Überraschender Befund: Früher Englischunterricht ist nicht nur weniger effektiv als erhofft – sondern sogar kontraproduktiv

19

BOCHUM. Kinder, die in der ersten Klasse mit dem Englischunterricht beginnen, sind sieben Jahre später schlechter in diesem Fach als Kinder, die erst in der dritten Klasse in die Fremdsprache einsteigen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team um Dr. Nils Jäkel und Prof. Dr. Markus Ritter von der Ruhr-Universität Bochum. Die Forscher werteten Daten aus einer großen nordrhein-westfälischen Längsschnittstudie aus, die zwischen 2010 und 2014 durchgeführt wurde. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Language Learning“ publiziert.

„Der fremdsprachliche Frühbeginn wird häufig hochgelobt, obwohl es insgesamt wenig Forschung gibt, die diesen Mythos unterstützt“, sagt Nils Jäkel vom Bochumer Lehrstuhl Didaktik des Englischen. Er analysierte mit seinen Kollegen aus Bochum und von der Technischen Universität Dortmund Daten von 5.130 Schülerinnen und Schülern von 31 Gymnasien in Nordrhein-Westfalen. Die Forscher verglichen zwei Schülerkohorten, von denen eine in Klasse eins, die andere in Klasse drei mit dem Englischunterricht begonnen hatte. Jeweils in den Klassen fünf und sieben erfassten sie das englische Lese- und Hörverständnis der Kinder.

Leistungen der Spätstarter in Klasse 7 besser

In der fünften Klasse schnitten diejenigen Kinder besser ab, die früh mit dem Englischunterricht in der Grundschule begonnen hatten. Das änderte sich in der siebten Klasse. Nun waren die Leistungen der Spätstarter, die erst in der dritten Klasse in die Fremdsprache eingestiegen waren, besser.

„Unsere Studie bestätigt Ergebnisse aus anderen Ländern, zum Beispiel Spanien, die zeigen, dass der Frühbeginn mit ein bis zwei Stunden Englischunterricht pro Woche bei Grundschülern auf längere Sicht nur wenig zur Sprachkompetenz beiträgt“, sagt Jäkel. In den kommenden Monaten werden er und seine Kollegen weitere Daten auswerten, um zu überprüfen, ob sich das Ergebnis in der neunten Klasse bestätigt.

Ist Englisch in der Grundschule vielleicht sogar schädlich? Illustration: Wikimedia Commons.
Über Englisch in der Grundschule wird immer wieder debattiert. Illustration: Wikimedia Commons.

Eine mögliche Interpretation der Ergebnisse: „Der frühe Englischunterricht in der Grundschule findet zu einer Zeit statt, in der ein intensiverer Kontakt notwendig wäre, um eine Sprache nachhaltig zu lernen“, beschreibt Nils Jäkel. „Die Kinder haben aber maximal 90 Minuten pro Woche Englischunterricht.“

Anzeige

Die Autoren weisen außerdem auf den Bruch beim Übergang von der Grundschule zum Gymnasium hin. „Vereinfacht gesagt geht ein eher spielerisch, ganzheitlich angelegter Grundschulunterricht in eine eher kognitiv orientierte, verkopfte Gymnasialmethodik über“, sagt Jäkel.

Wegen Lehrermangels: Eisenmann will den Englisch-Unterricht in den Klassen eins und zwei streichen – GEW ist empört

Der Grundschulunterricht basiert eher auf dem kindgemäßen zwanglosen Hören und Erleben der Fremdsprache durch Reime, Lieder, Bewegung und Geschichten. Die weiterführende Schule zielt stärker auf lehrgangsmäßige Grammatik- und Wortschatzarbeit ab. So ließe sich etwa erklären, dass die zunächst gemessenen Vorteile im Hörverstehen in der Klasse fünf zum Teil wieder verloren gehen, erklären die Autoren – unter Umständen verursacht durch einen Motivationsverlust der Schüler, die diesen Bruch nach vier Jahren Grundschulenglisch deutlicher wahrnehmen.

Möglich sei auch, dass der Englisch-Frühbeginn bislang nicht immer effizient genug ausgenutzt wurde, da die Vorverlegung auf die erste Klasse recht kurzfristig vorgenommen wurde. „Als das Grundschulenglisch eingeführt wurde, mussten viele Lehrer in relativ kurzer Zeit quereinsteigen“, erklärt Jäkel.

