Experte Endres rät Lehrkräften bei Unterrichtsstörungen: „Sich selbst zu einer anderen Gelassenheit lenken“

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STUTTGART. Viele Lehrerinnen und Lehrer betrachten eine hohe psychische Belastung als größte Herausforderung ihres Berufs. Unterstützung wünschen sie sich insbesondere bei schwierigen Schülern. Wolfgang Endres ist Referent in der Lehrerfortbildung und hilft Lehrkräften seit mehr als 30 Jahren, mit Störungen im Unterricht umzugehen. Er spricht auf der „didacta“ in Stuttgart – und vorab im Interview auf News4teachers.

Hier geht’s zum „Teacher’s Guide“ von News4teachers zur „didacta“.

"Eine Störung ist nicht als destruktives Verhalten der Lehrkraft gegenüber zu verstehen": Lehrerfortbildner Wolfgang Endres. Foto: didacta
„Eine Störung ist nicht als destruktives Verhalten der Lehrkraft gegenüber zu verstehen“: Lehrerfortbildner Wolfgang Endres. Foto: didacta

Herr Endres, was raten Sie Lehrkräften, die im Unterricht mit Störungen durch Schüler konfrontiert werden?

Endres: Eine Störung ist erstmal eine ungeeignete Art der Beteiligung. Aber sie signalisiert mir als Lehrkraft, dass der Schüler grundsätzlich mitmachen will. Er kann es nur in der gewünschten Form nicht. Eine besondere Möglichkeit, die oft kleine Wunder wirkt, bietet der sogenannte „Priming-Effekt“. Das heißt, den Schüler bereits vorbeugend auf ein kooperatives Verhalten einzustimmen. Ich könnte als Lehrer vor der Unterrichtsstunde einen bestimmten Schüler in einem lockeren Einzelgespräch fragen: „Meinst du, dass du die Stunde nachher durchhältst, ohne zu stören?“ Ich könnte ein Geheimzeichen mit ihm vereinbaren, mit dem ich ihn an unsere „Abmachung“ erinnere – ohne, dass die anderen Schüler es mitbekommen.

Haben Störungen etwas mit dem Lehrer-Schüler-Verhältnis zu tun?

Endres: Eine Störung ist nicht als destruktives Verhalten der Lehrkraft gegenüber zu verstehen, sondern als Signal, dass der Schüler Zuwendung und Aufmerksamkeit möchte. Nur ist es in einer Unterrichtssituation oft schwierig, das so zu deuten. Die Lehrkraft muss wie ein Goldgräber nach den Stärken suchen, die in dem Schüler stecken und die ihm oft selbst nicht bewusst sind. Allein die Tatsache, dass ich als Lehrkraft diese Haltung einnehme, verändert meine Sichtweise auf den Schüler. Ich versuche ihn sozusagen mit einem frischen und fremden Blick wahrzunehmen. Damit lenke ich mich selbst zu einer anderen Gelassenheit hin. Das kann geübt werden, beispielsweise in einem sogenannten Resilienztraining. Resilienz bedeutet psychische Widerstandsfähigkeit. In dem Training sollen Lehrer darin gestärkt werden, mit den Herausforderungen zurecht zu kommen, die der Unterricht an sie stellt. Dabei sollte man zunächst einmal mit kleinen Übungen erste Erfahrungen sammeln, statt sich auf Anhieb zu viel versprechen zu lassen. Das Angebot von Resilienztrainings ist sehr groß. Ich würde mich daher im Freundes- und Bekanntenkreis oder im Kollegium umhören und Erfahrungsberichte sammeln.

Mit wem sollten Lehrkräfte bei Problemen mit Schülern zusammenarbeiten?

Endres: Schüler, um die es geht, sollten an der Lösung aktiv beteiligt werden. Nicht nur ich als Lehrkraft bin der Problemlöser. Auch ein Arzt kann als Therapeut nur dann erfolgreich sein, wenn der Patient mitwirkt, um eine Lösung zu finden. Die Zusammenarbeit mit dem Schüler kann so aussehen, dass ich ihm beispielsweise einen Auftrag mit einer gewissen Verantwortung erteile. Er spürt dann, dass jemand Vertrauen in ihn setzt. Häufig sind gerade schwierige Schüler sehr dankbar, wenn jemand anders auf sie reagiert, als sie es von ihrer Familie und ihren Mitmenschen gewohnt sind. Viele Lehrkräfte tauschen sich außerdem zu selten mit anderen Kollegen aus. Man könnte sich zum Beispiel wechselseitig beraten oder die Gelegenheit für Team-Teaching nutzen. Eltern gehen oft davon aus, dass Lehrer die Probleme in der Schule regeln. Sie haben ihre eigenen Probleme mit den Kindern und sehen häufig nicht, dass Lehrkräfte auch Unterstützung von Elternseite brauchen. In so einem Fall sollte man gemeinsam mit der Schule überlegen, wie die Elternarbeit gestärkt und gefördert werden kann.

Welche Ursachen kann das schwierige Verhalten eines Schülers haben?

