Kirchliche Internate in der Krise – immer mehr Einrichtungen müssen schließen

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METTEN. Von Missbrauchsfällen diskreditiert, durch ausgebaute Ganztagsangebote an staatlichen Schulen verstärkter Konkurrenz ausgesetzt und auf eine Klientel ausgerichtet, die der gesellschaftlichen Wandel zunehmend marginalisiert: Kirchliche Internate benötigen heute schon ein scharfes Profil entwickeln, um Schüler oder deren Eltern anzuziehen. Nicht allen gelingt das, viele Institute stehen vor dem Aus. So auch das Internat der Benediktinerabtei im niederbayerischen Metten.

Früher huschten hier viele Schüler über die steinernen Klosterflure oder brachten das Holzparkett im Studierzimmer zum Knarzen. Die Jungs von einst wurden später Wirtschaftsstaatssekretär, Schauspieler, Kurienkardinal, Landespolizeipräsident Bauunternehmer und Ministerialrat. Früher gehörte es zum guten Ton, seine Söhne nach Metten zu den Benediktinern zu schicken. Heute ist es totenstill im Internat.

Während in Spitzenzeiten hier bis zu 450 Internatsschüler lebten und die Klostermauern mit Leben füllten, sind es jetzt nur noch neun. Vier davon haben gerade das Abitur abgelegt und werden das Internat ebenso wie vier Gastschüler aus Tschechien und Frankreich in wenigen Tagen für immer verlassen. Ein Zehntklässler als Internatsschüler bleibt übrig.

Kirchliche Internate haben teilweise eine lange Tradition. Doch viele lassen sich heute nicht mehr kostendeckend betreiben (Symbolbild). Foto: Joan Sorolla / flickr (CC BY 2.0)
Kirchliche Internate haben teilweise eine lange Tradition. Doch viele lassen sich heute nicht mehr kostendeckend betreiben (Symbolbild). Foto: Joan Sorolla / flickr (CC BY 2.0)

«Das Internat schließt dennoch», sagt Direktor Pater Thomas Winter. «Was will man machen?» Die Nachfrage sei in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich zurückgegangen. Da ändert auch die diese Woche veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung nichts, nach der die Schülerzahlen in Deutschland bis zum Jahr 2030 um acht Prozent steigen – viel stärker als bislang angenommen.

2011 habe sich das Kloster dazu entschlossen, den Betrieb einzustellen, sagt Winter. Das Internat erwirtschaftet seit längerer Zeit keine Gewinne mehr. «Der wirtschaftliche Faktor war ein Punkt für die Schließung, aber nicht nur», so der Internatsdirektor. Die Entscheidung sei allen sehr schwer gefallen.

Eine Entscheidung, vor der immer mehr kirchliche Internate stehen. Auch die Armen Schulschwestern in unmittelbarer Nähe geben ihr Mädcheninternat zeitgleich auf. Die Nachfrage nach Plätzen sei einfach nicht mehr da.

Die Gründe dafür sind vielfältig: «Mit Sicherheit sind unsere Einrichtungen durch die Missbrauchsfülle in eine Institutionskrise geraten», sagt Christopher Haep, Vorsitzender des Verbandes Katholischer Internate und Tagesinternate e.V. (V.K.I.T.). Aber diese Erklärung alleine würde zu kurz greifen. Auch der flächendeckende Ausbau der Ganztagsbetreuung und des Schulangebots mache für viele Eltern ein Internat überflüssig. Auch das Stammklientel der Internate, ursprünglich wertkonservativ, kirchlich verortet und häufig vom Land, habe sich gewandelt.

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Haep räumt zudem Fehler ein: «Viele Internate haben den Change einfach nicht vollzogen und nicht genug in Profilentwicklung investiert.» Internate, die ein Alleinstellungsmerkmal hätten wie die Festlegung auf einen speziellen Förderbedarf oder eine bestimmte Ausrichtung, kämen nach wie vor gut an – zum Beispiel Internate, die sich zu International Boarding Schools gewandelt haben.

Für das Internat der Benediktinerabtei, eines der ältesten Klöster Bayerns und berühmt für seine barocke Klosterbibliothek, kommt jede Idee zu spät. Vor einem Jahr feierte das Kloster sein 1250-jähriges Bestehen mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Fast genauso viele Jahrhunderte kümmern sich die Patres um Erziehung und Bildung von Buben. Schon damals schliefen die Schüler im Kloster, weil der Heimweg viel zu weit gewesen wäre. Mit der Säkularisierung stand das Kloster- und Internatsleben in Metten still, bis König Ludwig I. 1830 Metten als erste Abtei in Bayern wiedereröffnete – mit dem Auftrag, sich um Bildung und Erziehung «fähiger Knaben» zu kümmern.

Pater Thomas lebt für diese Aufgabe. Der 60-Jährige wird auch weiterhin im Gymnasium Mathematik, Physik und Informatik unterrichten. Seine Aufgaben als Internatsdirektor fallen weg. Nachmittags hat er mit seinen Internatsschülern gelernt, mit ihnen Billard gespielt, eine Kanutour auf der Donau gemacht oder ihnen zugehört, wenn sie einen väterlichen Freund brauchten.

Auch ihm fällt der Abschied als Internatsdirektor schwer. «Ich kenne das Internat seit 50 Jahren», erklärt er. 1968 sei er selbst als Schüler hierher gekommen – und geblieben. «Das Schöne am Internatsleben: Die Gemeinschaft, die Freundschaften fürs Leben und Möglichkeiten, die sich einem bieten.» Adam Černý stimmt ihm zu. Aus diesem Grund sei auch er geblieben. Černý wollte als tschechischer Gastschüler ein Jahr bleiben. «Es sind drei Jahre daraus geworden. Ich habe mich hier so wohlgefühlt.»

Er ist einer der besten Absolventen dieses Jahrgangs, will in Deutschland Architektur studieren. Und obwohl er sein Abiturzeugnis bereits in der Tasche hat, bleibt er bis zum letzten Schultag. «Ich auch», sagt sein Freund Benedikt Probst. Der Klassenkamerad Černýs hätte es gar nicht so weit nach Hause zu seiner Familie. Aber er will die letzten Tage und Wochen bis zum Schuljahresende noch hier genießen. «Ich hätte hier auch gerne mal meinen Sohn hergeschickt», sagt Probst und zuckt mit den Schultern. «Daraus wird wohl nichts.»

Und was wird aus dem letzten Internatsschüler? «Der kommt nächstes Schuljahr in die Oberstufe. Für ihn werden wir schon ein Zimmer im Kloster finden, wenn er will», sagt Pater Thomas. (Claudia Rothhammer, dpa)

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