Abschied von der „demografischen Rendite“: Kretschmann stoppt offenbar geplanten Abbau von Lehrerstellen

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STUTTGART. Bislang sind die Schul- und  Finanzpolitiker in Deutschland davon ausgegangen, dass die Schülerzahlen sinken werden – und dass sich daraus ein großes Einsparpotenzial bei Lehrerstellen und Schulgebäuden ergibt. Spätestens seitdem die Bertelsmann Stiftung in der vergangenen Woche eine Prognose veröffentlichte, die einen Schüler-Boom vorhersagt, ist klar: Die sogenannte „demografische Rendite“ fällt aus. Das hat Konsequenzen. Als erstes Bundesland verabschiedet sich wohl Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vom geplanten Lehrerstellenabbau, auch wenn der formale Beschluss dazu steht noch aussteht.

Beerdigen offenbar die Abbaupläne bei den Lehrerstellen: Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg
Beerdigen offenbar die Abbaupläne bei den Lehrerstellen: Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Staatsministerium Baden-Württemberg

Die grün-schwarze Landesregierung baut wahrscheinlich keine weiteren Lehrerstellen ab. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) und Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) machten der Haushaltskommission am Sonntag in Stuttgart nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur einen entsprechenden Vorschlag. Der formale Beschluss der Kommission dazu stand zunächst noch aus. Es seien aber keine Einwände geäußert worden, hieß es.

Der noch unter der grün-roten Vorgängerregierung eingeplante Abbaupfad sieht nach Angaben des Kultusministeriums zwischen 2018 und 2020 noch 700 Stellen zur Streichung vor. Kultusministerin Eisenmann hatte angesichts steigender Schülerzahlen bereits am Freitag gesagt: «Der Stellenabbau ist jetzt ein falsches Signal zur falschen Zeit.» Sie kündigte dabei Maßnahmen an, um dem akuten Fehlbedarf an Lehrkräften zu begegnen – etwa Teilzeitmöglichkeiten einzuschränken und Zwangs-Versetzungen vorzunehmen.

Lehrermangel: Eisenmann schränkt Teilzeit ein und kündigt Zwangs-Versetzungen an – „Es wird unangenehme Gespräche geben“

Aus CDU-Kreisen hieß es am Sonntag: «Wir müssen im Bildungsbereich Versäumnisse der Vergangenheit korrigieren, um wieder an die Spitze im Bildungsvergleich der Länder zu gelangen. Dafür brauchen wir mehr und nicht weniger Lehrerinnen und Lehrer im System.» Von einem Stopp des Abbaupfads würden alle Schularten im Land profitieren, hieß es.

Auch die Grünen-Fraktion hält einen Stopp des Lehrerstellenabbaus für sinnvoll. Fraktionschef Andreas Schwarz sagte, die Grünen sähen einen Bedarf an weiteren Stellen etwa an den Grundschulen, für den Ausbau der Ganztagsschulen und für den Informatikunterricht an den Gemeinschaftsschulen und den weiterführenden Schulen. «Die Sicherung der Unterrichtsversorgung hat für uns hohe Priorität.» Schwarz schränkte am Sonntag aber ein, dass einzelne Punkte in der Kommission erst entschieden seien, wenn alles beschlossen sei. Die Beratungen dauerten am Sonntagabend an. Aus Koalitionskreisen hieß es, dass die Kommission ihre Beschlüsse für die Einzeletats in den kommenden Tagen fassen soll, wenn die Finanzen aller Ressorts klar sind.

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Ein Schüler-Boom kommt – und die Politik ist nicht vorbereitet. Es droht ein dramatischer Engpass an Lehrern

Die grün-rote Vorgängerregierung hatte nach ihren ersten Planungen eigentlich vor, bis 2020 sogar insgesamt 11.600 Lehrerstellen zu streichen. Nach heftigen Protesten von Gewerkschaften, Eltern und Schülern schwächte Grün-Rot den Stellenabbau bereits Stück für Stück ab. Vor allem auch der Zuzug von Flüchtlingen führt dazu, dass die Schülerzahlen höher sind als damals prognostiziert.

