Einstellungswelle zum kommenden Schuljahr bringt noch mehr Seiteneinsteiger in die Schulen – nicht nur das: „Bewerber werden schlechter“

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BERLIN. Der Lehrermangel wird immer gravierender. Bundesweit wird es für die Bildungsverwaltungen immer schwerer, offene Stellen zu besetzen. Vor allem junge Grundschullehrkräfte sind rar gesät. Beispiel Berlin: Nur noch jeder fünfte Lehrer, der zum laufenden Schuljahr seinen Dienst an einer Grundschule antrat, hatte das Grundschullehramt studiert. Trotz massiver Werbung um Kandidaten in anderen Bundesländern und sogar im Ausland wird sich die Situation zu Beginn des kommenden Schuljahres kaum besser darstellen – im Gegenteil. Der Hauptpersonalrat schlägt jetzt Alarm.

Immer mehr Menschen kommen über den Seiteneinstieg in den Schuldienst. Foto: pixabay
Immer mehr Menschen kommen über den Seiteneinstieg in den Schuldienst. Foto: pixabay

Unlängst machte eine Werbeaktion an den Hochschulen in Düsseldorf und Stuttgart Schlagzeilen. Dort verteilten Anwerber im Auftrag von Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mit Marmelade gefüllte Backwaren, die in Berlin Pfannkuchen, andernorts aber „Berliner“ heißen, an Studenten. Dazu gab es Postkarten mit launigen Werbesprüchen – etwa: „Du hast unseren Kindern gerade noch gefehlt“ und Informationen über freie Stellen an Berliner Schulen und Kindertagesstätten. Die Stuttgarter Ausgabe der „Bild“-Zeitung empörte sich: „Berliner wollen sich unsere Lehrer krallen“, hieß es. „Mit Krapfen und süßen Versprechungen sollen Berufseinsteiger an die Hauptstadt-Schulen gelockt werden.“

Zuvor hatte Berlin auch schon mit Plakaten und Anzeigen in Österreich und den Niederlanden um Lehrkräfte geworben. Vorläufiger Höhepunkt im bundesweiten Wettbewerb um den knapp gewordenen Pädagogen-Nachwuchs: Ab dem Schuljahr 2017/2018 werden in Berlin alle Grundschullehrkräfte, die nach dem neuen Lehrkräftebildungsgesetz ab August 2014 ihr Referendariat begonnen haben, nach A13 bzw. E13 vergütet.

Lehrermangel treibt Blüten: Nach Seiteneinsteigern und Pensionären kommen jetzt auch Studierende in die Kollegien

Der Lehrermangel lässt sich in Zahlen ausdrücken. In Berlin war mehr als ein Drittel der zu Beginn des laufenden Schuljahres neu eingestellten Lehrkräfte, 667 von 1.900, ohne pädagogische Ausbildung in den Schuldienst gestartet. Besonders dramatisch zeigte sich die Lage an den Grundschulen: Nur noch 18 Prozent der neu eingestellten Lehrkräfte hatten das Grundschullehramt studiert. Die Situation wird sich nach den Sommerferien kaum ändern: Aktuell sind an den Berliner Schulen rund 1.300 Stellen zu besetzen – allerdings werden sich erfahrungsgemäß kaum mehr als 900 ausreichend qualifizierte Bewerber finden lassen. Die restlichen Stellen dürften wieder mit Seiteneinsteigern aufgefüllt werden.

„Quantitativ wird es klappen“, meinte der Vize-Vorsitzende des Gesamtpersonalrats der allgemeinbildenden Schulen in Berlin, Dieter Haase, gegenüber dem „Tagesspiegel“. Optimismus klingt trotzdem anders. Denn, so Haase: „Die Zahl der Quereinsteiger an den Grundschulen ist zu hoch und kaum noch akzeptabel.“ Und: „Die Bewerber werden schlechter.“

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Das könne verschiedene Gründe haben, spekuliert die Zeitung. Dazu gehöre, dass die besonders geeigneten Quereinsteiger bereits in den Vorjahren eingestellt worden seien. Inzwischen aber, so würden Schulleiter und Personalräte beobachten, kämen auch jene Bewerber zum Zuge, die bisher lieber nicht genommen wurden. Es sei sogar von Kandidaten aus dem europäischen Ausland zu hören, die ein Angebot bekämen, obwohl sie fehlerhaft Deutsch sprächen: „Die formale sprachliche Qualifikation können sie vorweisen, aber das reicht nicht, um in der Grundschule Deutsch und Mathematik zu unterrichten“, so zitiert das Blatt einen Personalrat.

Wachsende Sorge wegen zu vielen Seiteneinsteigern: GEW fordert Mentoringstunden, damit erfahrene Kollegen die neuen anleiten können

„Die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger bereichern mit ihren vielfältigen Erfahrungen und ihrem Fachwissen unsere Schulen ungemein. Aber wir dürfen den Bogen nicht überspannen. Es muss die Regel bleiben, dass Lehrkräfte ein Lehramtsstudium absolvieren“, betonte Tom Erdmann, Vorsitzender der Berliner GEW bereits zu Schuljahresbeginn. Die berufsbegleitende pädagogische Qualifizierung, die Seiteneinsteiger durchlaufen müssen, sei mit Studium und Referendariat nicht gleichzusetzen. „Frau Scheeres kann nicht erwarten, dass Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger nach 18 Monaten berufsbegleitender Ausbildung so gut ausgebildet sind wie ihre Kolleginnen und Kollegen mit siebenjähriger Lehramtsausbildung.“ Die vielen Seiteneinsteiger bräuchten mehr Unterstützung durch ihre Kollegen. Dafür sei im schulischen Alltag jedoch viel zu wenig Zeit vorgesehen. Dies belaste sowohl die Betroffenen selbst als auch die voll ausgebildeten Lehrkräfte.