Endres: Oft ist es Überforderung. Ein Kind kommt mit dem Angebot nicht zurecht und hat Verständnisschwierigkeiten. Durch die Störung lenkt es von seinem Unvermögen ab. Ein Schüler der stört, erweckt ja häufig den Eindruck, dass er sich über diese Szene erhebt. Er erhebt sich gegenüber denen, die sich brav und ordentlich einer Aufgabe widmen. Eigentlich würde er aber gerne mitmachen, wenn er es könnte.

Würden Sie sagen, dass die Zahl schwieriger Schüler gestiegen ist?

Endres: Sie ist in der Wahrnehmung gestiegen, auch, weil sich eine andere Lernkultur erkennbar macht. Wenn sich Menschen mehr mit dem Smartphone beschäftigen als mit mir, dann stört das. Diese stillen Störungen haben sicherlich zugenommen. Aber in der Gewaltforschung sieht man, dass die Zahl der schwierigen Schüler nicht statistisch gestiegen ist, sondern gefühlt. Diese Wahrnehmung hängt auch mit der sogenannten „Hasssprache“ zusammen, die Einzug in unsere Umgangssprache gehalten hat. Wir erleben gesellschaftlich auf verschiedenen Ebenen, wie es zur Norm geworden ist, sich zu beschimpfen. Je mehr etwas zur Normalität wird, umso weniger empfinden wir, dass hier etwas im Argen liegt. Mit dem Ignorieren der Signale öffnet man dieser Entwicklung ein Stück weit das Tor. Das fängt in der Grundschule an. Wenn ich nicht darauf reagiere und ein klares Stopp signalisiere, setzt sich das permanent fort. Dann kann man im Kaufhaus beobachten, wie diese Kinder auf diese Weise auch mit ihren Eltern kommunizieren. Es gibt schlimme Begriffe, die sich auf manchen Schulhöfen so verselbstständigt haben, dass Lehrer nicht mehr einschreiten.

Auf der didacta 2017 in Stuttgart spricht Wolfgang Endres über Chancen und Risiken des Resilienztrainings, das Lehrkräften helfen soll, Stress mit psychischer Widerstandsfähigkeit zu begegnen.

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Schule/Hochschule
Forum Unterrichtspraxis
Resilienztraining für Lehrerinnen und Lehrer – eine Kraftquelle oder eine neue Strapaze?
Wolfgang Endres, Studienhaus St. Blasien, Referent in der Lehrerfortbildung, Programmleiter der BeltzForum-Bildungskongresse
17. Februar 2017
12:00 – 13:00 Uhr
Halle 1, Stand 1E72
Veranstalter: Verband Bildungsmedien e. V.

Ähnliche Veranstaltungen auf der „didacta“:

Forum Unterrichtspraxis
Persönliche Krisen im Lehrerberuf: erkennen, überwinden, vorbeugen
Dr. Birgit Nieskens, Autorin, Lehrerbildnerin und Projektverantwortliche zur Lehrergesundheit und Laufbahnberatung im Lehrerberuf, Leuphana Universität Lüneburg
15. Februar 2017
13:00 – 14:00 Uhr
Halle 1, Stand E72
Veranstalter: Verband Bildungsmedien e. V.

Forum Bildung
Podium: Hate Speech auf dem Schulhof: Wer schützt Schüler und Lehrer?
Darüber diskutieren:
Prof. Dr. med. Joachim Bauer, Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut
Gerhard Brand, Vorsitzender VBE Baden-Württemberg
Joachim Straub, Vorsitzender Landesschülerbeirat Baden-Württemberg
Corinna Ehlert, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg
16. Februar 2017
15:00 – 16:15 Uhr
Halle 1, Stand 1H71
Veranstalter: Verband Bildungsmedien e. V.

Forum Bildung
Lehrer/-in: Noch immer ein Traumberuf?
Darüber diskutieren:
Prof. Dr. Ewald Kiel, Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Psychologie und Pädagogik
Robert Rauh, Autor, Herausgeber, Moderator und Lehrer
Jürgen Striby, Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Referatsleiter in der Abteilung Schulorganisation, Lehrerbildung
Marlis Tepe, Vorsitzende der GEW
15. Februar 2017
15:00 – 16:15 Uhr
Halle 1, Stand 1H71
Veranstalter: Verband Bildungsmedien e. V.

Berufliche Bildung/Qualifizierung
Forum Berufliche Bildung
Lebenswelten von Jugendlichen verstehen
Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Hertie School of Governance
15. Februar 2017
15:30 – 16:30 Uhr
Halle 6, Stand D32
Veranstalter: Didacta Verband der Bildungswirtschaft / Verband Bildungsmedien e. V.

Forum Frühe Bildung
Worauf es ankommt – Kompetenzen von Kindern sehen, verstehen und ko-konstruktiv stärken
Prof. Dr. Wassilios E. Fthenakis
16. Februar 2017
10:30 – 12:00 Uhr
Internationales Congresscenter (ICS), Raum C4
Veranstalter: Didacta Verband der Bildungswirtschaft

Weitere Informationen zu den Veranstaltungen der didacta finden Sie unter www.didacta-stuttgart.de/programm.

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sofawolf
7 Jahre zuvor

Ich vermute, der Herr hat nie als Lehrer gearbeitet. Solchen „Bildungsexperten“ und ihren Ratschlägen haben wir die teilweise katastrophalen Zustände an Schulen zu verdanken. 🙁