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch, der bis 2016 Kultusminister im Südwesten war, sagte: «Endlich ist bei Grün-Schwarz der Groschen gefallen!» Für die Unterrichtsversorgung und die Qualitätssicherung an den Schulen sei der Abbaustopp jedenfalls überfällig.

Steigende Steuereinnahmen

Die Haushaltskommission setzt Prioritäten für den Doppeletat 2018/2019. Ursprünglich hatten die Ministerien zusätzliche Ausgabenwünsche in Höhe von 3,6 Milliarden Euro angemeldet. Für Zusatzwünsche stehen aber nur 920 Millionen Euro bereit. Einigkeit bestand dem Vernehmen nach auch darüber, dass zügig für eine bessere personelle Ausstattung bei der Polizei gesorgt werden soll. Grüne und CDU hatten bereits im Koalitionsvertrag 1500 zusätzliche Stellen in Aussicht gestellt. Hingegen gibt es noch Diskussionsbedarf beim Wirtschaftsministerium. Der CDU, die das Ressort innehat, reicht die bisherige finanzielle Ausstattung nach eigenen Angaben nicht.

Der Doppelhaushalt 2018/2019 soll Ende des Jahres vom Landtag beschlossen werden. Der Landesregierung kommen dabei steigende Steuereinnahmen zugute. Im Raum steht ein Schuldenabbau von 200 Millionen bis 250 Millionen Euro. Beide Regierungsfraktionen machen die Höhe der Schuldentilgung aber von der Steuerschätzung im November abhängig. Das Land hat Schulden in Höhe von 47 Milliarden Euro. Von Bettina Grachtrup, dpa

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sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Als erstes Bundesland verabschiedet sich wohl Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vom geplanten Lehrerstellenabbau, auch wenn der formale Beschluss dazu steht noch aussteht.“

Sehr gut. Wieder ein Schritt in die richtige Richtung.

Wahlentscheidungen können eben doch positive Veränderungen bringen.

soschu2
6 Jahre zuvor

Unter Kultusminister Andreas Stoch SPD sollten 11.600 Stellen abgebaut werden. Wo war da der große Aufschrei von der GEW-Frau Doro Moritz, die doch mit Herrn Stoch beim Tennisspielen hätte darüber reden können. Hier hätte sie so manches Ass schlagen können. Andreas macht da schon….
Jetzt in der Opposition wird natürlich heftig gepoltert. Aber uffbasse! Die Stellenabbauer waren bei Grün-Rot am Werk!! Ihr Motto war doch: Lehrerstellen abbauen – Stellen in den Ministerien erhöhen! Es muss ja einige gute politische Freunddinnen und Freunde versorgt werden!!

sofawolf
6 Jahre zuvor

@ soschu2

Genau !

Einen HAUPTgrund für den jetzigen Lehrermangel sehe ich eher im Lehrerüberschuss früherer Jahre, als Interessenten sich eben anders orientierten bzw., wie ich hier inzwischen mehrfach las, Hürden aufgebaut wurden (fortgesetzter Stellenabbau, eingeschränkte Ausbildungsmöglichkeiten, Zugangsbeschränkungen [NC] …).

Und dann hat die Politik verschlafen, dass sich das Blatt wieder wenden wird, spricht wieder mehr Lehrer gebraucht werden. Wie man liest, wurde weiterhin Stellenabbau geplant (siehe BaWü zuletzt). Und das wiederum hat mit der mehr-netto-vom-Brutto-Politik zu tun, die den Staat ärmer macht und dazu zwingt, überall zu sparen.

sofawolf
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das Einzige, was jetzt schnell helfen würde, sind Seiteneinsteiger.

sofawolf
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

… die sich interessanterweise von u.U. geringeren Gehältern nicht abschrecken lassen.