Bildungsministerin stellt vollständige Inklusion infrage: „Für Kinder, die beißen, kratzen oder schlagen, müssen wir andere Lösungen finden“

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SCHWERIN. Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Birgit Hesse (SPD) hat mit ihrem überraschenden Votum für die Erhaltung von Sonderschulen für Irritationen sowohl bei Koalitionspartner CDU als auch bei der oppositionellen Linken gesorgt. In der «Ostsee-Zeitung»kündigte die Ministerin an, die Übernahme von besonders verhaltensauffälligen Schülern in den regulären Schulunterricht zum Teil aussetzen und einige Förderschulen erhalten zu wollen. «Es gibt eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die so verhaltensauffällig ist, dass man sie nicht integrieren kann. Für Kinder, die beißen, kratzen oder schlagen, müssen wir andere Lösungen finden», zitierte das Blatt die Ministerin. Damit solle verhindert werden, dass Schulen bei der gesetzlich vorgeschriebenen Inklusion überfordert werden.

Die neue Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern: Birgit Hesse (SPD). Foto: Regierung Mecklenburg-Vorpommern
Sorgt für Irritationen: Die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern: Birgit Hesse (SPD). Foto: Regierung Mecklenburg-Vorpommern

In der zurückliegenden Legislaturperiode hatten sich SPD, CDU und auch Linke im Rahmen des sogenannten Inklusionsfriedens auf eine gemeinsame Strategie verständigt und diese 2016 im Landtag auch beschlossen. Demnach sollen so viele Kinder und Jugendliche wie möglich eine Regelschule besuchen und bei Bedarf dort auch besondere Förderung erhalten. Dafür sollen bis 2023 im Land 237 zusätzliche Lehrerstellen geschaffen werden.

Der CDU-Abgeordnete Marc Reinhardt zeigte sich am Sonntag in einer Mitteilung verwundert über «unabgestimmte Kurskorrekturen am Inklusionskonzept» durch die Ministerin. «Diese Verfahrensweise ist inakzeptabel», betonte Reinhardt, auch wenn sich Hesse damit der CDU-Position eines «Inklusionsprozesses mit Augenmaß» annähere. «Es war auch immer unsere Position, dass wir auf Förderschulen nicht gänzlich verzichten werden können», erklärte der CDU-Politiker.

Wir brauchen jetzt eine breite Debatte über die Inklusion – sonst droht ihr das Schicksal von G8

Auch die Linke, die sich an der Erarbeitung der Inklusionsstrategie sehr intensiv beteiligt hatte, warnte Hesse vor Alleingängen. Der Kurswechsel werfe viele Fragen auf. «Wir sehen uns daher gezwungen Frau Ministerin Hesse in die Fraktion einzuladen, um über ihre Alleingänge und künftigen Vorstellungen zu reden», sagte Fraktionschefin Simone Oldenburg. Danach werde ihre Fraktion entscheiden, ob sie am Inklusionsfrieden festhalten könne. «Unter den gegebenen Umständen sehen wir ihn stark gefährdet», warnte Oldenburg. dpa

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8 Kommentare
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Pälzer
6 Jahre zuvor

Lernfähigkeit ist ein Kennzeichen von Intelligenz.

Palim
6 Jahre zuvor

“ «Es gibt eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die so verhaltensauffällig ist, dass man sie nicht integrieren kann. Für Kinder, die beißen, kratzen oder schlagen, müssen wir andere Lösungen finden»“

Ich weiß, welche Kinder die Ministerin vermutlich meint.
Mit der Umschreibung „beißen, kratzen, schlagen“ sammelt sie aber eine Menge Kinder mit in den Topf, die nicht hinein gehören. Das ist nämlich im Grundschulalter noch häufig an der Tagesordnung und bedarf Erziehung und Sozialtraining, dem sich alle Schulen widmen.

Kinder mit hohem Aggressionspotential, die Regeln mit Absicht in Frage stellen, unentwegt Aufmerksamkeit einfordern, den Ablauf des Schulalltages täglich nachhaltig stören und die Sicherheit der Mitschüler wie der Erwachsenen an den Schulen gefährden, sind die, die Kollegien ratlos werden lassen.
Das Recht auf Unterricht und das Recht auf Sicherheit stehen dabei nebeneinander und häufig bekommt das verhaltensauffällige Kind die Möglichkeit, weiter am Schulalltag teilzunehmen.
Die Lehrkraft muss dann überlegen, ob sie unterrichten kann oder ob sie dieses Kind betreut, denn eine zusätzliche Kraft kann die Lehrkraft nicht beantragen, sodass sie den inklusiven Unterricht in der Regel alleine berwältigen muss.

schnabeltier
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

„Für Kinder, die beißen, kratzen oder schlagen, müssen wir andere Lösungen finden“ Das wirft doch einige Fragen auf. Wo sind denn die geeigneten Schulen für diese Kinder? Oder haben sie ihr Menschenrecht auf Bildung durch ihr Verhalten verwirkt und sind „unbeschulbar“?

Pälzer
6 Jahre zuvor
Antwortet  schnabeltier

spricht hier wieder ein Vertreter der „individuellen Rechte“? Was ist denn mit den anderen Kindern, den gebissenen, gekratzten und geschlagenen? Ich finde, auch deren Los ist einige Gedanken wert.

Mama51
6 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

… Und die Opfer (!) sind an manchen Schulen die MEHRHEIT … Und diese sind irgendwie immer benachteiligt!!!

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Mama51

stimmt. die nervbacken in einer klasse (keine inklusionsfälle) bekommen viel mehr Aufmerksamkeit als die lernwillige mehrheit.

U. B.
6 Jahre zuvor
Antwortet  Mama51

Wie wahr! Und die Kinder lernen daraus, dass sie viel mehr Beachtung, Zuwendung und vermeintliche Anerkennung finden, wenn sie querschießen, kräftig die Ellenbogen benutzen und „Profilierung“ auf Kosten anderer betreiben.

sofawolf
6 Jahre zuvor

Ich begrüße das sehr.

Zudem hat man jetzt keinen Grund mehr, nur wegen der Inklusion – wenn einem das entsprechend wichtig ist – nur bestimmte Parteien zu wählen. Da alles andere sich eh kaum groß unterscheidet, wäre mir Bdie Bildungspolitik schon wichtig, um nicht zu sagen wahlentscheidend.

Vielleicht kann das der Kompromiss sein: Überall bleiben Förder- / Sonderschulen erhalten – für die ganz schwierigen Fälle. Wir Lehrer wären der Politik sehr dankbar! 🙂