Konsequenzen und Empfehlungen

Die Forscher stellen durch ihre Ergebnisse nicht den frühen Beginn des Englischunterrichts an sich infrage – im Gegenteil sei er ein wichtiger Beitrag zur angestrebten europäischen Mehrsprachigkeit, da er Raum für weiteren Spracherwerb in den weiterführenden Schulen schaffe. Ein Früheinstieg ins Englische könne helfen, Kinder für sprachliche und kulturelle Vielfalt zu sensibilisieren. „Man darf aber keine überzogenen Erwartungen haben“, sagt Jäkel. „Es könnte sich als sinnvoller Kompromiss erweisen, in Klasse drei mit erhöhter Stundenzahl in den Englischunterricht einzusteigen.“ Es sei aber ebenso wichtig, Grundschul- und Gymnasialdidaktik noch besser aufeinander abzustimmen. Hier könnten Lehrkräfte aus beiden Schulformen voneinander lernen. News4teachers

Philologen-Chef Meidinger vergleicht Englisch in der Grundschule mit dem G8: „Schnellschüsse in der Bildungspolitik“

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

19 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „„Es könnte sich als sinnvoller Kompromiss erweisen, in Klasse drei mit erhöhter Stundenzahl in den Englischunterricht einzusteigen.“ Es sei aber ebenso wichtig, Grundschul- und Gymnasialdidaktik noch besser aufeinander abzustimmen. Hier könnten Lehrkräfte aus beiden Schulformen voneinander lernen.“

Ja, bitte. Englisch frühestens ab Klasse 3.

xxx
6 Jahre zuvor

Die Real- / Mittelschul- / sonstwas-Didaktik wurde (mal wieder) übergangen.

Man kann ruhig Englisch ab Klasse 1 beginnen, wenn gleichzeitig im Fernsehen jegliche Synchronisation eingestellt und durch deutsche Untertitel ersetzt wird. Die Niederlande und Belgien zeigen, dass das auch bei Kindersendungen funktioniert. Synchronisiert werden lediglich Kleinkindersendungen, die Sesamstraße oder diverse Disney-Cartoons hingegen schon nicht mehr.

mississippi
6 Jahre zuvor

@xxx: Och, gibt vielleicht bald nur noch 1 Schule: Gymmi für alle, yeah!!!

sofawolf
6 Jahre zuvor

@ xxx,

das ist doch jetzt aber Sarkasmus, oder?

Und dann wundern sich alle über immer schlechter werdende Deutschkenntnisse. Ist doch jetzt schon so: Wo sollen Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, noch richtig Deutsch lernen, wenn um uns herum alles auf Englisch daherkommt?!?

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das ist unsinn. Hier in Deutschland läuft genauso wie in den niederlanden nicht nur us-ware. Außerdem schauen sehr viele der kinder, die kaum deutsch sprechen, auch kein deutsches Fernsehen, weil es die eltern auch nicht tun.

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Bei den Problembären läuft zuhause nämlich nur das Fernsehprogramm der Herkunftsländer – wobei ich lediglich den BR als eingeschränkt tauglich für die Sprachvermittlung ansehe.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Seit wann haben die Bayern eine Einreiseerlaubnis für den Rest Deutschlands?

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Die Franken sind de jure Bayern und genießen deshalb außerhalb der Zwangsgemeinschaft subsidiären Schutzstatius. Das ist genauso wie mit Westphalen im benachbarten Niedersachsen – außer sie sind Lipper. Die sind den Niedersachsen als Wirtschaftsflüchtlinge einfach zu teuer..

sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Hier in Deutschland läuft genauso wie in den niederlanden nicht nur us-ware. Außerdem schauen sehr viele der kinder, die kaum deutsch sprechen, auch kein deutsches Fernsehen, weil es die eltern auch nicht tun.“

Ja, eben. Diesen Kindern „begegnet“ zu Hause kein Deutsch (Gespräche, Bücher, Fernsehen) und immer mehr Englisch bzw. Denglisch im Alltag. Wo sollen die noch „normales Deutsch“ lernen?! Und dann schlagen Sie vor, dass Kindersendungen nicht mehr synchronisiert werden, damit ihr Englisch besser wird. Und Deutsch schlechter? DAS finde ich Unsinn. 😉

Von Kindern an unserer Schule höre ich in letzter Zeit immer öfter (!) Sätze wie diese (1 Beispiel): „Der beste Unterricht ever!“ (-jemals- scheint schon unbekannt.) Ist das nun Deutsch oder Englisch oder beides? Oder ist es einfach Neudeutsch? Naja, so einfach kann man sich das auch machen. Dann muss man aber nicht über schlechte Deutschkenntnisse klagen? Und was verwende ich im Unterricht? -ever- oder -jemals-?

Und inwieweit – frage ich mich – kann man noch sinnvoll deutsche Rechtschreibregeln beibringen, die für die ganzen englischen Wörter im Deutschen ja doch nicht gelten?!? Da lernen die Kinder -sch- für den Sch-Laut, sollen aber „Show“ schreiben. Und wieso eigentlich -ow- (aus Kindersicht) für ein -o-? Dann vielleicht ja auch „Klow“ (Klo)?

sofawolf
6 Jahre zuvor

In Texten lesen ich immer öfter von „Mum“ und „Dad“.

Sprache ändert sich, ja ok / in Ordnung. Nur welche Rechtschreibregeln gelten denn dann hier? Den A-Laut kann man u.U. auch als -u- schreiben? Den Ä-Laut kann man nun als -ä- oder -e- oder -a- schreiben?

Wie lässt sich so denn überhaupt noch ein Regelverständnis aufbauen, wenn immer mehr Wörter der Regel widersprechen?

