Wenn sieben Schüler und die Lehrerin da sind, ist die Schule komplett: Zwergschulen – die letzten Unterrichtsparadise oder pädagogischer Unsinn?

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KLOTTEN. Ist die Zwergschule ein Riesenproblem – oder eine Riesenchance? In Rheinland-Pfalz ist die Diskussion um die Zukunft von kleinen Dorfschulen neu aufgeflammt, und nicht nur dort wird hitzig diskutiert. Für die einen sind Zwergschulen in Refugium, in dem Kinder noch in einem sehr überschaubaren Sozialraum aufwachsen können. Für die anderen sind die Kleinstschulen vor allem ein übergroßer Kostenfaktor. Doch auch pädagogische Gründe sprechen dagegen, allzu kleine Einheiten zu erhalten.

Morgens kurz vor acht in Klotten. Gut gelaunt trudeln die Kinder in der Grundschule ein. Sie setzen sich im Klassenzimmer von Lehrerin Lilli Maul in die Bänke: Als sieben Schüler da sind, ist die Schule komplett. «Guten Morgen, Frau Maul», sagen sie im Chor – und an der kleinsten Schule in Rheinland-Pfalz beginnt ein besonderer Unterricht: Hier lernen Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse gemeinsam. Während die beiden Erstklässler an ihrem Wochenplan mit Aufgaben still vor sich hin arbeiten, erklärt die Lehrerin den drei Viertklässlern, wie das Multiplizieren mit zwei zweistelligen Zahlen geht. Die beiden Drittklässler hören neugierig zu und üben dann das schriftliche Addieren von mehrstelligen Zahlen.

«Der Unterricht ist ganz anders als an anderen Grundschulen», sagt Klassenlehrerin Maul (28). Die Kinder müssten sehr viel selbstständig arbeiten, wenn sie den Schülern der jeweils anderen Stufen neue Inhalte erkläre. «Die Kinder machen das prima, sie sind es ja nicht anders gewohnt», sagt die Hunsrückerin. «Ich komme gerne hier her», sagt Amelie zustimmend, die neben der Schule wohnt. Doch der Unterricht stößt an Grenzen: «Wir können keine Gruppenarbeiten machen», sagt Maul. Unterrichtsgespräche seien nicht möglich, im Sportunterricht sei man bei Spielen eingeschränkt. Auch das soziale Miteinander ist anders. «In der Pause müssen alle zusammen spielen.» Die Auswahl an Freunden sei nicht allzu groß.

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«Die Kinder können sich auch nicht mit Gleichaltrigen messen», sagt Lehrerin Marion Röser, die Maul zwei Mal die Woche ein paar Stunden in den Hauptfächern unterstützt. Röser (35) hat den Vergleich, sie unterrichtet auch an der nahe gelegenen Grundschule in Cochem mit rund 150 Kindern. «Das sind hier zu wenige Kinder für eine Schule, das ist eher eine Nachhilfesituation als Unterricht.»

Das meint auch Schulleiterin Carmen Donhauser, die seit fünf Jahren der Grundschule Cochem und Klotten vorsteht. «Es werden in Klotten jedes Jahr weniger Kinder, im nächsten sollen es nach derzeitiger Planung noch vier sein», sagt sie. Hauptgrund: Viele Eltern schickten ihre Kinder nach Cochem, weil da eine Ganztagsschule sei – und sie aus beruflichen Gründen dieses Angebot bräuchten. «Ich sehe daher keine Chance für eine Zukunft der Schule in Klotten.»

«Wir wollen den Standort Klotten auf jeden Fall erhalten, aber ich sehe auch das Problem», sagt Ortsbürgermeister Dieter Lürtzener, dessen Gemeinde Träger der Einrichtung ist. Er habe dem Ministerium eine «Pilot-Lösung» vorgeschlagen: Die Kinder sollten morgens in die Schule Klotten gehen und mittags zum Nachmittagsunterricht nach Cochem gefahren werden. «Wenn das hier funktioniert, könnte das Modell sein für andere Schulen im Land.»

Donhauser erhofft sich nun «Klarheit»: Von den «Leitlinien für ein wohnortnahes Grundschulangebot», die das Bildungsministerium am (morgigen) Dienstag (31. Januar) im Landtag vorstellt. Darin sollen die im Schulgesetz ermöglichten Ausnahmen vom Grundsatz präzisiert werden, dass es in jeder Grundschule für jede der vier Klassenstufen auch mindestens eine Klasse geben muss. Von 964 Grundschulen im Land haben derzeit 49 Grundschulen nur eine oder zwei Klassen.

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Dazu gehört auch die Grundschule in Trittenheim mit derzeit 29 Schülern. Anders als in Klotten sind hier Lehrer, Eltern und Schüler hochzufrieden. Es gibt zwei sogenannte Kombiklassen – eine mit Kindern der 1. und 2. Klassen und eine mit Kindern der 3. und 4. Klassen. «Dieses jahrgangsübergreifende Arbeiten ist für alle Kinder sehr bereichernd», sagt Schulleiterin Silke von Juterzenka. Die Kleineren einer Lerngruppe profitierten von den Größeren: «Sie werden angespornt und gefördert.» Stärkere könnten Schwächeren helfen – und: «Jede Schülergruppe gehört mal zu den Jüngeren, mal zu den Älteren», sagt sie. In Trittenheim (Kreis Trier-Saarburg) gebe es keine Kinder, die an Ganztagsschulen der Umgebung abwanderten.

«Es gibt viel Unterstützung für uns.» Die Schule sei im Ort fest verankert und kooperiere mit etlichen Vereinen. «Das ist ein Geben und Nehmen hier.» Im letzten Jahr sei mit viel Eltern-Engagement an der Schule eine Bücherei aufgebaut worden, als nächstes solle der Schulhof umgestaltet werden. Angst vor den angekündigten Leitlinien habe sie nicht, sagte von Juterzenka. «Ich denke, wir sind hier hervorragend aufgestellt. Bei uns ist die kleine Schule ein Vorteil, kein Nachteil.» Von Birgit Reichert, dpa 

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Ganz klar: die letzten Unterrichtsparadiese. 🙂