Altbundespräsident Herzog ist tot – was die wenigsten noch wissen: Ihm lag die Bildung sehr am Herzen. Und er war der Initiator von G8

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BERLIN. Trauer um Roman Herzog: Der frühere Bundespräsident und ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist tot. Er starb im Alter von 82 Jahren, wie das Bundespräsidialamt in Berlin bestätigte. Herzog stand von 1994 bis 1999 an der Spitze der Bundesrepublik. Vorher war der Jurist Präsident des Bundesverfassungsgerichts – und er war Kultusminister, nämlich von 1978 bis 1980 in Baden-Württemberg. Woran sich die wenigsten erinnern dürften (und vielleicht auch nicht mehr erinnern wollen): Herzog ist ein wichtiger Anstoßgeber für die Schulzeitverkürzung am Gymnasium, das G8. In seiner berühmten „Ruck“-Rede äußerte der Bundespräsident sein Unverständnis für die lange Schul- und Studienzeit. Er sprach dabei von „gestohlener Lebenszeit“.

Mit diesem Plakat trat Roman Herzog 1975 zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz an. Repro: Konrad-Adenauer-Stiftung / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 DE)
Mit diesem Plakat trat Roman Herzog 1975 zur Landtagswahl in Rheinland-Pfalz an. Repro: Konrad-Adenauer-Stiftung / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0 DE)

Tatsächlich lag Herzog als Politiker die Bildung besonders am Herzen. Wie die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Biographie Herzogs berichtet, habe der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, den „politischen Professor“ und Staatssekretär aus dem Nachbarland Rheinland-Pfalz entdeckt und ihn 1978 als Minister für Kultus und nach Stuttgart geholt. Nette Anekdote: Der Kultusminister Herzog schrieb anonym an einem Stuttgarter Gymnasium 1980 die lateinische Abiturarbeit aus Seneca mit – und zwar mit Bravour. Er habe damit für die alten Sprachen werben wollen, hieß es.

Daraus allerdings zu schließen, dass Herzog reformunwillig in Sachen Bildungspolitik gewesen sei, wäre falsch – im Gegenteil. Besonders anschaulich macht das seine berühmte „Berliner Rede“, die er  vor fast genau 20 Jahren (am 26. April 1997) im damals neuen Hotel Adlon hielt. Darin forderte er, es müsse ein „Ruck“ durch Deutschland gehen – eben auch durch das Bildungssystem. Tatsächlich sind große Teile der Rede Herzogs noch heute aktuell, auch wenn sie seinerzeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage für Deutschland gehalten wurde.

„Ich komme gerade aus Asien zurück. In vielen Ländern dort herrscht eine unglaubliche Dynamik. Staaten, die noch vor kurzem als Entwicklungsländer galten, werden sich innerhalb einer einzigen Generation in den Kreis der führenden Industriestaaten des 21. Jahrhunderts katapultieren. Kühne Zukunftsvisionen werden dort entworfen und umgesetzt, und sie beflügeln die Menschen zu immer neuen Leistungen. Was sehe ich dagegen in Deutschland? Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft“, so erklärte er.

„Es geht um nichts Geringeres als um eine neue industrielle Revolution, um die Entwicklung zu einer neuen, globalen Gesellschaft des Informationszeitalters“, sagte Herzog. „Eine von Ängsten erfüllte Gesellschaft wird unfähig zu Reformen und damit zur Gestaltung der Zukunft. Angst lähmt den Erfindergeist, den Mut zur Selbständigkeit, die Hoffnung, mit den Problemen fertigzuwerden.“ Wer die notwendigen großen Reformen verschiebe oder verhindern wolle, müsse wissen, dass Deutschland dafür einen hohen Preis zahlen werde.

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Und dazu gehöre auch ein reformiertes Bildungssystem. „Bildung muss das Megathema unserer Gesellschaft werden. Wir brauchen einen neuen Aufbruch in der Bildungspolitik, um in der kommenden Wissensgesellschaft bestehen zu können“, erklärte Herzog.

Der Bundespräsident: „Ich erwarte eine Informations- und Wissensgesellschaft. Das ist die Vision einer Gesellschaft, die jedem die Chance einräumt, an der Wissensrevolution unserer Zeit teilzuhaben. Das heißt: bereit zum lebenslangen Lernen zu sein, den Willen zu haben, im weltweiten Wettbewerb um Wissen in der ersten Liga mitzuspielen.“  Es gehe in Zukunft noch weniger als bisher nur um die Vermittlung von Wissen. Mit dem Tempo der Informationsexplosion könne der Einzelne sowieso nicht mehr Schritt halten. Herzog: „Also müssen wir die Menschen lehren, mit diesem Wissen umzugehen. Wissen vermehrt sich immer schneller, zugleich veraltet es in noch nie dagewesenem Tempo. Wir kommen gar nicht darum herum, lebenslang zu lernen.“

Welche Bildungsreformen waren aus Sicht von Herzog notwendig? „Das ist nicht primär eine Frage des Geldes. Zuerst brauchen wir weniger Selbstgefälligkeit: Wie kommt es, dass die leistungsfähigsten Nationen in der Welt es schaffen, ihre Kinder die Schulen mit 17 und die Hochschulen mit 24 abschließen zu lassen? Es sind – wohlgemerkt – gerade diese Länder, die auf dem Weltmarkt der Bildung am attraktivsten sind. Warum soll nicht auch in Deutschland ein Abitur in zwölf Jahren zu machen sein? Für mich persönlich sind die Jahre, die unseren jungen Leuten bisher verloren gehen, gestohlene Lebenszeit.“

Zehn Jahre später war in Deutschland fast flächendeckend das G8 eingeführt worden. 20 Jahre später wird G8 fast überall wieder rückgängig gemacht. Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht’s zur kompletten „Ruck-Rede“ von Roman Herzog.

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2 Kommentare
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Frank
7 Jahre zuvor

Aber wo ist der Ruck geblieben.. die ganzen Klatscher haben sich nicht einen Millimeter aus ihrer selbstherrlichen Dekadenz bewegt.

Bernhard Färber
7 Jahre zuvor

Die Erkenntnis, dass Bildung ein „Megathema“ werden müsse, war wegweisend und richtig.
Falsch war die Schlussfolgerung, Schule zu beschleunigen, zu verdichten, in den Dienst der Wirstchaft zu stellen und Bildungszeiten zu verkürzen.
Da ist Roman Herzog dem neoliberalen Zeitgeist erlegen. Als Kultusminister hat er beim CDU-Parteitag 1980, 17 Jahre vor seiner Ruckrede als Bundespräsident, zusammen mit allen anderen Unionsschulministern noch gegen die Forderung nach kürzeren Schulzeiten gestimmt (und ist übrigens unterlegen).
Heute stehen die asiatischen Länder wie beispielsweise Japan, deren wirtschaftliche Dynamik Herzog so faszinierte, deutlich schlechter da als Deutschland.
Aber lasst uns einem insgesamt zweifellos bedeutenden Bundespräsidenten das böse Wort von der Bildungszeit als „gestohlener Lebenszeit“ nicht auch noch nach seinem Tode nachtragen. Es ist tröstlich, dass Fehlentscheidungen in einer Demokratie auch wieder korrigiert werden können, wenn auch manchmal erst 20 Jahre später.