„Wenn inzwischen mehr als jede dritte neue Lehrkraft nur unzureichend pädagogisch ausgebildet ist, muss die Senatsverwaltung mehr für deren Qualifizierung tun – beispielswiese durch Mentoringstunden und eine angemessene Unterrichtsentlastung“, so Erdmann. „Viele Kolleginnen und Kollegen fragen sich inzwischen, welchen Stellenwert eine qualifizierte pädagogische Ausbildung für die Bildungssenatorin hat“, sagte der GEW-Vorsitzende.

Davon  können sich allerdings auch andere Kultusminister angesprochen fühlen: Ob Brandenburg, Sachsen oder Niedersachsen – überall steigt die Zahl der Seiteneinsteiger drastisch. Die GEW kommentiert den Trend mit einem bissigen Slogan: „Wir stellen einfach Menschen vor Schulklassen.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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6 Kommentare
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Biene
6 Jahre zuvor

Die andere Frage ist, wieviele Referendare über alle Schulfomren hinweg eingestellt werden, aber nicht genommen werden, weil ihre Notennicht ganz passend sind. Ein Referendar, der mit einem vierer (ob glatt oder mt einer drei vorm Komma) sein Referendariat abgeschlossen hat, bekommt auch nur spärlich einen Job, wenn überhaupt. (Faktisch kann gesagt werden alles was über dem Einstellungsschnitt liegt, ist durch das Referendariat gefallen, ob nun ein vierer oder nicht) So wundert es nicht, dass diese sich überlegen eine Ausbildung zu machen und dann nicht mehr für den Schulbetrieb zur Verfügung stehen.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  Biene

Für welches Bundesland gilt das? Wo gibt es denn noch einen Einstellungsschnitt?
In Nds. wird die schulscharf ausgeschriebene Stelle besetzt, wenn sich jemand mit entsprechenden Fächern bewirbt, ansonsten kann die Stelle gewandelt werden (andere Fächer) oder geht in eine Bezirksstelle über, auf die gesetzt wird, wer sich für den Bezirk beworben hat.

cyclooctan
6 Jahre zuvor
Antwortet  Biene

Die Hauptursache am Mangel ist meiner Meinung nach die Fächerauswahl der Referendare. Mit MINT-Fächern ist die Note eigentlich nebensächlich. Dann ist nur die Reihenfolge, in der zum Einstellungsgespräch geladen wird, das einzige formale Hindernis.
Die zweite Ursache ist, dass viele Bewerber nicht mehr die passenden Umgangsformen besitzen, wie beispielweise anzurufen, wenn man sich verspätet oder nicht kommen kann. Auch die eigene Überschätzung und damit das Verhalten beim Gespräch sind, wie fast überall, ein großes Problem.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  cyclooctan

Die Stellen im Bereich Grundschule sind möglichst nur noch in den Hauptfächern ausgeschrieben, von denen jeder Studierende mindestens eines studieren muss.
Da kann man die mangelnde Bewerberlage nicht auf die Fächerauswahl schieben.
Es ist eben nicht so, dass nur MINT-Fächer unbesetzt bleiben, auch Stellen für Deutsch-Grundschule bleiben frei.

Da es auf viele Ausschreibungen nicht eine einzige Bewerbung gibt, weiß ich nicht, warum das Problem mangelnde Umgangfomren sein sollen, es kommt ja nicht einmal zu einem ersten Gespräch.

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Mit Deutsch und Geschichte kann man die Schulhöfe weiterführender Schulen pflastern. Ich kenne den Ausschluss des faches Geschichte für Bewerbungen – also Englisch/beliebig mit dem Hinweis, dass Geschichte als Zweitfach ausgeschlossen wird.

Das Problem ist eher, dass Ausschreibungen „leerlaufen“, weil entweder kein Bewerber gefunden wird oder die ausgewählten Bewerber eine andere Stelle annehmen.

Am Lustigsten finde ich aber noch immer, dass selbst im Schuldienst der (Un-)Gleichstellungspassus Anwendung findet. Bei über 60% XX-Quote werden XY-Bewerber bei gleicher Eignung disqualifiziert.

sofawolf
6 Jahre zuvor

Ich glaube auch, dass man heutzutage eine Stelle findet, sobald man einfach nur bestanden hat. Bestanden ist aber eben auch bestanden! Man muss natürlich örtlich flexibel sein.

Ansonsten gibt es wohl keine andere Möglichkeit, als den Lehrermangel mittels „Neulehrern“ (Seiteneinsteigern) zu beheben – wie „damals nach dem Krieg“. Es kommt auch in diesem Falle darauf an, dass und wie die Leute ausgebildet werden.

Ausbildung alleine (Lehramtsstudium) ist auch keine Garantie auf Erfolg. Wie viele scheitern im Alltag und schmeißen hin.