Bayerische Realschullehrer fordern, berufliche Bildung zu stärken: „Der Mensch beginnt nicht beim Abitur“

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MÜNCHEN. Der Bayerische Realschullehrerverband (brlv) hat eine Pressekonferenz zum Thema „Der Mensch beginnt nicht beim Abitur – jetzt die berufliche Bildung stärken!“ gegeben. Auf dem Podium äußerten sich brlv-Vorsitzender Jürgen Böhm, der bildungspolitische Sprecher des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK e.V.) Hubert Schöffmann sowie der Fachgruppenleiter FOS/BOS des brlv Johannes Benkert zum Thema.

„So positiv viele Entwicklungen für die erfolgreiche und anerkannte bayerische Realschule in der letzten Zeit ausgefallen sind, so sehr gilt es nun, die vielfältigen Wege in die berufliche Bildung in den Blick zu nehmen. Der Wert des Menschen beginnt weder beim Abitur noch ist dem Bildungs- und Wirtschaftsstandort Bayern mit einem bloßen Akademikerüberschuss gedient“, meinte der brlv-Vorsitzende. Böhm betonte, dass die Realschule mit ihrem klaren Profil die jungen Menschen ideal auf vielfältige Anschlüsse und Übergangsmöglichkeiten nach dem Realschulabschluss vorbereite. Die bewusste Entscheidung der Eltern und Schüler für die Realschule zeige, dass hier eine zeitgemäße und zukunftsbewusste Vorbereitung auf ein Berufsleben mit unzähligen Karrierechancen erfolge. „Es gibt hier längst kein Königsweg mehr – jeder junge Mensch kann jedes Ziel erreichen. Dies ist umso wichtiger, als die Realschulabsolventen die künftig dringend benötigten Fachkräfte von morgen für den Wirtschaftsstandort Bayern sind. Bei zahlreichen unbesetzten Lehrstellen und einem akuten Fachkräftemangel ist es von zentraler Bedeutung, dass die berufliche Bildung als gleichwertig zur akademischen angesehen und entsprechend gestärkt wird“, fuhr Böhm fort.

Dies unterstützt auch Hubert Schöffmann in seiner Funktion als bildungspolitischer Sprecher des BIHK: „Dem Wirtschaftsstandort Bayern werden allein in diesem Jahr 227.000 Fachkräfte fehlen. Die berufliche Bildung mit ihren hervorragenden Karrierechancen muss deshalb umso dringender wieder in die Mitte der Gesellschaft gerückt und aktiv durch die Bildungspolitik gestärkt werden. Fakt ist, wir brauchen eine gesunde Balance zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Der Beitrag, den die bayerischen Realschulen für die berufliche Bildung und damit die Fachkräftesicherung in der bayerischen Wirtschaft leisten, ist deshalb aus Sicht der Unternehmen nicht hoch genug zu bewerten und verdient höchste Anerkennung.“

Als FOS/BOS-Experte verweist Johannes Benkert darauf, dass über die Beruflichen Oberschulen weiterhin alle Wege für eine akademische Karriere offenstehen: „Die Realschule bietet einen hoch anerkannten Abschluss, der vielfältige Perspektiven eröffnet – bis hin zum Abitur und Studium. Die Beruflichen Oberschulen stehen für eine breite Palette an Chancen und Möglichkeiten, aus der die jungen Menschen auswählen können. Umso wichtiger ist es, der Realschulausbildung mit sämtlichen sich anschließenden Wegen über die FOS/BOS die hohe Bedeutung zukommen zu lassen, die ihr zusteht“, so Benkert.

„Das Ziel insbesondere auch der Politik muss nun sein, die berufliche Bildung umfassend anzuerkennen und zu stärken“, betonte Böhm. Der Bayerische Realschullehrerverband und Bayerische Industrie- und Handelskammertag fordern daher:

  • Der Stellenwert der beruflichen Bildung muss dringend erhöht werden: Berufliche und akademische Bildung sind zwar nicht gleichartig, aber gleichwertig!
  • Der Fachkräftebedarf muss durch das Angebot von talent- und begabungsorientierten Bildungswegen gesichert werden. Eine Fokussierung auf hohe Abitur- und Akademikerquoten darf nicht stattfinden!
  • Die Realschule muss als wichtige Säule der beruflichen Bildung anerkannt werden
  • Die Berufliche Bildung muss gefördert werden – für einen starken Wirtschaftsstandort!
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11 Kommentare
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Alreech
6 Jahre zuvor

Der Zug ist doch schon längst abgefahren.
Ohne abgeschlossenes Studium zählt man ganz offiziell zur Gruppe der Bildungsfernen.
Vermutlich ist es sinnvoller jedem Schüler die allgemeine Hochschulreife zu geben und dafür an den Hochschulen in den ersten Semestern massiv Mathematik, Deutsch und Allgemeinbildung zu vermitteln.
Die berufliche Bildung kann man dann auch an die Hochschulen verlagern – warum nicht einen Bachelor schaffen der z.B. alles Wissen besitzt das eine Gas- Wasser oder Elektroinstallateur benötigt ?
Im Bereiche Elektrotechnik, Physik oder Materialwissenschaften ist so manchern Ausbildungsberuf alles andere als trivial.
Warum nicht den deutschen Sonderweg beenden und die Berufsausbildung an die Hochschulen verlagern ?

dickebank
6 Jahre zuvor

Was bitte soll denn berufliche Bildung an allgemeinbildenden Schulen sein?

