Umfrage: Lehrer besuchen viele Fortbildungen – aber die bringen für den Unterricht wenig

13

BONN. Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland nehmen oft und engagiert an Fortbildungen teil – nur: Sie scheinen kaum etwas zu bringen. In der Praxis kommt offenbar wenig von dem Gelernten an. Nur knapp ein Viertel konnte die Inhalte der letzten Fortbildung umfassend in den eigenen Unterricht überführen. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Instituts Forsa unter Mathematik- und Naturwissenschaftslehrkräften im Auftrag der Deutsche Telekom Stiftung.

Büffeln für besseren Unterricht: Lehrer in einer Fortbildung (dem Lehrerkongress 2013 Chemie Baden-Württemberg). Foto: Chemie-Verbände Baden-Württemberg / flickr (CC BY 2.0)
Büffeln für besseren Unterricht: Lehrer in einer Fortbildung (dem Lehrerkongress 2013 Chemie Baden-Württemberg). Foto: Chemie-Verbände Baden-Württemberg / flickr (CC BY 2.0)

Wie können Lehrkräfte den wachsenden Herausforderungen des Schulalltags begegnen? Die Deutsche Telekom Stiftung weist in dem Zusammenhang auf die zentrale Rolle kontinuierlicher beruflicher Fortbildung hin – und legt dazu Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 500 Lehrerinnen und Lehrern der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) vor. Fazit: Die meisten sind erfreulich aufgeschlossen gegenüber Fortbildung und nehmen Angebote wahr, auf ihren Unterricht wirkt sich dies jedoch noch eher wenig aus.

Im Auftrag der Stiftung hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa die Lehrerinnen und Lehrer im Februar 2017 zu ihrer eigenen professionellen Weiterentwicklung befragt. Die Antworten zeichnen ein ambivalentes Bild. Zunächst mal erstaunlich: Dass Lehrkräften eine entscheidende Rolle für das Gelingen von Bildungsprozessen zukommt, ist weitgehend Konsens. In bemerkenswertem Widerspruch dazu steht die mangelnde Verbindlichkeit in der Fortbildungspraxis. Nur gut die Hälfte der befragten MINT-Lehrkräfte gibt an, dass ihre Schule oder ihr Bundesland sie verpflichte, sich regelmäßig fortzubilden. Für 39 Prozent gilt dies nach eigener Angabe nicht, und immerhin acht Prozent wissen gar nicht, ob sie verpflichtet sind.

Fast alle lassen sich fortbilden

Einerseits hat sich die Fortbildungsbeteiligung unter MINT-Lehrkräften sehr positiv entwickelt: 92 Prozent der Befragten gaben an, innerhalb der vergangenen zwei Jahre mindestens eine Fortbildung besucht zu haben, 67 Prozent sogar innerhalb der vergangenen sechs Monate. 84 Prozent haben in den vergangenen zwei Jahren drei oder mehr Fortbildungen besucht (jeder zehnte sogar mehr als zehn). Die große Mehrheit (82 Prozent) ist mit den besuchten Fortbildungen auch zufrieden, und neun von zehn Lehrkräften fühlen sich gut durch ihre Schulleitung unterstützt. Andererseits kommt in der Praxis wenig von dem Gelernten an: Nur knapp ein Viertel der Befragten konnte die Inhalte der letzten Fortbildung umfassend in den eigenen Unterricht überführen – 57 Prozent lediglich „ein bisschen“, 16 Prozent „überhaupt nicht“.

Kolumne: Frau Weh besucht eine Lehrerfortbildung und denkt dabei an Sex und Schokolade

„An den offensichtlich sehr weiterentwicklungswilligen Lehrkräften liegt das wohl kaum. Die Gründe für das ernüchternde Ergebnis sind vor allem im System zu suchen“, sagt Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Telekom-Stiftung. „Denn unsere Umfrage zeigt auch: Nach wie vor sind Fortbildungen meist einmalige Impulse, die Teilnehmenden besuchen sie allein und fern der eigenen Schule. Das widerspricht jedoch völlig aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen über Erfolgsfaktoren für die professionelle Weiterentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern.“

Anzeige

Dabei ist vielen der befragten Lehrkräfte die Bedeutung gemeinsamen Lernens für die professionelle Weiterentwicklung bewusst: Zwei Drittel bewerten die Teilnahme zusammen mit Kollegen von ihrer Schule als wichtig bis sehr wichtig für den Nutzen und die Effektivität einer Fortbildung. Auch finden 90 Prozent der Befragten eine gemeinsame Unterrichtsentwicklung grundsätzlich sinnvoll. Tatsächlich aber haben knapp 40 Prozent ihre letzte Fortbildung allein besucht. Und 63 Prozent der befragten MINT-Lehrkräfte geben an, dass für eine gemeinsame Unterrichtsentwicklung im Schulalltag oft die Zeit fehle. Nur jeder Fünfte hat schon mal eine Fortbildung mit dem gesamten Kollegium bekommen.

