Deutscher Schulleiterkongress: Prof. Nida-Rümelin fordert endlich eine Leitidee für unsere Bildung

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DÜSSELDORF. Mal dreht sich die aktuelle Debatte um die Verkürzung der Gymnasialzeit, dann ist es wieder die Inklusion, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Doch es seien nicht einzelne oder verfehlte Reformen, die das deutsche Bildungssystem in eine Sackgasse geführt hätten, meint der renommierte Philosoph Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a. D.. Die Krise gehe viel tiefer: Es fehlt eine kulturelle Leitidee. Er selbst plädiert für eine „Erneuerung des Humanismus“. Denn wer über Bildung sprechen wolle, müsse über sein Menschenbild nachdenken. Nida-Rümelin wird seine Thesen auf dem Deutschen Schulleiterkongress vorstellen.

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin hat den Begriff des "Akademisierungswahns" in die Debatte geworfen. Foto: Perikles / wikimedia commons (CC BY 3.0)
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin hat den Begriff des „Akademisierungswahns“ in die Debatte geworfen. Foto: Perikles / wikimedia commons (CC BY 3.0)

Es ist ein Zukunftsthema: die Frage, wohin es mit dem Bildungssystem gehen soll. Was müssen Schüler lernen? Wie schaffen es Lehrer, den vielen neuen Herausforderungen zu begegnen? Um diese Fragen zu beantworten, schaut der Philosoph Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin erst einmal in die Vergangenheit, zu der Idee einer humanistischen Bildung. „Nicht alles ist überholt, nur, weil es schon früher erfolgreich war“, so der Autor zahlreicher Bücher zu politischen und zeitgenössischen Themen. In seinem neuesten Buch „Philosophie einer humanen Bildung“ heißt es: „Deutschland, aber auch andere westliche Länder, versuchen seit vielen Jahren, ihr Bildungssystem zu reformieren. Das Ergebnis ist bislang enttäuschend.“ Und an dieser Stelle setzt sein Buch an. „Es geht mir nicht um Strukturfragen oder gar um politische Positionsgewinne, sondern um die fehlende kulturelle Leitidee von Bildungspolitik und Bildungspraxis“, schreibt Nida-Rümelin.

Ganzheitliche Bildung

Vorab zum Deutschen Schulleiterkongress konkretisiert Nida-Rümelin das Ziel seiner philosophischen Überlegungen: „Mir geht es um zweierlei: darum, sich klar zu machen, was eigentlich der Inhalt und das Ziel von Bildung ist, und zum zweiten darum, die Vielfalt der Bildungsinhalte und -formen, akademischen wie berufliche und viele Mischformen, zu erhalten und auszubauen und von der Botschaft wegzukommen, die Zukunft gehöre ausschließlich den Akademikern.“ Denn es sei ein Trugschluss zu glauben, humanistischer Bildung würde die Nähe zur Praxis fehlen, wie häufig kritisiert wird. „Das ist gerade eine der Fehleinschätzungen zu humanistischer Bildung, die ich richtigstelle“, so der Münchener Philosoph. Vielmehr gehe es um eine ganzheitliche Bildung, die Kinder auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben begleite.

Nida-Rümelin selbst entwirft eine Idee von Bildung, die den Charakter und die Persönlichkeitsbildung in den Mittelpunkt stellt. Der Mensch müsse als Ganzes gesehen werden – als kognitives, aber auch als ästhetisches, emotionales und ethisches Wesen. „Ich kritisiere ja an der gegenwärtigen Situation, dass unsere allgemeinbildenden Schulen das Handwerklich-Technische, das Künstlerisch-Gestaltende, auch das Soziale und Ethische nur am Rande berücksichtigen“, sagt der Philosoph, „wir haben eine kognitive Schlagseite“. Das führe leider zur Abwertung praktischer Berufe. Darüber hinaus kritisiert er das Ausrichten der Lernziele an der Wirtschaft. Diese „Instrumentalisierung“ von Bildung hält Nida-Rümelin für gefährlich und „unmenschlich“.