Reicht doch nach der Realschule entweder mit dem Q-Vermerk an ein GY zuwechseln oder mit der Fachoberschulreife ein Berufskolleg zu besuchen und dort die Fachhochschulreife zu erwerben.

Und um KAufmann oder -frau im Einzelhandel zu werden, reicht die basale Bildung einer RS doch hoffentlich aus. Für dei Ausbildung zum Verkäufer langt ja schon ein Hauptschulabschluss.

Kann es sein, dass die Realschulen eigentlich nicht mehr wissen, was „Realien“, die ja zur Benenenung der Schulform geführt haben, sind?

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Die realien besuchen aktuell die gymnasien. Die realschulen können also gar nicht mehr wissen, was ihre kernklientel mal war.

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Deshalb sind neben Deutsch und Mathematik beim Hauptschulabschluss nach Klasse 0 ja auch die naturwissenschaftlichen Fächer (BI,PH und CH) und Arbeitslehre Hauptfächer. Beim HSA (Hauptschulöabschluss nach Klasse 10) zählen hier neben D und M die Lernbereichsnoten (gemittelten Einzelnoten der naturwissenschaftlichen Fächer) in NW und Arbeitslehre.

realschulen haben ja nicht einmal einen eigenständigen Abschluss, sie veregbenhalt den MSA (mittleren Schulabschluss). Ist das alles vielleicht Folge der Wahnvorstellung, Realschulen seien so eine Art GY light? In Wirklichkeit sind sie die Fortsetzung der sich auflösenden Hauptschulen.

ysnp
6 Jahre zuvor

Im Denken von Eltern sind beim Übertritt auf die bayerische Realschule beide Aspekte vertreten: Man schafft eine Voraussetzung für eine weitere Schullaufbahn in Richtung Abitur auf die FOS und man hat gute Chancen mit dem Realschabschluss für eine Ausbildung. Es ist sozusagen die Schulart, die für alle beiden Richtungen Voraussetzungen schafft.

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

In NRW muss man sich dererlei Gedanken nicht machen, außer das Kind hat eine bedingte Realschulempfehlung. Alle anderen gegehn ohnehin auf Elternwunsch an ein GY. Alternative ist dann die Gesamtschule, die die Eltern aus vergleichbaren Gründen wählen wie die Bayern bei der Anmeldung an einer Realschule. Ads Problem hier in NRW ist, dass unterhalb der Realschule sogut wie keine Schule einer anderen Schulform als Pendant zur bayrischen Mittelschule gibt.

Und als Bewerbungszeugnis auf eine Ausbildungsstelle bedarf es schon eines verdammt guten MSA (Mittleren Schulabschlusses), dafür ist die Konkurrenz mit den Abiturienten um kaufmännische Ausbildungspläte zu groß.

dickebank
6 Jahre zuvor

Prinzipiell sind – lassen wir die allgemeine Hochschulreife einmal außen vor – nur zwei Schulabschlüsse von Belang. Das sind die Fachoberschulreife und das Fachabitur. Der HA und der HSA sind allenfalls bei Phantasten eine Eintrittskarte auf den Ausbildungsmarkt.

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Für Bayern bin ich mir da nicht so sicher. Immer wieder höre ich von ehemaligen Schülern, die einen Ausbildungsplatz mit dem Quali oder dem mittleren Schulabschluss über den M- Zweig oder die Realschule erhalten haben. Aus meiner Verwandtschaft wurde jemand mit Abitur für einen reinen Ausbildungsberuf in technischer Richtung abgelehnt. Die Befürchtung der Betriebe ist, dass die Ausbildung eine Zwischenstation zum Studium ist und die Leute nach der Ausbildung den Betrieb in Richtung Studium verlassen. (Da ist das duale Ausbildungssystem für Abiturienten dann die Alternative.)

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Hängt von der Betriebsgröße ab. Kleinere, örtliche Unternehmen sind da flexibler als mittelständische Betriebe, die eine Vielzahl von Bewerbungen bekommen und rechtssichere Ablehnungen erteilen müssen. Die vermutung der potentielle Auszubildende würde nach Beendigung der Ausbildungszeit ein Studium aufnehmen, ist nicht justiziabel. Als objejtives Kriterium liegen also nur die Noten der unterschiedlichen Schulabschlüsse vor. Und da rangiert dann das „Abitur“ die allgemeine Hochschulreife vor der Fachhochschulreife, und der Fachoberschulreife. Bei den verschiedenen Schulformen rangiert der Abschluss des GY vor dem der RS, der Gesamt-/Sekundarschule und an letzter Stelle der HAuptschule.
So zumindest die beobachtungen in meinem näheren Umfeld (Süd- und Ostwestfalen).