Kooperation im Kollegium? Meist Fehlanzeige

„Ein wesentlicher Schlüssel für effektive Fortbildung ist Kooperation im Kollegium: Austausch in Fachteams, Unterricht im Team, Hospitationen oder Feedback unter Kollegen“, sagt Winter. „Das aber braucht Zeit – die Schule den Lehrkräften einräumen muss. Es geht letztlich um nicht weniger als um eine neue Fortbildungskultur, in der Schulleitungen die Personalentwicklung als zentrale Aufgabe verstehen und die berufliche Weiterentwicklung ihres Kollegiums tatkräftig und zielgerichtet unterstützen.“

Die eher mauen Ergebnisse könnten auch mit einer zeitbedingten Oberflächlichkeit zu tun haben: Über drei Viertel der besuchten Fortbildungen (77 Prozent) sind nach wie vor nur eintägig, auch wenn sich laut Stiftung ein „Trend hin zu mehrtägigen Veranstaltungen“ erkennen lasse. Ein weiteres besorgniserregendes Ergebnis der Umfrage: Vor allem junge Lehrkräfte messen Fortbildung keinen hohen Stellenwert bei (22 Prozent). „Die Bedeutung kontinuierlicher professioneller Weiterentwicklung sollte unbedingt schon in der Ausbildung vermittelt werden“, so stellt die Telekom Stiftung deshalb fest. Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht es zur umfassenden Darstellung der Umfrageergebnisse.

 

Die Inhalte

Fortbildungsthemen waren:

1.       Didaktische Themen, wie man den Schülern bestimmte Inhalte näherbringen kann (73 Prozent),

2.       neue Entwicklungen bei Lehrplänen und Lernprogrammen (69 Prozent),

3.       Fachliche Themen, zum Beispiel zur Auffrischung des Fachwissens oder zur Vermittlung neuer fachlicher Erkenntnisse (67 Prozent),

4.       Unterricht mit digitalen Medien (55 Prozent),

5.       Inklusion (43 Prozent),

6.       Ermittlung und Bewertung von Leistung (40 Prozent),

7.       Integration von Kindern mit Migrationshintergrund (37 Prozent),

8.       Kommunikationstraining (32 Prozent).

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

13 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
GriasDi
6 Jahre zuvor

Vielleicht haben auch viele Fortbildungen nichts mit dem Unterrichtsalltag zu tun bzw. sind im „normalen“ Unterricht nicht umsetzbar.

sofawolf
6 Jahre zuvor

Ja, das finde ich auch. Die meisten Fortbildungen bringen kaum etwas. Außer dass sie ja meistens zu Unterrichtsausfall führen.

Palim
6 Jahre zuvor

Warum müssen Fortbildungen an festen Orten zu festen Zeiten stattfinden?

Wenn ich zur Fortbildung fahre, muss ich vorab meinen kompletten Unterricht vorbereiten und für eine pädagogigsche Kraft (nicht Lehrer) bereitstellen, einschließlich Differenzierung für Inklusion und Migration.
Ich muss (häufig nicht wenig) Zeit aufwenden, um den Ort zur bestimmten Zeit aufzusuchen.

Warum gibt es keine Online-Fortbildungen, Online-Abrufangebote, Vorlesungs-Mitschnitte, MOOCs, Fernkurse etc., die durch die Ministerien verbreitet und gestützt werden?
Das könnte dann sogar von Kollegen gemeinsam genutzt werden mit anschließender Diskussion, „Austausch in Fachteams, Unterricht im Team, Hospitationen oder Feedback unter Kollegen“
Und an welcher Stelle war ZEIT für Fortbildung gegeben? Fortbildung ist zum ohnehin überlasteten Alltag Mehrarbeit.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Sie sagen es: „Fortbildung ist zum ohnehin überlasteten Alltag Mehrarbeit.“
Wann soll man dann noch nebenbei Online-Fortbildungen machen? Nachts um 11, wenn ich mit der Unterrichtsvorbereitung fertig bin? Sicher nicht.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

Das bliebe ja bei online-Fortbildungen jedem selbst überlassen, ob er es nachts um 11 oder Sonnabend um 6 Uhr machen möchte.
Statt 2-7 Stunden Fahrzeit in Kauf zu nehmen, könnte ich diese Zeit für eine online-Fortbildung einsetzen, damit hätte ich einiges gewonnen UND könnte mir die aufwändigen Vorbereitungen ebenfalls sparen.
Auch hätten z.B. MOOCs den Vorteil, dass man Module wählen könnte und das, was man beherrscht, erheblich schneller durchgehen kann, das was interessiert oder mir hilft, könnte ich intensiver bearbeiten. Bei einer Veranstaltung muss ich die Allgemeinplätze mit anhören.

