfähige Taschenrechner ersetzt. In den Fremdsprachen wurden zweisprachige Wörterbücher zugelassen. Neuntklässler würden eine Abiturklausur in Biologie (nicht gut, aber trotzdem) bestehen. Wie das mit einem gleichbleibenden Niveau vereinbar ist, möge mir jemand anders erklären. Ich kann es nicht.

Eine kleine Modellrechnung, wahrscheinlich grob falsch aber tendenziell dennoch zutreffend:

Wenn 25% eines Jahrgangs Abitur macht mit dem Schnitt von 2,6 und 30 Jahre später 50% mit dem Schnitt 2,5, dann haben die beste Hälfte davon, die 25% von vor 30 Jahren, einen Schnitt, der deutlich besser ist als 2,5. Diesen deutlich besseren Schnitt würden folglich die Schüler von vor 30 Jahren erreichen können. Das kann man in Kombination mit dem entschlackten Lehrplan mit einem zwar nach wie vor nicht geschenkten, aber trotzdem einfacheren Abitur erklären. Dazu kommt noch das Teaching to the Test, was beim Zentralabitur durchgehend passiert, weil sich viele Abituraufgaben früher oder später wiederholen.

Küstenfuchs
7 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

In Schleswig-Holstein wurde in Englisch die Sperrklausel gestrichen (Rechtschreibung 6 -> Arbeit nicht besser als 5+ / Rechtschreibung 5 -> Arbeit nicht besser als 4+), die Rechtschreibung wird zur Nebensache. Auch in Deutsch geht die Rechtschreibung nun weniger gewichtet in die Note ein.

Alle messbaren Größen wurden also ausgeschaltet und so gehen auch die Noten nach oben.

Die von xxx genannten Punkte im Fach Mathematik treffen deutschlandweit zu.

Entweder hat Rabe sich das Leistungsniveau schön gesoffen oder er lügt bewusst.

Übrigens: Ich habe vor einigen Jahren meine Marthematikabiturarbeit vor der Schulleiterin meiner ehemaligen Schule aufgenötigt bekommen, weil diese alte Arbeiten auch nach 25 Jahren noch nicht wegschmeißen will. Diese Aufgaben kann heute nahezu kein Schüler mehr lösen. Zu Herrn Posener: Die Anforderungen von 1989 im Fach Mathematik kann heute kaum ein Schüler erfüllen. Auch der lügt sich in die Tasche.