Bestseller wider Willen: Die kommentierte „Mein Kampf“-Edition wurde in einem Jahr 85.000 mal verkauft – Materialien für den Geschichtsunterricht in Arbeit

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MÜNCHEN. Vor einem Jahr liefen die Urheberrechte an Adolf Hitlers «Mein Kampf» aus. Eine kritische, wissenschaftliche Ausgabe kam heraus und machte weltweit Schlagzeilen. Ein Jahr danach ist das Buch ein Bestseller. Doch es gibt noch offene Fragen.

Exemplar des Hitler-Machwerks in der Ausstellung im Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, Nürnberg. Foto: Adam Jones, Ph.D./Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Exemplar des Hitler-Machwerks in der Ausstellung im Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, Nürnberg. Foto: Adam Jones, Ph.D./Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Vor der «Büchse der Pandora» warnte die Vorsitzende der Israelitschen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, kurz vor der Veröffentlichung einer kommentierten Ausgabe von Adolfs Hitlers Hetzschrift «Mein Kampf». Ein Jahr danach ist die kritische Edition des Institutes für Zeitgeschichte ein Bestseller. 85 000 Exemplare wurden nach IfZ-Angaben verkauft, Ende Januar erscheint die sechste Auflage des Buches, das Hitlers Machwerk mit einordnenden, wissenschaftlichen Kommentaren versieht.

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Im April 2016 schaffte es das Buch auf Platz eins der Spiegel-Bestsellerliste – und das, obwohl ein Bestseller von Seiten der Wissenschaftler nie geplant war. «Diese Verkaufszahlen haben uns überrollt», sagt Institutsdirektor Andreas Wirsching im Interview. An 70 Veranstaltungen zum Thema haben Mitarbeiter des Institutes teilgenommen – auch im Ausland von Amsterdam über Moskau und Toronto bis Zürich.

Vor rund zwei Monaten bekamen Projektleiter Christian Hartmann und sein Team den mit 50.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis «Gesellschaft braucht Wissenschaft». «Der Historiker Christian Hartmann und sein Team schließen mit der historisch-kritischen Edition von „Mein Kampf“ eine große Lücke in der Forschung über den Nationalsozialismus in Deutschland», hieß es in der Begründung. «Die Publikation zeigt Hitlers Falschaussagen und Verdrehungen auf, korrigiert sachliche Fehler und erläutert den zeitgenössischen Kontext.»

Das Institut selbst fasst zusammen: «Es gab keine Strafanzeigen gegen die kritische Edition des IfZ, keine Propaganda-Aktionen von rechter Seite und auch keine durchschlagenden Kampagnen rechtsgesinnter Verlage, unmittelbar nach Ablauf des Urheberrechts „Mein Kampf“ auf den Markt zu bringen.»

Eine unrühmliche Ausnahme bildet nur der rechte Verlag «Der Schelm», der im vergangenen Jahr ankündigte, Hitlers Originaltext ungekürzt und «ohne lästige Kommentare von Gutmenschen» nachdrucken zu wollen und der das Buch als «wissenschaftlichen Quellentext» auf seiner Homepage bewirbt. Er rief damit die Staatsanwaltschaft Leipzig auf den Plan. Die Ermittlungen wegen des Tatvorwurfs der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen seien noch nicht abgeschlossen, sagte ein Sprecher der Behörde. Bislang gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass der beworbene unveränderte Nachdruck auch tatsächlich verkauft worden sei.

Eine Buchhändlerin aus Forchheim, die den Schelm-Nachdruck von «Mein Kampf» ebenfalls im Internet beworben hatte und bei der die Ermittler unter anderem Bestelllisten fanden, wurde im vergangenen Jahr zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt. Seit 23. Dezember ist das Urteil nach Angaben der Bamberger Staatsanwaltschaft rechtskräftig.

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Das Ziel, diesem und ähnlichen Vorhaben den Wind aus den Segeln zu nehmen, sieht Wirsching mit der seriösen, wissenschaftlich kommentierten Ausgabe dennoch erreicht. «Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen Text vagabundieren zu lassen.» Die Käufer der Ausgabe, so sagt das IfZ, «sind keine Ewiggestrigen oder gar Rechtsradikale», sondern seien vielmehr politik- und geschichtsinteressierte Leser. Viele Lehrer seien darunter.

Inzwischen ist auch der Einsatz von «Mein Kampf» als Quelle im Geschichtsunterricht ein heiß diskutiertes Thema geworden. Die bayerische Landeszentrale für politische Bildung arbeitet derzeit an einer Handreichung, wie Auszüge aus «Mein Kampf» auch im Geschichtsunterricht genutzt werden können. Vor der Veröffentlichung soll der Landtag informiert werden. Einen konkreten Termin gibt es noch nicht. Ein Sprecher des Kultusministeriums sagte: «Es geht darum, sensibel mit einer schwierigen und historisch sehr belasteten Quelle umzugehen.»

Institutsdirektor Wirsching reagiert bei der Idee eher verhalten. «Ich habe da persönlich ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu dieser Frage», sagt er. «Es wäre absurd, in die Diskussion der 50er Jahre zurückzufallen und zu sagen: Hitler war’s. Ich warne da vor einer zu starken Hitler-Zentrierung in der öffentlichen Diskussion und vor allem im Geschichtsunterricht.» Von Britta Schultejans, dpa

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