Mehrarbeit bleibt es so oder so, aber der Aufwand könnte für diejenigen, die sich fortbilden möchten, geringer sein.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Das Problem ist meistens gar nicht die Zeit, sondern die Inhalte. Da wird von „neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen“ gefaselt, sich aber nicht die Mühe gemacht, zu klären, was das für die Schule überhaupt bedeutet – siehe Hirnforschung.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

Den Inhalt kann nab doch aber vorher kaum einschätzen.

Ist es eine online-Fortbildung und ich erkenne, dass das Thema nicht meines ist, kann ich mir die Rosinen heraus picken oder aber alles abbrechen.
Nehme ich 2-7 Stunden Fahrzeit auf mich, ist diese Zeit auf jeden Fall vergeudet, die Fortbildungszeit zusätzlich auch.

Ob die neuesten oder ultimativ besten Ansätz in Wirklichkeit Humbug oder ein alter Zopf mit neuem Namen sind, merkt man meist erst, wenn man in der Fortbildung sitzt.

ysnp
6 Jahre zuvor

In meinen Augen kommt es bei Fortbildungen immer auf den/die Referenten an. Wenn er gut ist und genau das Interesse der Teilnehmer trifft, kann man da ganz viel mitnehmen. Meine Erfahrung ist, dass man zwar jetzt nicht alles sofort im Unterricht umsetzen kann, was man so sieht, aber man bekommt eine veränderte Einstellung und das wirkt sich nachhaltig auf die eigene Unterrichtsplanung aus, denn man muss das, was man so sieht, als „Musterbeispiele“ sehen, die man auf andere Inhalte übertragen und kreativ verändern kann. Das kann man auf alle Fächer beziehen inklusive Mathematik. Bei uns gibt es viele zweistündige Nachmittagsfortbildungsangebote, das finde ich gut, um mal wieder neue Impulse zu bekommen. „Erzwungene“ Fortbildungen sind meistens weniger erfolgreich, weil diese oft nicht das eigene Interesse/Bedürfnis treffen.

flunra39
6 Jahre zuvor

die Erwartung schneller Effekte einer FB im Klassenzimmer beruht vermutlich zum großen Teil auf der naiven Annahme, Schulpädagogik sei ein einfaches Geschäft, für das es nachhaltige Handreichungen und Rezepte gäbe.
In Wirklichkeit spielen aber erworbene HALTUNGEN der Lehrkräfte eine enorme Rolle, die kaum je durch FB verändert werden können. Denn der Reflexionsprozess, der in dieser Hinsicht bei FB begonnen werden kann, verebbt im Alltag des Berufes sehr rasch.
Was Bleibendes wäre dann möglich, die Lehrkräfte würden nach der FB „zu Hause“ weiter begleitet werden und könnten/müssten über ihre verhaltensauslösenden HALTUNGEN bewusst nachdenken.

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  flunra39

„In Wirklichkeit spielen aber erworbene HALTUNGEN der Lehrkräfte eine enorme Rolle, die kaum je durch FB verändert werden können.“
Den ersten Teil Ihrer Aussage sehe ich genauso. Ich bin allerdings der Meinung – und das ist auch meine Erfahrung – dass durch Fortbildungen Haltungen verändert werden können. Ich selbst bin dagegen, dass man mich noch gezwungenermaßen weiter begleitet, denn so selbstständig und Profi bin ich, dass ich weiß, was ich von den Fortbildungen umsetzen möchte und ich brauche dazu – salopp gesagt – kein Kindermädchen.
Bei uns gab und gibt es immer wieder solche Programme, wie z.B. SINUS und auch HSU- Programme, wo wir quasi gezwungen werden, bestimmte Sachen bis zur nächsten FB- Einheit auszuprobieren. Wenn es freiwillige Fortbildungseinheiten sind, dann ist das für mich ein Hinderungsgrund.

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Ergänzung zur Klarheit:
Wenn es freiwillige Fortbildungseinheiten sind, dann ist das für mich ein Hinderungsgrund diese nicht zu besuchen, wenn ich eben gezwungen werde, bestimmte Dinge auszuprobieren und darüber in der nächsten Einheit zu berichten.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Meine Haltung verändert sich auch durch Studien. Wenn ich höre, die oder die Methode ist besser als jene, dann versuch ich vermehrt die bessere Methode einzusetzen.

sofawolf
6 Jahre zuvor

Ich nehme an, dass die Haltungen, die zu verändern sind, jene sind, die gerade nicht modern sind. (?) Die Frage ist jedoch – und darüber diskutieren wir hier ja sehr oft -, ob die modernen Haltungen tatsächlich die besseren sind. Die Leistungsergebnisse zeigen das ja nicht gerade.

Letztlich gibt es wohl nur 2 Möglichkeiten: Entweder sieht man ein, dass die eigene Haltung falsch war (im Sinne der modernen) oder man sieht es nicht ein und beweist gerade dadurch seine falsche Haltung (im Sinne der modernen)? 😉