invictus
6 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Da geb ich Ihnen ja mal rundum recht. Es ist zudem interessant, welchen Stellenwert später die Bezeichnung „Sekundarschule“ auf den Zeugnissen bei kleineren Betrieben einnehmen wird. Ich meine damit nicht die nominelle Qualität des Abschlusses (MR bleibt MR, egal ob an der Haupt-, Real-, Gesamt- oder Sekundarschule)
Ich konnte bei der Eröffnung einer ansässigen Sekundarschule große Skepsis bei der Elternschaft beobachten. (War in der lokalen Presse) Nun sind es eben auch diese Eltern, die später in ihren Betrieben ausbilden und möglicherweise die neue Schulform als qualitativ schlechter einordnen werden.
P.S. Mit Bezug zum Sauerland und Ostwestfalen sind Sie mir doch gleich sympathischer geworden. 🙂

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  invictus

Muss Sie enttäuschen – ich habe für die eine Region eine Daueraufethaltsrelaubnis und für die Andere (OWL) eine Arbeitserlaubnis. Aber ich bin gebürtiger Rheinländer:)

Die Skepsis der Elternschaffft und der Öffentlichkeit gegenüber den Sekundarschulen ist aus meiner Sicht nachvllziehbar, obwohl faktisch unbegründet. Die Eltern hatten sich im Vorfeld mit großer Wahrscheinlichkeit eine Gesamtschule gewünscht. Im Anmeldeverfahren haben sich dann aber weniger als 120 Eltern für die „neue Schulform“ entschieden. Liegt die erforderliche Zahl an Anmeldungen, um eine mindestens vierzügige Gesamtschule zu gründen, absehbar und dauerhaft nicht vor, wird lediglich eien dreizügige SeKs genehmigt. Diese muss aber bezüglich der GOSt mit einem GY einer GeS oder einem BK kooperieren. Wer also von der sekS kommt und ein Abitur ablegen will, muss die Schule wechseln.

Was den meisten Eltern, auch denen die ihr Kind an einer Gesamtschule anmelden, nicht von vornherein klar ist, dass lediglich ein Drittel der Fünftklässler eines Anmeldejahrganges am Ende der Klasse 10 die Versetzung in die Oberstufe schaffen werden.
Der überwiegende Teil (um die 45%) erreicht den MSA einschließlich FOR und rund 20% einen Hauptschulabschluss nach Klasse 10.
2% bis 3% dieser Fünftklässler werden die Schule sogar nur mit dem Hauptschulabschluss nach Klasse 9 verlassen.

Die Tatsache, dass man an einer Gesamtschule das Abitur ablegen kann, heißt ja nicht zwangsläufig, dass es jedem auch gelingt. Der überwiegende Teil (zwischen 60 und 65%) schafft die Versetzung in die Einführungsphase (Jhg. 11) nicht. Die Zahlen sind bekannt, werden von den meisten aber schlicht und einfach ignoriert.

Die Betriebe tun sich ungeheuer schwer mit der Bezeichnung „Mittlerer Schulabschluss“ (MSA). Für die ist lediglich das Abschlusszeugnis einer Realschule ein „Realschulzeugnis“. Dass de jure alle Schulformen – also auch Hauptschulen und Gymnasien ebenso wie Förderschulen, Gemeinschaftsschulen, Sekundarschulen, PRIMUS-Schulen und Gesamtschulen – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gem APO-SI den MSA, swe umgangssprachlich als realschulabschluss bezeichnet wird, vergeben können, ist absolutes Insider-Wissen, das vielen Betriebsinhabern oder sonstigen Personalverantwortlichen, die Ausbildungsverträge abschließen, nicht bekannt.

Was die formalen Berechtigungen wie FOR oder FHR (FAchoberschulreife und FAchhochschulreife) eigentlich aussagen sollen in Bezug auch auf Fähigkeiten udn Fertigkeiten (neudeutsch Kompetenzen), wird nicht klar genug. De facto stellen diejenigen, die einen solchen Abschluss (FOR oder FHR) in der Tasche haben, das Potential zur Generierung zukünftiger Facharbeiter dar – egal an welcher Schulform diese berechtigungen erworben worden sind.

Das Schielen einzig und allein auf das „Abitur“ – aka AHR (allgemeine Hochschulreife) – hat viele „blind“ gemacht. Nehmen wir zum Beispiel die Ausbildung zum Augenoptiker, die formale Befähigung für den Einstieg in die Ausbildung ist der Hauptschulabschluss. Wenn man sich aber die Fachklassen für Augenoptiker an den Berufsschulen ansieht, sind selbst die Azubis mit Fachoberschulreife eine Minderheit. Der weitaus größere Teil hat entweder Fachabitur (FHR), Abi oder ein abgebrochenes Studium vorzuweisen. Es ist also kein Wunder, wenn in diesem direkten Vergleich Abgänger von HS und RS nicht nur altersgemäß das NAchsehen haben müssen.