„Wichtiger sind die Inhalte und die Formen der Bildungsvermittlung, die Bereitschaft der Gesellschaf, der Bildung als ganze Bildung höchste Priorität einzuräumen, den Lehrerberuf aufzuwerten, den Akteuren im Bildungswesen Vertrauen entgegenzubringen, mehr Vielfalt, Offenheit, Selbstverantwortung, weniger Normierung und Gängelung“, sagte Nida-Rümelin im Interview. Kurz: Bildung als humane Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen. N4t

Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin wird seine These am 25. März 2017 von 9 bis 10.15 Uhr auf dem Deutschen Schulleiterkongress vorstellen. Der Deutsche Schulleiterkongress (DSLK) ist mit rund 2.000 Teilnehmern und 120 Referenten die größte Veranstaltung seiner Art in Deutschland. Er findet vom 23. bis 25. März 2017 zum mittlerweile sechsten Mal in Düsseldorf statt. Die KMK hat wieder die Schirmherrschaft für den DSLK übernommen.

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Marko
7 Jahre zuvor

„Das führe leider zur Abwertung praktischer Berufe“ Könnte das etwa daran liegen, dass ich als einfacher Handwerker zusehen muss wie ich klar komme und nur hoffen kann, am Ende des Tages mehr Kohle als ein Arbeitsloser zur Verfügung zu haben? Ganz zu reden von den Problemen die warten wenn man in Rente gehen will und gerade mal Grundsicherung bekommt? Könnte das etwas mit der Abwertung des Handwerks zu tun haben? Wer weiß wer weiß…

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  Marko

für mehr als grundsicherung im alter braucht man mindestens 2000€ brutto monatlich. den mittelstand definiert die politik ab 1800€ brutto …

xxx
7 Jahre zuvor

die kognitive schlagseite gibt es in der tat, aber anders als der professor meint. durch die kompetenzorientierung sind kognitive fähigkeiten kaum noch notwendig. gesunder menschenverstand und sehr gutes leseverständnis reichen vollkommen aus.

Cavalieri
5 Jahre zuvor

Nida-Rümelin ist erstaunlich vielseitig. Hier räsonniert er über Asyl, Migration und den Brexit:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/julian-nida-ruemelin-im-gespraech-14932529.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0
Zum Brexit: „Das Hauptmotiv des Brexit war die Botschaft „Take control over again“, die knapp erfolgreich war. Dieses Motiv ist nachvollziehbar, auch wenn ich den Brexit aus britischer und europäischer Sicht für falsch halte. Aber das Bedürfnis der Menschen, ihre Lebensbedingungen politisch gestalten zu können und sie nicht in Gestalt einer Standortkonkurrenz auferlegt zu bekommen, ist nachvollziehbar. Auch Deutschland muss sich fragen, ob es einen Beitrag zum Brexit geleistet hat, als Politiker sagten, dass Grenzen sich im 21. Jahrhundert ohnehin nicht mehr sichern lassen. Das könnte das Gefühl des Kontrollverlusts verstärkt haben.“
Das klingt nicht danach, als ob Nida-Rümelin die bösen Rechtspopulisten für den Brexit veantwortlich macht, sondern ein ganz rationales und nachvollziehbares Argument oder auch ein Gefühl: Die Briten mochten einfach nicht die Idee einer ungehinderten (!) Zuwanderung aus dem Rest der EU. Sie hatten schon vorher sehr viel Einwanderung aus ehemaligen Commonwealth-Ländern.wie Pakistan. Die Erfahrungen waren durchaus gemischt.
Diese Art Zuwanderung dürfte die Rechtspopulisten erst stark gemacht haben.
In einem Buch spricht er zum Thema Bildung übrigens weniger konziliant als auf dem Schulleiter-Kongress:
https://julian.nida-ruemelin.de/die-neue-deutsche-bildungskatastrophe/