Interview mit Talentscout Yusuf Bayazit: „Wir beschäftigen uns mit den emotionalen und sozialen Faktoren des Lernens“

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DÜSSELDORF. Sein Ziel: Bildung gerechter machen. Dafür ist Yusuf Bayazit am dem kommenden Schuljahr als Talentscout in NRW im Einsatz. Zusammen mit seinen Kollegen will er will Schüler aus Nicht-Akademikerfamilien für ein Studium begeistern. Dabei hilft ihm auch seine eigene Biografie.

Sie gehen in Schulen, um dort Talente zu fördern. Mal ehrlich, waren Sie selbst ein guter Schüler?

Bayazit: Ich bin schon angeeckt in der Schule. Ich bin in Istanbul geboren und mit drei Jahren nach Deutschland gekommen. In der Oberstufe war ich einer von zwei türkischstämmigen Schülern, da habe ich schon Hindernisse gespürt. Aber ich hatte immer Förderer hinter mir, vor allem meine Mutter. Sie war auch die eigentliche Aufsteigerin bei uns. Aus einer kleinbäuerlichen Familie hat sie in der Türkei den Weg an die Uni geschafft und ist Lehrerin geworden. Eigentlich bin ich also Lehrerkind – nur eben etwas anders. Nach dem Abitur habe ich dann in Duisburg Sozialwissenschaften studiert. Die Geschichte meiner Mutter begleitet mich aber heute noch in meiner Arbeit, wenn es darum geht, junge Talente zu motivieren.

Ob hier jemand G8 oder G9 hinter sich hat, lässt sich kaum feststellen. Foto: Universität Salzburg (PR) / flickr (CC BY 2.0)
Noch immer entscheiden sich mehr Kinder aus Akademikerfamilien für ein Studium als Schüler aus Nicht-Akademikerfamilien. Foto: Universität Salzburg (PR) / flickr (CC BY 2.0)

Wann bin ich denn überhaupt ein Talent, brauche ich dafür einen hohen IQ oder eine besondere Begabung?

Bayazit: Nein, wir arbeiten nicht mit dem klassischen Begabungsbegriff. Uns interessieren die unentdeckten Talente, die überall in der Region schlummern. Das sind nicht unbedingt die Klassenbesten. Bei vielen sind die Noten zwar ganz gut, aber man denkt sich: Mann, der oder die kümmert sich gleichzeitig um vier Geschwister und arbeitet trotzdem fleißig am Abitur. Wir beschäftigen uns dann mehr mit den emotionalen und sozialen Faktoren des Lernens.

Wie gehen Sie genau vor, wenn Sie eine Schule besuchen?

Bayazit: Wir nehmen zuerst Kontakt mit der Schulleitung auf. Die Lehrer schlagen uns dann Talente aus ihrer Oberstufe vor. Wir treffen uns dann mit den Schülern und versuchen, die wahren Interessen der Jugendlichen herauszufinden. Im Grunde sind wir Zehnkämpfer. Wir bereiten gemeinsam mit den Jugendlichen ihre persönlichen Ziele vor und vermitteln gegebenenfalls an die Experten. Wir gehen aber auch mit in Vorlesungen, beraten zur Bildungsfinanzierung oder helfen beim Bewerbungsschreiben. Wir nehmen die Schüler an die Hand.

Was sind die größten Hindernisse, die Jugendliche in NRW von einem Studium abhalten?

Bayazit: Vor allem Schüler aus Nicht-Akademikerfamilien haben es schwerer. Da ist vor allem Geld ein großes Thema. Für Familien, in denen noch niemand studiert hat, stellt ein Studium oft ein unkalkulierbares finanzielles Risiko dar. Da wollen wir aufklären und auch die Eltern mitnehmen. Vor allem der Schichtunterschied ist immer noch entscheidend. Ich bewege mich in einem akademischen Umfeld einfach unsicherer, wenn ich mich da nicht auskenne. Diese Erfahrung bringen auch viele Talentscouts aus ihrer eigenen Biografie mit. Das hilft, denn ein Aufstieg bedeutet auch immer eine Trennung vom eigenen Milieu. Und das ist oft verbunden mit Verlustängsten.

Was raten Sie Jugendlichen, die nicht von einem Talentscout entdeckt werden?

Bayazit: Eigeninitiative ist ganz wichtig. Nicht die Veranlagung entscheidet über die Zukunft, sondern das Engagement. Wenn Leute an mich glauben und ich mich nicht entmutigen lasse, dann kann ich vieles erreichen. Das wollen wir vermitteln. Interview: Christoph Zeiher, dpa

 

Talentförderung in NRW
Akademische Bildung ist in Nordrhein-Westfalen ungleich verteilt: Laut NRW-Kultusministerium entscheiden sich fast 80 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien sich für ein Studium. Bei Nicht-Akademikern sind es nur rund 20 Prozent.

Ziel des Programms für Talentförderung ist nach Angaben der Landesregierung, vor allem Jugendliche aus bildungsferneren Familien zu einem Studium zu bewegen. Die Talentscouts besuchen dazu Schulen, beraten Schüler und betreuen sie auf dem Weg zum Abitur oder bei der Studien- und Berufswahl.

17 der 37 staatlichen Hochschulen in NRW nehmen an dem Talentscouting teil. Erstmals sind auch die Hochschulen in Aachen, Köln, Bielefeld, Düsseldorf und Wuppertal dabei. Das Projekt wurde 2015 von der früheren rot-grünen Landesregierung in Kooperation mit den Hochschulen ins Leben gerufen.

Weitere Infos unter: https://nrw-talentzentrum.de/

 

 

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