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das sind Wörter, die aus einer anderen Sprache kommen. Das italienischstämmige Wort „Pizza“ schreibt man ja auch nicht mit tz. Bei den Fremdwörtern wird in der Regel nur die Groß- und Kleinschreibung angepasst.
Es stimmt, es ist schwierig. Nun ja, man muss sich diese Wörter eben unter der Kategorie „Fremdwörter“ merken, wie man es auch andere Wörter gibt, die man sich merken muss, z.B. die ganzen Wörter mit den Dehnungs- Buchstaben, ai, v oder dem ß (im Süddeutschen).

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Ja, z.B. Baby – Babys, Hobby – Hobbys und Cookie – Cookies

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Genau, nur da ist es tatsächlich so, dass gerade bei dem Wort Hobby viele nicht wissen, dass im Deutschen das y erhalten bleibt. ; – )
Viele schreiben Hobbies statt Hobbys.

sofawolf
6 Jahre zuvor

@ ysnp,

Ihren Einwand habe ich vorhergesehen oder besser gesagt erwartet. So gut kennen wir uns schon inzwischen. 🙂

Ja, es gibt im Deutschen „sowieso“ Fremdwörter und es ihr Merkmal, u.a. von deutschen Rechtschreibgewohnheiten abzuweichen. Dagegen habe ich gar nichts. Wenn es sich um Ausnahmen handelt. Ich denke, das kann man einem Kind noch begreiflich machen. Es handelt sich um eine Ausnahme, wie das Wort Boot, das wir mit 2 -o- schreibem, obwohl wir die Vokallänge im Deutschen eigentlich nicht kennzeichen.

Was ich moniere ist aber, dass die Zahl der englischen Wörter im Deutschen immer größer wird und der Ausnahmecharakter verloren geht. Die Regeln, die das Kind in der Schule zur Rechtschreibung lernt, passen also nicht nur gelegentlich nicht, sondern sie passen ANDAUERND nicht. Ich meine, das stiftet Verwirrung in den Kinderhirnen – ganz abgesehen von falschen Schreibweisen, die sie ohne dies ständig sehen. Eine Bedingung für das Lernen (Merken) ist aber, dass „eine Regel“ tatsächlich zumindest überwiegend Geltung hat.

Zugespitzt gesagt brauchen wir uns nicht mehr abzumühen, den Kindern Rechtschreibregeln beizubringen, sie stimmen / gelten sowieso ganz doch nicht.

sofawolf
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

PS: Frühere Englisch- u.a. Wortimporte sind in der Regel in ihren Schreibweise inzwischen schon lange eingedeutscht (Keks, Büro).

Gegen neue Eindeutschungen erhob sich bei der Rechtschreibreform bekanntlich heftiger Protest und heutzutage käme das vielen absurd vor.

Ignaz Wrobel
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Sofawolf

Das Wort Boot wird mit zwei oo geschrieben, da es den älteren Begriff der Bote schon vorher existierte.
Die erste Rechtschreiberegel beinhaltet, dass deutsche Wörter zweisilbig sind und in der Endsilbe der Schwa-Laut als e geschrieben steht. Die erste Silbe wird betont gesprochen, die zweite unbetont. Wird die Endsilbe betont gesprochen, dann schreiben wir ee, wie in Kaffee, Tee, Schnee, See,Fee etc.
Verwenden wir ein Präfix wie be- oder ge-, so wird dieses unbetont mit dem Schwa-Laut gesprochen.
ß oder ss : ß nach langem Vokal oder Doppelvokal in zweisilbigen Wörtern wie hei ßen, Stra ße, So ße,flie ßen, Fü ße.Flö ße ,Spä ße etc . ss folgt nach einem Kurzvokal in zweisilbigen Wörtern wie müssen,küssen, Pässe,Kasse,hissen,Wissen,Klasse etc.
Für englische Wörter existieren englische Schreibregeln.Erwarten Sie nicht , dass deutsche Neo-Reformpädagogen die deutschen Rechtschreibregeln beherrschen, diese kennen, einen Sinn in deren Vermittlung sehen oder gar das sinnvolle Einüben propagieren werden.

Ignaz Wrobel
6 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

statt existierte gab

sofawolf
6 Jahre zuvor

Schüler, die heute Abend im „TV“ zum Beispiel Nachrichten sahen, sahen und hörten dort Comeback, News und turnaround / Turnaround (ich weiß gar nicht, was das ist) sowie vielleicht irgendwo auch noch einen Leader oder Loser?

Nach welchen Rechtschreibregeln schreiben sie eigentlich diese Wörter in ihren deutschen Texten?

sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Bei uns führt das zum hysterischen Englischlernen in den Kindergärten – ehrgeizige Eltern plagt die Sorge, ihr Kind werde sonst später nicht im Aufsichtsrat sitzen“, kritisiert der Sprachexperte in „bild der wissenschaft“. Trabant warnt, dass sich die Elite als eine „Kaste der Anderssprachigen“ von der Gesellschaft absetze.“

Interessanter Artikel: https://www.welt.de/wissenschaft/article5941403/Deutsche-Umlaute-ae-oe-und-ue-sterben-in-Zukunft-aus.html